Ligia Macovei und Tudor Arghezi

Monotypien und Zeichnungen auf Gedichte im Museum Macovei in Bukarest

Kunstsammlung Ligia und Pompiliu Macovei
Foto: Facebook

In der Kunstsammlung Ligia und Pompiliu Macovei, die in der privaten Residenz des Stifterpaares am Fuße des Bukarester Patriarchie-Hügels in der Straße des 11. Juni 36-38 der Öffentlichkeit zugänglich ist, kann derzeit und noch bis zum 18. Juli 2021 eine Ausstellung von Monotypien und Zeichnungen Ligia Macoveis bewundert werden, die allesamt auf das lyrische Werk von Tudor Arghezi Bezug nehmen.

Es handelt sich um insgesamt zwölf ausgewählte Kunstwerke von Ligia Macovei, um Monotypien mit Gouache und Tusche sowie um Federzeichnungen, die in mehreren Räumen der Stiftervilla auf Staffeleien ausgestellt sind. Bereits der Eingang zu den Museumssälen ist von zwei Werken Ligia Macoveis flankiert. Die rechts von der Eingangstür plat-zierte Federzeichnung „A{teptare“ (Erwartung) aus dem Jahre 1966 spielt mit ihrem Titel auf zwei gleichnamige Gedichte Tudor Arghezis an, wobei das Gedicht aus „Cadenţe“ (1964) besser zu der auf ein Kissen gebetteten Schläferin, die im Traum dem Geflüster ihrer Nachtgedanken zu lauschen scheint, passt als das gleichnamige Gedicht aus „Poeme noi“ (1963).

Während diese Tuschezeichnung, wenn man von dem über dem Haupt der Schläferin wabernden abstrakten Traumgebilde absieht, noch ganz dem Figuralen und Gegenständlichen verhaftet ist, verlässt die links von der Eingangstür aufgestellte farbige Monotypie mit dem Titel „Experiment“ den Bereich des Figurativen nahezu vollständig und diffundiert ins Ungegenständliche. Zur Not mag man darin noch ein Porträt erkennen, doch befinden wir uns hier bereits im Reich der abstrakten Formgebung. Der Bezug zur Lyrik Arghezis lässt sich kaum über den Titel des Werkes herstellen – kein Poem Arghezis trägt eine solche Überschrift –, allenfalls über das Konzept von Welt, das Ligia Macovei in Arghezis Lyrik namhaft gemacht und zur Darstellung gebracht hat.

In der kunstgeschichtlichen Bibliothek des Stifterpaares im zentralen Trakt des Museums Macovei sind weitere Werke der temporären Ausstellung zu bewundern. Unter dem Titel „Transfigurare“ (Verklärung) findet sich hier die 1966 entstandene Monotypie einer jungen Frau, die den Kopf eines Stiers umarmt, der unter der Zärtlichkeit dieser Berührung sanft entschlummert ist. „Lasst schlafen mich … Ich bin ein Kind geworden …“ – so übersetzt Paul Celan den achten Vers dieses Gedichts, der genau auf die hier dargestellte Szene zu passen scheint. Neben diesem Gedicht aus „Cărticică de seară“ (1935) gibt es noch ein weiteres Gedicht desselben Titels aus „Una sută una poeme“ (1947), das jedoch weniger den Geist des Macoveischen Kunstwerks atmet. Tudor Arghezis Gedicht „Dar ochii tăi?“ (Doch deine Augen?) aus „Cântare omului“ (1956) wird in einer weiteren Monotypie Ligia Macoveis aus dem Jahre 1966 künstlerisch umgesetzt, und die Monotypie „Până atunci“ (Bis dann) entwirft einen polychromen abstrakten Bildraum, an dessen unterem Rand ein an einer Feuerstelle hockender Mensch sichtbar wird, von der Rauch aufsteigt, welcher sich dann auf der gesamten Bildfläche vielfarbig entfaltet.

Die restlichen sieben Kunstwerke dieser temporären Ausstellung finden sich dann in den beiden Sälen linkerhand der Zentralachse. Hier stößt man auf ein Selbstporträt der Künstlerin: das Gesicht mit tiefen melancholischen Augen und, isoliert davon, eine Hand mit einem Taschen- oder Tränentuch. Hier könnte man an Arghezis Gedicht „Melancolie“ (Melancholie) aus seinem Lyrikband „Cuvinte potrivite“ (1927) denken.

Zum Gedicht „Blesteme“ (Verfluchung) aus demselben Band gibt es eine fast ins surrealistische gehende Illustration: die Darstellung eines entstellten Körpers mit herausquellender Zunge und einem einzigen Auge, das isoliert auf dem Scheitel jenes gequälten Menschenwesens zu sitzen scheint. Zwei Verse aus dem langen Poem Arghezis (in der Übersetzung Alfred Margul-Sperbers, von dem auch die Übersetzung des genannten Gedichttitels stammt) lauten: „Die Zunge, zwischen den Lippen geschwollen, / Soll Licht schlecken und das Licht soll nicht wollen.“

Hochinteressant ist die Macoveische Federzeichnung mit dem Titel „Psalm“, die einen Baum darstellt, der die Form eines auf die Knie gefallenen Menschen, vielleicht eines Beters, angenommen hat. Hier hat man die Auswahl unter mehr als einem Dutzend Gedichten Arghezis mit dem Titel „Psalm“, um verborgenen Bezügen zwischen dem bildnerischen und den gleichnamigen literarischen Kunstwerken nachzuspüren. 

Die letzten vier Illustrationen der temporären Ausstellung sind so präsentiert, dass der Betrachter auf der jeweiligen Staffelei nicht nur das Macoveische Bild, sondern auch das betreffende Arghezische Gedicht vorfindet. Das Gedicht „Cuvinte stricate“ (Kaputte Wörter) aus „Mărţişoare“ (1936) wird bildnerisch als Doppelporträt inszeniert, wobei sich die einander begegnenden Häupter in innere Landschaften aufzulösen scheinen. Auch in Arghezis „Sarcină sacră“ (Heilige Pflicht) aus „Una sută una poeme“ (1947) oder in „Vaca lui Dumnezeu“ (Die Kuh Gottes) aus „Cărticică de seară“ (1935) ergeben sich Bezüge zu den gleichnamigen Werken Ligia Macoveis, wobei die Kuh des letztgenannten Poems von Arghezi bei Macovei eher einer Ziege ähnelt.

Das Gedicht „Doliu“ (Trauer) aus „Cuvinte potrivite“ (1927) wird in einer Tuschezeichnung Ligia Macoveis bildnerisch Gestalt: zwei vor die weinenden Augen gehaltene Hände, Haarsträhnen, die sich in Tränenschnüre verwandeln, weisen auf die ersten Verse des Arghezischen Gedichts, hier in der deutschen Übersetzung von Heinz Kahlau: „Du wirst von nun an nichts mehr sehn – / Nicht Himmel und nicht Blumen. / Sie sind vor deinem Blick verweht / Wie Wolken.“

Gleich daneben kann man in einer Vitrine weitere vier Arghezi-Illustrationen von Ligia Macovei genießen, die allerdings zur ständigen Ausstellung des Museums Macovei gehören. Unter ihnen sticht das Porträt der Tänzerin Rada hervor, die Arghezi in dem gleichnamigen Gedicht aus „Flori de mucigai“ (1931) verewigt hat. Hier sind malerische Bezüge zu Picasso offensichtlich, wie übrigens auch in zahlreichen der oben genannten Werke Ligia Macoveis, man denke nur an die Prävalenz des Stiermotivs.

In derselben Vitrine sieht man auch die von Ligia Macovei illustrierte Ausgabe von Gedichten Tudor Arghezis, die 1970 unter dem Titel „Poezii“ erschienen ist. Die bibliophile Edition zeigt auf der aufgeschlagenen Seite eine Passage aus Arghezis Gedicht „Duhovniceasc²“ (Ketzerbeichte), in dem eine Welt des Todes beschworen wird, wo nicht nur die Mutter, sondern auch Grivei, der Hund, das Zeitliche gesegnet hat: „Auch Strolch schob seine Nase tief / ins Fell und starb. Der Mais ist fort, / Thymian und Maulbeer sind verdorrt, / Vom Dachsims, den der Mond beschien, / Segler und Schwalben flohn dahin.“ (Übersetzung des Titels wie der Verse von Heinz Kahlau).

Abgesehen von diesen Illustrationen literarischer Werke, außerdem auch von Mihai Eminescu, bergen die fünf Räume im Erdgeschoss der Macoveischen Privatvilla, die anfangs des 20. Jahrhunderts im französischen Stil erbaut wurde, darüber hinaus eine Vielzahl von Kunstschätzen, deren Besuch sich unabhängig von der erwähnten temporären Ausstellung auf jeden Fall lohnt. Zahlreiche Gemälde sowie eine große Anzahl von Kunstgegenständen und kunstgewerblichen Erzeugnissen aus vielen geschichtlichen Epochen und aus allen Teilen der Welt, die das Ehepaar Macovei im Laufe der Jahre zusammengetragen hat, laden zu längerem Verweilen in diesen exquisiten Räumen ein.