Kunst und Nationalsozialismus

„Emil Nolde. Eine deutsche Legende“ und „Flucht in die Bilder?“ – zwei vieldiskutierte Ausstellungen in Berlin

Emil Nolde: „Das verlorene Paradies“

Unser Blick auf den Maler Emil Nolde wird sich verändern müssen: Nolde ein überzeugter Nationalsozialist, der in der Nachkriegszeit seine Biografie „umgeschrieben“ hat? Dass er Mitglied der Nazipartei war und dennoch als „entarteter“ Künstler von den Nazis geächtet wurde, das wusste man. Aber jetzt hat die Stiftung Ada und Emil Nolde in Seebüll sein Archiv geöffnet und zwei unabhängige Wissenschaftler, Bernhard Fulda und Aya Soika, mit der Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit Noldes beauftragt – und da ergeben sich neue Fakten: Nolde erhoffte vom NS-Regime die Anerkennung als Staatskünstler, er blieb die ganze Nazi-Zeit überzeugtes Mitglied der NSDAP und Antisemit und versuchte vergeblich, die Nazi-Größen zu überzeugen, dass er wegen seiner modernen Malerei kein „entarteter“ Künstler sei. Es gelang ihm dann auch, dass seine Gemälde Ende 1938 aus der Wanderausstellung der „Entarteten Kunst“ entfernt wurden. Aber 1941 wurde er dennoch aus der Reichskammer der bildenden Künste ausgeschlossen und erhielt Ausstellungs-, Verkaufs- und Publikationsverbot.

Die „Ungemalten Bilder“, die kleinformatigen Aquarelle, die er trotz „Malverbotes“ insgeheim in seinem Seebüller Wohnsitz gemalt haben will und die ihn dann in der Nachkriegszeit zum Vertreter einer „inneren Emigration“ erhoben, sind zum großen Teil schon vor 1933 oder erst nach 1945 entstanden. Denn Zeichnungen oder Aquarelle als Vorbilder für Gemälde zu verwenden, war schon vor 1914 integrativer Bestandteil von Noldes künstlerischem Schaffen. Der Begriff der „Ungemalten Bilder“ eignete sich nach 1945 vorzüglich, um das erlittene Berufsverbot zu dramatisieren und sich somit als Opfer des Nationalsozialismus zu stilisieren.
Die Ergebnisse der Recherchen werden nun in einer Ausstellung der Staatlichen Museen zu Berlin im Hamburger Bahnhof vorgestellt. Sie umfasst sowohl authentische Quellenbelege als auch das in der NS- und der Nachkriegszeit entstandene künstlerische Werk. Noldes private Inszenierung, die Hängung seiner Gemälde und Aquarelle im sogenannten Bilderraum seines Seebüller Hauses, konnte rekonstruiert werden: Es waren norddeutsche Landschaften und Meeresbilder, Stillleben und Blumenbilder aus allen Zeitabschnitten. Abgesehen von Titeln wie „Heiliges Feuer“ oder „Heiliges Opfer“ (beide 1940) oder auch blonden und blauäugigen Kindern haben sie aber nichts mit der NS-„Blut- und Boden“-Ideologie zu tun. 

Nolde hat nach dem Krieg – das kann in der Ausstellung unmissverständlich gezeigt werden – seine Rolle während der Nazi-Zeit durch Auslassungen und Ergänzungen in eine „Heldenerzählung“ verwandelt. Er wurde nun als verfolgter „Wegbereiter einer neuen deutschen Kunst“ und als Opfer der NS-Kunstpolitik wahrgenommen. Der Welterfolg von Siegfried Lenz’ Roman „Deutschstunde“ (1968), der das Berufsverbot Noldes im NS-Regime hervorhebt, hat ihn endgültig zu einem verfolgten Künstler der Moderne im Widerstand gegen das NS-Regime werden lassen. 1971 hingen dann drei der „Ungemalten Bilder“ auch schon in der Residenz von Bundespräsident Gustav Heinemann.

Um Missverständnisse auszuschließen: Nolde ist ein großer Künstler, er bleibt der Altmeister der Moderne – und es geht überhaupt nicht darum, seine Bilder, von denen eine große spirituelle Kraft ausgeht, jetzt aus den Museen zu entfernen oder keine Nolde-Ausstellungen mehr durchzuführen. Aber man muss nun nicht nur mit dem Widerspruch Nolde als überzeugter Nationalsozialist und zugleich als „entarteter“ Künstler im Nazi-Regime, sondern auch dem eines großen Künstlers und eines nicht die Maßstäbe eines großen Künstlertums erfüllenden Charakters leben. Wir werden weiter die Bilder Noldes bewundern, aus ihnen Kraft für die eigene Lebensbefindlichkeit schöpfen, haben aber nunmehr an die Biografie Noldes höchst kritische Fragen zu stellen. Werk und Biografie, autobio-grafische Selbststilisierung und Werkrezeption sind im Falle Noldes nicht mehr zu trennen. Damit werden aber auch neue Blickweisen auf die Dynamik von Kunstin-szenierung und künstlerischer Identität, von Kunstwerk und Künstlerbiografie eröffnet. Große Kunst verselbständigt sich aber auch, wächst über die Biografie, den jeweiligen Charakter des Künstlers hinaus.

Anders ist die Situation der einstigen „Brücke“-Künstler Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Max Pechstein in der NS-Zeit, wie sie zeitgleich die Ausstellung „Flucht in die Bilder?“ im Brücke-Museum  zeigt. Hier soll das Bild des von den Nazis als „entartet“ diffamierten Expressionismus differenzierter betrachtet werden als bisher. Bei Pechstein, Schmidt-Rottluff und Heckel seien die NS-Ideen durchaus nicht nur auf Ablehnung gestoßen. Der Begriff der „inneren Emigration“, den man bisher für sie in Anwendung brachte, wird hier neu erörtert. In den ersten Jahren des Nationalsozialismus konnten sie ihre Werke noch in Galerien und Kunstvereinen ausstellen und finanziell einigermaßen zurechtkommen. Es bestand zunächst noch die Hoffnung, den Expressionismus als nordisch-deutsches Gegenmodell zum französisch inspirierten Impressionismus zu legitimieren. Doch dann wurden ihre Werke 1937 in der Ausstellung „Entartete Kunst“ an den Pranger gestellt. Wie die Künstler in den letzten Kriegsjahren ihre Existenz sicherten, war individuell sehr unterschiedlich, ihre Ateliers waren zerstört, die Aktionsbedingungen aber weniger von den offiziellen Maßgaben abhängig als von ihren persönlichen Verbindungen, Lebens- und Existenzbedingungen. Ihre Malerei in der Nazi-Zeit kann man zwar nicht gerade als „Widerstandskunst“ bezeichnen, aber doch als bewussten Rückzug aus der Öffentlichkeit. Ihre Landschaftsmalerei als „Metapher des Widerstands“ zu benennen, dürfte wohl nach wie vor seine Berechtigung haben, jedenfalls kann von einer Visualisierung der NS-Symbolik keine Rede sein.

Ernst Ludwig Kirchner, Gründungsmitglied der „Brücke“, hatte schon 1917 Deutschland verlassen und sich in die Schweiz zurückgezogen. Mag er auch anfangs einige Hoffnungen in die NS-Kunstpolitik gesetzt haben, wurde dann seine Haltung dem NS-Regime – vor allem auch Emil Nolde – gegenüber unmissverständlich. Nachdem 32 seiner Arbeiten in der Ausstellung „Entartete Kunst“ ausgestellt und er aus der Preußischen Akademie der Künste ausgeschlossen worden war, schrieb er im Februar 1938 an seinen Bruder: „Ich bin durch die deutschen Ereignisse tief erschüttert und doch bin ich stolz darauf, dass die braunen Bilderstürmer auch meine Werke verfolgen und vernichten. Ich würde es als Schmach empfinden, von ihnen geduldet zu werden“. Vier Monate später ging er in den Tod – aus Verzweiflung über die geistige und politische Entwicklung in Deutschland, die Diffamierung seiner Kunst und seine zunehmende körperliche Schwäche.
Zwei Ausstellungen also, die heftigen Disput auslösen und doch heilsame Wahrheiten vermitteln.

„Emil Nolde, Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“. Staatliche Museen zu Berlin, Hamburger Bahnhof, bis 15. September. Katalog 39 Euro. – „Flucht in die Bilder? Die Künstler der ‚Brücke’ im Nationalsozialismus“. Brücke-Museum, bis 11. August. Katalog 29,90 Euro.