Kammermusikalischer Borodin-Abend in Bukarest

Die beiden Streichquartette des russischen Komponisten im Kleinen Athenäumssaal

Am letzten Dienstag des Monats Mai kamen im Kleinen Saal des Bukarester Athenäums bei einem Kammermusikabend die beiden Streichquartette des 1833 in Sankt Petersburg geborenen und 1887 ebendort gestorbenen russischen Komponisten Alexander Porfirjewitsch Borodin zur Aufführung. Die Ausführenden waren Lucian Gabriel Dănilă (1. Violine), Cristina Adriana Bazgan (2. Violine), Tamara Dica (Viola) und Diana Petre Popescu (Violoncello). Koordiniert wurde dieser Quartettabend von Cristina Bohaciu Sârbu im Rahmen der Reihe „Stagiunea de marţi seara“ (Konzerte am Dienstagabend), die bedeutende Werke der europäischen Kammermusik dem Bukarester Publikum in qualitätsvollen Interpretationen nahe zu bringen sich vorgenommen hat.

Alexander Borodin gehörte zur so genannten „Gruppe der Fünf“, einer fünfköpfigen Vereinigung russischer Komponisten, die sich selbst als „Novatoren“ oder auch als „Das mächtige Häuflein“ bezeichneten und die sich in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts in Sankt Petersburg zusammenfanden, um gemeinsam Musikgeschichte zu schreiben. Zu ihnen zählten neben Alexander Borodin, Cézar Cui und Mili Balakirew auch die heute weitaus bekannteren Komponisten Modest Mussorgski und Nikolai Rimski-Korsakow. Wie Cézar Cui, der neben seiner Musikerkarriere dem Beruf eines Militäringenieurs und Professors für Ingenieurwissenschaften nachging, so war auch Alexander Borodin zeitlebens nicht nur als Komponist und Musiker (er spielte hervorragend Klavier und Cello) aktiv, sondern er galt zugleich als ein bedeutender Naturwissenschaftler, der auf den Gebieten der Chemie und Medizin wichtige Forschungserfolge verbuchen konnte. Musikalisch ging es Alexander Borodin, wie den anderen Mitgliedern der „Gruppe der Fünf“, in erster Linie um die Erneuerung der nationalrussischen Musik in der Nachfolge Michail Glinkas.

Dieses nationalrussische Erbe ist auch in den beiden Streichquartetten hörbar, die Alexander Borodin Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts zum Abschluss brachte. So verarbeitet Borodin beispielsweise im Schlusssatz des ersten Streichquartetts in A-Dur russische Volkstanzmelodien, die an die berühmten Polowetzer Tänze aus seiner Oper „Fürst Igor“ erinnern. Trotzdem ließ sich Borodin, darin seinen russischen Komponistenkollegen Pjotr Iljitsch Tschaikowsky oder Sergei Rachmaninow vergleichbar, auch von westlichen Vorbildern inspirieren: so zum Beispiel, wenn man an Borodins frühe Kammermusik denkt, von Felix Mendelssohn-Bartholdy, oder auch von der Musik Richard Wagners, die er während seiner Heidelberger Studienjahre im Nationaltheater Mannheim hören konnte. Und Borodins erstes Streichquartett wurde gar erst angeregt durch ein Thema von Beethoven, und zwar aus dem Schlusssatz von dessen spätem Streichquartett op. 130 in B-Dur aus dem Jahre 1826.

Das Beethovensche Thema wird als erstes Thema des Allegros gleich zu Beginn des Streichquartetts Nr. 1 von Alexander Borodin hörbar, klingt aber auch in den restlichen drei Sätzen dieses Quartetts verschiedentlich an: im Andante, in das ein Fugato eingearbeitet ist, mit schönen Unisonopassagen der Viola und des Cellos; im Scherzo, das – vergleichbar dem Ende des ersten Satzes – mit Flageoletti gespickt ist; und, nach einer Andante-Introduktion, im bereits erwähnten Finalsatz, der den Zuhörer mit kräftigen, temperamentvollen und tänzerischen Volksmelodien mitreißt.

Das Streichquartett Nr. 2 in D-Dur von Alexander Borodin, das als das beliebtere der beiden Borodinschen Streichquartette gilt, besteht ebenfalls aus vier Sätzen. Auf den schwungvollen Kopfsatz, ein Allegro moderato, folgt ein graziöses Scherzo, das an Brahms’ erstes Streichquartett erinnert, in seinem Meno mosso-Teil aber auch die Wesenszüge der slawischen Musik wirksam in Szene setzt. Der dritte Satz, ein Notturno im Tempo eines Andantes, zelebriert sein weiches, romanzenhaftes Hauptthema zuerst im Violoncello, bevor dieses sukzessive auch die übrigen Quartettstimmen durchwandert, wirkungsvoll kontrastiert durch einen resoluten, aber seinem Charakter nach dennoch ruhigen Teil mit Sechzehntelskalen. Wie die beiden vorigen Sätze, so verhaucht auch dieses Notturno im feinsten Pianissimo. Der vierte Satz schließlich wird mit einem Andante eröffnet, das im Verlauf des folgenden Vivace mehrfach wiederkehrt. Die musikalische Form der Fuge unterstützt dabei den schwungvollen und impulsiven Charakter dieses grandiosen Finalsatzes.

Beide Streichquartette Borodins stellen, auch wenn sie nicht zu den allerdiffizilsten dieser kammermusikalischen Gattung zählen, hohe Ansprüche an die technischen Fähigkeiten der Ausführenden – man denke an die zahlreichen künstlichen und natürlichen Flageoletti oder an die sehr hohen Passagen im Part der ersten Violine im zweiten Quartett! –, aber auch an die Versatilität im Zusammenspiel und an die Homogenität der Interpretation insgesamt. Vom technischen Standpunkt aus betrachtet beeindruckten aller vier Musiker, angefangen von den beiden Violinisten Lucian Gabriel Dănilă und Cristina Adriana Bazgan, die ja beide Mitglieder des Nationalen Rundfunkkammerorchesters sind, ersterer sogar als Stimmführer und Instrumentalsolist, bis hin zur Bratscherin Tamara Dica, die im Orchester der Nationaloper Bukarest mitspielt, sowie zur Violoncellistin Diana Petre Popescu, die im 2009 neu gegründeten Orchester „Camerata Regală“ mitwirkt.

Die letzte Feinabstimmung im wechselseitigen Zuspiel, die letzte Perfektion im harmonischen Zusammenspiel, die letzte Homogenisierung der Dynamik und die letzte Abrundung des Gesamtklanges ließ dieser gehaltvolle Quartettabend freilich vermissen, und dies nicht von ungefähr, denn ein derartiges ‚blindes’ musikalisches Verständnis und selbstverständliches Harmonieren unter Quartettkollegen bildet sich erst im Laufe längeren, ja oft jahrelangen intensiven Zusammenspiels nur allmählich heraus. Es ist zu hoffen, dass diese Quartettformation lange bestehen bleibt und das Bukarester Publikum auch in Zukunft mit besonderen Leckerbissen der Streichquartettliteratur verwöhnen kann.