Literatur und literarisches Leben in Beziehung zur Zeitgeschichte

Folge 3/2011 der Vierteljahresschrift „Spiegelungen“

Literatur und literarisches Leben in ihrer engen Beziehung zur Zeitgeschichte könnte als das Schwerpunktthema von Folge 3/2011 der Vierteljahresschrift „Spiegelungen“ bezeichnet werden, die im Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS), einem An-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München, erscheint. Darin dokumentiert ist zunächst die Verleihung des Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreises 2011, mit dem in diesem Jahr die beiden Literaturwissenschaftler Hon.-Prof. Dr. Stefan Sienerth und Hon.-Prof. Dr. Peter Motzan auf dem Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl geehrt worden waren. Nachgelesen werden kann neben den Dankreden der Preisträger die Laudatio, die der bekannte, aus dem Banat stammende Schriftsteller und Publizist Richard Wagner auf die beiden Germanisten verfasste, indem er deren Leistung als Forscher noch im kommunistischen Rumänien und danach in Deutschland würdigend umriss. Er zeigte dabei auch auf, wie sie in nach der politischen Wende möglich gewordenen Forschungsprojekten eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem rumäniendeutschen Kultur- und Literaturbetrieb unter den Bedingungen geheimdienstlicher Überwachung und Bespitzelung in die Wege leiteten und zu diesem Thema erste Erkenntnisse einer dokumentengestützten Recherche präsentierten, sei es in eigenen Forschungsberichten oder durch Tagungen, die IKGS-Direktor Sienerth und sein Stellvertreter Motzan initiiert und mit beachtlichem Echo in der Öffentlichkeit umgesetzt hatten.

So war es denn sicherlich kein Zufall, dass der Umgang mit den Akten der Securitate auch Gegenstand einer lebhaften Podiumsdiskussion auf dem Heimattag 2011 in Dinkelsbühl war, über die Petra Volkmer im „Forum“ der Spiegelungen berichtet, und zwar unter Einbeziehung der Festvorträge, die die Preisträger zu einschlägigen Themen gehalten hatten: Peter Motzan über die Securitate-Akte von Alfred Margul-Sperber und Hermine Pilder-Klein, Stefan Sienerth über die des Dichters Georg Hoprich (1938–1969). Der Vortrag Sienerths ist im vorliegenden Heft der Zeitschrift in wesentlich erweiterter Fassung unter dem Titel „Die Wirrnis wurde Lebenslauf“ abgedruckt. Aufgrund eines minutiösen Aktenstudiums wird ein erschütternder Einblick in eine Existenz unter der Diktatur geboten und in der Analyse nachvollziehbar gemacht, wie die Lebensplanung dieses jungen Autors durch die Machenschaften der Securitate und ihrer Helfershelfer systematisch zerstört wurde. Erstmalig veröffentlichte Bilddokumente aus dem Familienarchiv, darunter Fotos und von Roswith Pastior-Capesius gemalte Bildnisse von Georg Hoprich und Oskar Pastior, mit dem er eng befreundet war, sind dem Beitrag beigegeben.

Literatur- und zeitgeschichtlich ausgerichtet ist auch die von Michaela Nowotnick vorgelegte Untersuchung zum Literaturkreis deutscher Studenten in Klausenburg/Cluj (1957–1958), der unter dem Namen „Josef Marlin“ den dortigen Studenten behilflich sein sollte, ihre nationale und kulturelle Identität zu pflegen, bis er von den kommunistischen Behörden der Gheorghe-Gheorghiu-Dej-Ära aufgelöst wurde („Es ging uns nicht um die Zukunft des Regimes, sondern um unsere Zukunft im Regime“). Die Autorin, die an der Humboldt-Universität zu Berlin wirkt, stützt ihre Ausführungen auf Dokumente aus dem Vorlass des Schriftstellers und ehemaligen Kreisvorsitzenden Eginald Schlattner, der von der Forscherin im Zentralarchiv der Evangelischen Landeskirche in Hermanstadt/Sibiu studiert werden konnte.

Einen neuesten Beleg für das in den letzten Jahrzehnten anwachsende wissenschaftliche Interesse, dessen sich in Slowenien die Erschließung der dortigen deutschen Pressetradition erfreut, liefert die Germanistin Petra Kramberger, die in diesem Jahr an der Universität Laibach/Ljubljana mit einer Arbeit über das Feuilleton der Zeitschrift „Südsteirische Post“ promovierte: In ihrem Beitrag für „Spiegelungen“ behandelt sie die deutschsprachige Presse in der untersteirischen Stadt Marburg an der Drau/Maribor (1862–1900).

Der bekannte Germanist und Kulturpreisträger Hon.-Prof. Dr. Peter Motzan ist in der Zeitschrift ein weiteres Mal präsent. Der stellvertretende IKGS-Direktor, Mitherausgeber und langjährige verdienstvolle Mitarbeiter der „Spiegelungen“ wird zu seinem 65. Geburtstag und zum Eintritt in den Ruhestand von Juliane Brandt gewürdigt. An den 50. Geburtstag des Sprachwissenschaftlers Prof. Dr. Jörg Meier, der sich auch als Vorsitzender des „Karpatendeutschen Kulturwerks“ in Karlsruhe und als Vorsitzender im Vorstand der „Stiftung Karpatendeutsches Kulturerbe“ um die Slowakeideutschen besondere Verdienste erworben hat, erinnert Hans Kobialka. Dr. Franz Metz verfasste den Nachruf auf den im Banat geborenen rumäniendeutschen Komponisten und Musikwissenschaftler Andreas Porfetye (1927–2011). Weitere Nachrufe sind Otto von Habsburg (1912–2011) und dem Fünfkirchner Germanisten Béla Szende (1936–2011) gewidmet. Die „Rundschau“ informiert u. a. auch über ein Projekt zur Digitalisierung historischer deutschsprachiger Periodika aus Mittel- und Osteuropa, das am Südost-Institut Regensburg von den Osteuropa-Historikern Tillmann Tegeler und Albert Weber durchgeführt wird. Neben bekannten Tageszeitungen wie „Marburger Zeitung“ oder „Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt“ sollen auch kurzlebige Periodika, z. B. Blätter aus der Zeit der Ungarischen Räterepublik berücksichtigt werden.