Luthers Reformation und ihre Folgen

Germanistisch-kulturwissenschaftliche Tagung an der Universität Bukarest

Vorige Woche fand im Ratssaal der Fakultät für Fremdsprachen der Universität Bukarest ein mehrtägiger internationaler Kongress statt, der vom Germanistischen Seminar der Universität in Verbindung mit der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens veranstaltet wurde. Die multidisziplinäre Tagung mit zahlreichen Gästen aus dem europäischen Ausland befasste sich, anlässlich des weltweit gefeierten 500. Jahrestages von Luthers Wittenberger Thesenanschlag, mit der Reformation und ihren Auswirkungen auf Gesamteuropa, speziell auf den deutschen, niederländischen und skandinavischen Kulturraum.

Die protestantische Reformation war ab ovo kein isoliertes theologisches Ereignis, sondern bereits von Anbeginn an ein in Rezeption übergegangenes Phänomen, das auf Politik, Gesellschaft, Musik, Kunst, Literatur, Kultur und die gesamte Lebenswelt der damaligen europäischen Territorien gleichermaßen ausstrahlte. So verfasste beispielsweise der Nürnberger Schuhmacher und Meistersinger Hans Sachs im Jahre 1523 ein Gedicht über Luther mit dem poetischen Titel „Die Wittenbergische Nachtigall, die man jetzt höret überall“, in dem er die Papstkirche verurteilte und die neue Lehre des Reformators pries. Und zwei Jahre später nahm Sachs’ Heimatstadt, die Freie Reichsstadt Nürnberg, als ganze den neuen Glauben an und wurde damit zur ersten evangelischen Stadt in Deutschland.


Mehrere Vorträge des Bukarester Kongresses widmeten sich dieser zeitgenössischen Rezeption des Wittenberger Reformators und seiner neuen Lehre. Die Bukarester Literaturwissenschaftlerin Ioana Crăciun-Fischer zeigte, wie der Hallenser Dominikaner Michael Vehe in seiner Übersetzung des Psalms 130 aus dem Jahre 1537 auf die Luthersche Übersetzung desselben Psalms aus dem Jahre 1524 Bezug nahm und ihr ein dezidiert katholisch-gegenreformatorisches Verständnis entgegensetzte. Der Bukarester Übersetzungswissenschaftler Mihai Draganovici erläuterte anhand von zahlreichen Bibelstellen eines der Übersetzungsprinzipien Martin Luthers, nämlich „dem Volk aufs Maul zu schauen“ und dadurch zu einer lebendigen, anschaulichen und wirkungsmächtigen Übersetzung des Bibeltextes zu gelangen. Kathrin Steyer vom Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim beschäftigte sich mit dem Weiterleben und -wirken von Luthers Sprichwörtern in der deutschen Sprache, während sich Ĺsa Apelkvist (Bukarest) mit Bibel-Phraseologismen im Schwedischen und Deutschen aus kontrastiver Sicht befasste.

Der Direktor des Germanistischen Seminars der Universität Bukarest, Gabriel H. Decuble, der als Initiator, Organisator und wissenschaftlicher Berater maßgeblich zum Gelingen der Bukarester Reformations-Tagung beitrug, verortete in seinem Vortrag die Entstehung des Journalismus in den christologischen Diskussionen des 16. Jahrhunderts, sei es im sog. Abendmahlsstreit, der neben der katholischen auch eine Vielfalt evangelischer Positionen (Luther, Zwingli, Calvin) zu Gehör brachte, sei es in den Evangelienharmonien oder in den Bekenntnisschriften der Reformationsepoche.

Mit der künstlerischen Wirkung der Reformation auf Luthers Zeitgenossen beschäftigten sich zwei Vorträge von Bukarester Germanistinnen: Cristina Dogaru sprach über das Bild der Reformation in den Werken der Malerfamilie Cranach, und Raluca Rădulescu untersuchte das Werk des niederländischen Malers Hieronymus Bosch unter dem thematischen Fokus der Hybridität als Kontinuum.


Der italienisch-schweizerische Sprach-, Kultur- und Wirtschaftswissenschaftler Antonio Loprieno, von 2005 bis 2015 Rektor der Universität Basel, hielt auf dem Bukarester Kongress einen Vortrag über den Einfluss der Reformation auf die europäische Universitätsgeschichte, wobei er vor allem die Unterschiede zwischen den nördlichen (deutschen, schweizerischen, französischen, englischen) und südlichen (italienischen, spanischen) Universitäten Europas im Hinblick auf die institutionelle Integration des Faches Theologie beleuchtete. Iulia Niţescu (Bukarest) ging in ihrem Vortrag über Reformation und Königsmacht im Schweden des 16. Jahrhunderts insbesondere auf Gustav I. Wasa ein, der seit seiner Wahl zum schwedischen König im Jahre 1523 die Reformation in seinem Reich vorantrieb und 1527, ein Jahr vor seiner Krönung im Dom von Uppsala, anstelle des Papstes zum Oberhaupt der schwedischen Kirche bestimmt wurde.

Weitere Vorträge des Bukarester Kongresses thematisierten die Wirkung der Reformation in Rumänien. Ileana Ratcu (Bukarest) sprach über zwei Urkunden des 1509 in der Nähe von Wien geborenen, später in Hermannstadt sesshaft gewordenen und dort zum Protestantismus konvertierten Konrad Haas, der sich als Militärtechniker und Raketenpionier einen Namen gemacht hat und von dem gleichwohl die schönen Sätze stammen: „Aber mein Rat wäre: Friede und kein Krieg! Die Büchse dort unter dem Dach gelassen! Dann würde keine Kugel verschossen, kein Pulver verbrannt oder nass. Der Fürst behielte sein Geld, der Büchsenmeister sein Leben. Das ist der Rat, den Konrad Haas tut geben.“ Und Thomas Şindilariu, Direktor des Archivs der Kronstädter Honterus-Gemeinde, sprach über die Reformation im Burzenland und präsentierte dabei die vom Deutschen Kulturforum östliches Europa konzipierte Wanderausstellung „Die protestantische Reformation in Siebenbürgen“, die voraussichtlich vom 24. November bis zum 4. Dezember in der Nationalbibliothek Bukarest erneut zu sehen sein wird.


Der Direktor der Sammlungen des Nationalen Erziehungsmuseums der Niederlande in Dordrecht, Jacques Dane, sprach über die Darstellung Martin Luthers und der Reformation in niederländischen Schulgeschichtsbüchern des 19. und 20. Jahrhunderts, wobei er unter anderem auf das Fortleben der Feier des Heiligen Nikolaus in den protestantischen Niederlanden einging und zudem die Rolle des kollektiven Gedächtnisses bei der Rezeption reformatorischen Gedankengutes betonte. Björn Apelkvist (Bukarest) befasste sich in seinem Vortrag über den schwedischen Filmregisseur Ingmar Bergman vor allem mit dessen Autobiografie „Laterna Magica“, wobei er nicht nur auf die lichten, sondern auch auf die dunklen Seiten protestantischer Erziehung einging, bei der Selbstdisziplin und Pflichtgefühl zuweilen und gänzlich unevangelisch mit Gewissensqual und Strafangst einhergehen, wie dies z. B. auch in Michael Hanekes Film „Das weiße Band“ aus dem Jahre 2009 eindrücklich zur Darstellung kommt.


Zwei Vorträge beleuchteten die Rezeption der protestantischen Reformbewegung des Pietismus in der deutschen Literatur: Jesús Pérez García von der Universität Valladolid referierte über Johann Gottfried Schnabels Roman „Insel Felsenburg“ (1731-1743), und Carmen Iliescu (Bukarest) sprach über hoch emotionalisierte Subjekte im literarischen Diskurs des 18. Jahrhunderts am Beispiel eines fingierten Briefes des jungen Goethe aus dem Jahre 1773, in dem sich der Stürmer und Dränger mit der protestantischen Gefühlsfrömmigkeit intensiv auseinandersetzte.


Christel Baltes-Löhr, Gender-Forscherin an der Universität Luxemburg, sprach im Zusammenhang der von ihr ausführlich erörterten Figur des Kontinuums über die Geschlechterverhältnisse während des Reformationszeitalters, während Mihaela Zaharia (Bukarest) reformatorischen Elementen im Werk des österreichischen Schriftstellers Robert Müller nachspürte. Die Bukarester Didaktikerin Marianne Koch hielt einen Vortrag über den aus Mediasch gebürtigen siebenbürgisch-sächsischen Schriftsteller Schuster Dutz und seine humoristischen, im sächsischen Dialekt gehaltenen Gedichte, während die Bukarester Sprachwissenschaftlerin Ruxandra Cosma über das Segment des evangelischen Glaubens im Bestand deutscher Lehnwörter im Rumänischen referierte. Ioana-Hermine Fierbin]eanu (Bukarest) widmete ihren Beitrag zur Reformationsthematik den Anredeformen innerhalb geistlicher Gemeinschaften im deutschen und rumänischen Kulturkreis.

Drei Vorträge machten besonders deutlich, dass Luthers Reformation historisch kein abgeschlossenes Kapitel darstellt, sondern die Kultur der Gegenwart in Literatur, Film und Publizistik nach wie vor beschäftigt. Die an der Universität Bukarest tätige Lektorin des Österreichischen Austauschdienstes (OeAD), Susanna Konnerth, sprach über den Wittenberger Reformator als Romangestalt in Feridun Zaimoglus Luther-Roman „Evangelio“ (2017); die Bukarester Lektorin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), Sabine Ple{u, referierte über den Film „Katharina Luther“ (2017) der deutschen Regisseurin Julia von Heinz; und die Bukares-ter Literaturwissenschaftlerin Alexandra Nicolaescu setzte sich mit der vor fünf Jahren erschienenen Luther-Biografie des deutschen Historikers Heinz Schilling auseinander, wobei ihr Vortrag, wie durchweg sämtliche zuvor genannten, Anlass zu wissenschaftlich ergiebigen und intellektuell fruchtbaren Diskussionen über die Errungenschaften von Martin Luthers Reformation in Geschichte und Gegenwart bot.