Kulturarbeit im Dienste der Völkerverständigung

Dr. Ortfried Kotzian verabschiedete sich vor Rentenantritt mit vierter Studienwoche des Hauses des Deutschen Ostens

Dr. Ortfried Kotzian und Dr. Meinolf Arens während der Studienwoche in Bad Kissingen Foto: Erich Hemmel

Die vierte Studienwoche des Hauses des Deutschen Ostens (HDO) München, die wie die vorherigen von seinem Leiter Dr. Ortfried Kotzian initiiert und inhaltlich gestaltet wurde, stand unter dem Motto: „Deutsche Kultur im Osten Europas: Grenzüberschreitende Kulturarbeit im Dienste der Völkerverständigung“.

Es konnten rund 50 Teilnehmer aus Deutschland, Tschechien, Rumänien und Polen begrüßt werden, darunter waren etwa die Hälfte Studierende aus Pardubitz, Olmütz und einigen Universitäten Rumäniens. Mitveranstalter war die Bildungsstätte „Der Heiligenhof“ in Bad Kissingen mit dem Studienleiter Gustav Binder sowie als weiterer Mitorganisator Dr. Meinolf Arens (Wien).

Dr. Ortfried Kotzian eröffnete die Veranstaltung mit einem Bericht über die Aufgabenfelder des Hauses des Deutschen Ostens, zu denen die generationenübergreifende, grenzüberschreitende Kulturarbeit essenziell gehört, um eine Bewahrung des  kulturellen Erbes der Deutschen im östlichen Europa zumindest partiell zu gewährleisten.

Im Anschluss an die Vorstellungsrunde wurde der bewegende Film „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ gezeigt, in dem es um die Begegnung mit einem der letzten Juden in der Bukowina geht. Dr. Kotzian referierte in seinem Eingangsvortrag über „Möglichkeiten der Bewahrung des deutschen Kulturerbes im östlichen Europa und die damit zusammenhängende Entwicklung der grenzüberschreitenden Kulturarbeit im Dienste der Völkerverständigung“. Er zeigte dabei anschaulich die von vielen Brüchen geprägte Entwicklung dieser kulturellen Verflechtungen seit etwa 1950 auf.

Nur durch die Gewinnung des Interesses von Angehörigen der jüngeren Generationen an diesen Themenfeldern ist eine Tradierung von Wissen rund um die Geschichte und Lebenswelt der Deutschen im Osten Europas möglich. Eine maßgebliche Rolle bei dieser Vermittlungstätigkeit haben die drei dafür von dem Beauftragten der Bundesregierung Deutschland für Kultur und Medien (BKM) eingerichteten Stiftungslehrstühle in Pécs/Fünfkirchen, Klausenburg/Cluj und Olmütz/Olomouc, die zu diesem Symposium geladen worden waren, gespielt.

Prof. Dr. Gerhard Seewann aus Fünfkirchen, der Inhaber des dortigen Stiftungslehrstuhles für die Geschichte und Kultur der Deutschen in Ungarn, erläuterte in seinem ausgezeichneten Vortrag die Aufgabenfelder seines Lehrstuhls und die damit verbundenen Schwierigkeiten. Ausführlich ging er auf die zentrale ökonomische und kulturelle Bedeutung der Deutschen in der Geschichte Ungarns vom Mittelalter bis in die Gegenwart ein.

Er bemängelte die jahrzehntelange national konnotierte Historiografie Ungarns, die kaum Platz für andere Deutungsmöglichkeiten gelassen habe und die Gesellschaft systemübergreifend in einem auf Dauer unhaltbaren und gegenüber den benachbarten Völkern isolierten geistigen Zustand geführt habe. Die Negierung der Rolle der Nichtmagyaren in der Geschichte des Landes und die gleichzeitige ethnozentrische Überhöhung und Deutung der Magyaren stellte er beispielhaft an den Deutschen dar. Seine zentrale Aufgabe sieht Seewann in der Vermittlung neuer Fragestellungen und Forschungsmethoden.

Prof. Dr. András Balogh, der Klausenburger Inhaber des Stiftungslehrstuhls für Deutsche Literatur und Kultur in Siebenbürgen sowie eines Lehrstuhls an der Budapester Universität führte die Aufgabenfelder seines Stiftungslehrstuhls in Rumänien vor. Die Studenten und Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl sind Rumänen und Ungarn und in sehr kleiner Zahl Deutsche aus Rumänien. Inhaltlich beschäftigen sie sich mit den Verflechtungen von deutschsprachigen Texten und dem Schaffen von Deutschen und andersnationalen auf Deutsch schreibenden Autoren aus Rumänien in Vergangenheit und Gegenwart.

Dabei spielt auch der Blick auf ihre Vernetzung mit den jeweiligen Literaturlandschaften in den westlichen deutschsprachigen Ländern eine zentrale Rolle. Seminare und Konferenzen in Deutschland und Österreich sowie wechselseitige Forschungsaufenthalte in Rumänien und den beiden wichtigsten deutschsprachigen Staaten sind dabei wichtig. Dank einiger herausragender deutscher Autoren aus dem heutigen Rumänien ist das Interesse an diesem Raum im Rahmen der Germanistik in den letzten Jahren gewachsen.

Prof. Dr. Ingeborg Fiala-Fürst, die stellvertretende Inhaberin des Stiftungslehrstuhls aus Olmütz, beschrieb die schwierige Genese und die Aufgabenfelder dieser Einrichtung. Hauptthema ist die lange von der Forschung vernachlässigte oder unbetrachtet gebliebene deutsche Literaturlandschaft in Mähren, der immerhin so bekannte Autoren wie Robert Musil entstammen.

Da nach der nahezu vollständigen Vertreibung und späteren Auswanderung der Deutschen auch aus Mähren und des allgemeinen Desinteresses in der dortigen Gesellschaft an ihren deutschen Bezügen auch Kenntnisse der deutschen Sprache sich auf einen sehr kleinen Kreis gerade unter den unter 50-Jährigen reduzieren, ist die Germanistik in Olmütz von herausragender Bedeutung für die Bewahrung und Vermittlung des deutschen Literaturerbes in Mähren und darüber hinaus. Das Engagement der international gut vernetzten Mitarbeiter zeigt sich in zahlreichen Veranstaltungen und Veröffentlichungen.

Am Abend gab es einen mit zahlreichen Bildern untermalten Vortrag über die Bildungsreisen des Hauses des Deutschen Ostens als Methode für grenzüberschreitende Kulturvermittlung. Als Fallbeispiel wählten die Referenten Dr. Ortfried Kotzian und Erich Hemmel die Studienreise ins Baltikum von 2011 aus.

Die Heimatpflegerin der Sudetendeutschen, Dr. Zuzana Finger aus München, berichtete über ihre Aufgabenfelder im Rahmen des bayerisch-sudetendeutsch-tschechischen Kulturaustausches seit der Wende. An den zahlreichen regionalen Veranstaltungen nehmen fast ausschließlich Sudetendeutsche und in kleinerer Zahl Tschechen teil. Kaum beachtet werden diese Programme von der sonstigen Bewohnerschaft Bayerns. Ein zentrales Problem liegt in der Gewinnung jüngerer Menschen für die Thematik Sudetendeutsche, Bayern, Tschechen. Für die Bewahrung und Pflege sudetendeutscher Kulturelemente und damit als Stück neu geschaffener Heimat mit tradierten Formen ist die Tätigkeit Fingers von zentraler Bedeutung.

Dr. Petr Rojik aus Rotava/Rothau, ein Vertreter des Kulturverbandes der Deutschen in der Tschechischen Republik, beschrieb in seinem Vortrag die Geschichte seines 1969 gegründeten Verbandes.

Die Aufgabenfelder sieht er zum einen in der Möglichkeit, den sehr verstreut lebenden Deutschen in Tschechien im Rahmen von Veranstaltungen aller Art Räume für Begegnungen und den Gebrauch ihrer Muttersprache zu geben, und der Mehrheitsgesellschaft zumindest punktuell Einblicke in die Lebenswelt und Kultur ihrer deutschen Mitbürger zu ermöglichen.

Zentrales Problem ist die deutliche Überalterung der deutschen Minderheit in Tschechien und des damit verbundenen raschen Rückgangs ihrer Zahl auf nunmehr rund 19.000.

Prof. Dr. Franz Metz aus München referierte über 300 Jahre Musik bei den Donauschwaben. Er beschrieb in seinem Beitrag, den er mit zahlreichen Hörproben untermalte, Aktivitäten, Möglichkeiten und Probleme bei der Sicherung, Erforschung und auch Präsentation der donauschwäbischen Musikkultur. Dabei betonte er, dass die ethnien- und sprachenübergreifende Verwobenheit von Musik und Musikkultur für die Regionen Banat, Schwäbische Türkei und Batschka geradezu prädestiniert war.

Hier kam es zu wechselseitigen Prägungen böhmischer, ungarischer, süddeutscher, serbischer, rumänischer und anderer regionaler Musiktraditionen und Elemente sowohl im säkularen als auch im sakralen Bereich.

Es wurde auch eine Exkursion nach Weimar veranstaltet. Geleitet wurde sie von Studienrat a. D. Adolf Leschka aus Weimar. Nach einem Stadtrundgang und dem Empfang durch den stellvertretenden Bürgermeister der Stadt wurde das besondere Augenmerk auf die Rolle der Vertriebenen in Thüringen gelegt, die Leschka anschaulich beschreiben konnte.

Als letzter auswärtiger Referent berichtete der Koordinator des bayerischen Schülerwettbewerbes „Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn“ Robert Leiter aus Ergolding über dieses seit Jahrzehnten sehr erfolgreiche Unternehmen.

Neben der Präsentation einiger Wettbewerbe aus den letzten Jahren und der Beschreibung von Methodik und Aufgabenstellung wurde auch der aktuelle Wettbewerb vorgestellt, der sich auf die Staaten Serbien, Kroatien und Slowenien bezieht und dabei auch die deutschen Bezüge ihrer jeweiligen Kultur und Geschichte berücksichtigt. Auch in vielen Staaten des östlichen Europa, so in Polen und Rumänien, wird der Schülerwettbewerb und seine dahinterstehende pädagogische Konzeption gerne angenommen und geschätzt.

In einem abschließenden Beitrag würdigte der Studienleiter des Heiligenhofes, Gustav Binder, die jahrzehntelange diese Institution maßgeblich prägende Arbeit von Dr. Ortfried Kotzian, der Anfang dieses Jahres als Leitender Regierungsdirektor des HDO in den Ruhestand verabschiedet wurde.

Seine zentrales Anliegen – die Grenzen, Sprachen und Völker überschreitende Bewahrung des deutschen Kulturerbes im östlichen Europa, die Erinnerung an die Geschichte der Deutschen in diesem Raum und die Sondierung von Möglichkeiten, den dort verbliebenen deutschen Gemeinschaften ein gleichberechtigtes und würdevolles  Leben zu ermöglichen, sind als Aufgaben für kommende Generationen zu verstehen.