Mallarmé und Platon mit spanischem Flair

Konzert des Radioorchesters unter Gabriel Bebe{elea mit Liviu Prunaru als Solisten

Am vergangenen Freitag war das Sinfonieorchester des Rumänischen Rundfunks im Bukarester Mihail-Jora-Saal mit einem erlesenen Konzertprogramm zu vernehmen. Im Mittelpunkt stand die Serenade für Solovioline, Streicher, Harfe und Schlagwerk von Leonard Bernstein, das einzige Violinkonzert des berühmten amerikanischen Musicalkomponisten. Umrahmt wurde dieses Werk aus dem Jahre 1954 von Kompositionen zweier französischer Impressionisten aus der Zeit des Übergangs vom 19. zum 20. Jahrhundert: von Claude Debussys sinfonischer Dichtung „Prélude ŕ l’aprčs-midi d’un faune“ (Vorspiel zum Nachmittag eines Fauns) und von Ravels Orchesterwerken „Alborada del gracioso“ (Morgenlied des Narren) sowie seiner „Rapsodie espagnole“ (Spanische Rhapsodie).

Der junge rumänische Dirigent Gabriel Bebe{elea, der schon zahlreiche nationale und internationale Sinfonieorchester geleitet hat und derzeit in Wien lebt, eröffnete den Konzertabend mit einem Hauptwerk des musikalischen Impressionismus und zugleich einem der frühesten Werke der musikalischen Moderne: mit Claude Debussys 1894 in Paris uraufgeführtem instrumentalem Opus „Prélude ŕ l’aprčs-midi d’un faune“ nach dem gleichnamigen Gedicht von Stéphane Mallarmé. Das Rumänische Rundfunkorchester ließ die reiche Klangwelt des französischen Impressionismus differenziert erstehen und erweckte mit seinen fein aufeinander abgestimmten Instrumentengruppen und den zahlreichen solistischen Einlagen ein stimmungsvolles Ambiente, das die Atmosphäre jenes von Begierden und Träumen durchwirkten Nachmittages eines zur Lust bereiten Fauns in den Großen Saal des Rumänischen Rundfunks zauberte.

Das Thema der Lust und des Eros wurde dann im Hauptwerk des Konzertabends, in Leonard Bernsteins Serenade für Solovioline, Streicher, Harfe und Schlagwerk, fortgeführt, denn die fünf Sätze des Bernsteinschen Violinkonzertes sind sämtlich Teilnehmern jenes berühmten antiken Festgelages gewidmet, das aus der Feder Platons als philosophisches „Symposion“ in die Weltliteratur einging. Bernstein selbst hat nach der Vollendung seiner Serenade die enge Beziehung von philosophischem Text und musikalischem Geschehen in einer Reihe von Hinweisen an die Hörer unterstrichen. Die Preisung des Eros durch Phaidros wird im ersten Satz des Violinkonzertes durch ein von der Solovioline begonnenes Fugato in Musik umgesetzt. Auf das Lento folgt ein Allegro, in dem Pausanias die Dualität von Liebendem und Geliebten erörtert. Der Aristophanes gewidmete zweite Satz, ein Allegretto, nimmt thematische Elemente des ersten Satzes wieder auf und fügt sie zu einem Kanon zusammen, in dem die Mythologie der Liebe in einer Atmosphäre ruhigen Zaubers beschworen wird. Der dritte Satz ist ein wildes Presto, in dem Eryximachos, der Arzt und Naturwissenschaftler, seinen Beitrag zur philosophischen Diskussion leistet, dem Scherzo-Charakter dieses kurzen Mittelsatzes gemäß mit viel Humor, Verve und Witz, der wie ein Feuerwerk verglüht und wie ein Spuk verfliegt.

Auch in diesem rauschhaft bewegten Satz kehren Elemente der vorigen Sätze wieder, die somit, wie in Platons „Symposion“ selbst, allesamt thematisch ineinandergreifen. Der vierte Satz, ein längeres Adagio, das dem Gastgeber des Trinkgelages Agathon gewidmet ist, ist ein panegyrischer Lobpreis auf die Liebe, der in seinen drei Teilen der Solovioline viel Raum zur klanglichen Entfaltung bietet. Der fünfte und letzte Satz, in dem Sokrates und Alkibiades zu Worte kommen, beschwört nicht nur den philosophischen Eros (molto tenuto), sondern auch die körperliche Liebe (allegro molto vivace). Im fulminanten Schlussauftritt des Alkibiades kommen plötzlich auch Jazz-Elemente zum Tragen und die lebenslustige, überbordende Daseinsfreude des Bernsteinschen Musicalschaffens, die man in den ersten vier Sätzen fast ein wenig vermisst hat, ergreift am Ende ganz Besitz von der Konzertbühne.

Liviu Prunaru und seine Stradivari „Pachoud“ aus dem Jahre 1694 schufen, sei es nun in den lyrischen, sei es auch in den dramatischen Passagen des Bernsteinschen Violinkonzertes, wunderbare Klangerlebnisse, die an den atmosphärischen Reichtum des Debussyschen Eingangsstückes anknüpften, ja, es schien so, als habe Bernstein selbst, im Leitmotiv der vier absteigenden Halbtonschritte, an Debussys Hauptmotiv in „Prélude ŕ l’aprčs-midi d’un faune“ melodisch angeknüpft und damit das Thema des philosophischen Eros musikalisch mit der Liebeslust der antiken Satyrn verbunden. Der aus Craiova gebürtige und in Bukarest ausgebildete Liviu Prunaru, der heute als Violinprofessor an der Internationalen Menuhin-Musik-Akademie im schweizerischen Gstaad wirkt und zugleich die Stelle des Konzertmeisters im weltberühmten Amsterdamer Concertgebouw-Orchester innehat, bemeisterte die großen technischen Schwierigkeiten, die das Bernsteinsche Violinkonzert bereithält, mit stupender Leichtigkeit und großer Virtuosität, die in der exquisiten Leistung des gesamten Orchesters und seiner solistisch aus ihm hervortretenden Instrumentalisten eine künstlerische Entsprechung erster Güte fanden.

Die Zugabe, die Liviu Prunaru und Gabriel Bebe{elea für die Zuhörerschaft im Mihail-Jora-Saal vorbereitet hatten, stellte gleichsam das Bindeglied zwischen dem ersten Konzertteil vor und dem zweiten nach der Pause dar. Sie knüpfte einerseits an das von Mallarmé und Platon entfaltete Liebesthema an, insofern mit Valentina Svyatlovskaya, der Ehefrau Liviu Prunarus, nun eine zweite Soloviolinistin mit ihrer Guarneri „Maria Theresia“ aus dem Jahre 1676 die Bühne betrat, um das hochvirtuose Konzertstück „Navarra“ (op. 33) für zwei Violinen mit Begleitung aus dem Jahre 1889 von Pablo de Sarasate gemeinsam mit Liviu Prunaru und dem Rumänischen Rundfunkorchester unter Gabriel Bebe{elea zu Gehör zu bringen. Das Bravourstück, das mit seinen fliegenden Wechseln zwischen gezupfter und gestrichener Saite, mit seinen Trillern und Doppelgriffen, mit seinen Flageoletts und Bariolagestellen, mit seinen jagenden Passagen in höchsten Lagen dem geigenden Ehepaar alles abverlangte, leitete zugleich über zu der spanischen Klangwelt, die in den beiden Werken, die nach der Pause dargeboten wurden, vorherrschte.

Zunächst erklang nach der Pause Maurice Ravels „Alborada del gracioso“, ein Stück, das in seiner ursprünglichen Klavierfassung 1906 in Paris, in seiner vom Komponisten selbst instrumentierten Orchesterfassung jedoch erst dreizehn Jahre später, ebenfalls in Paris, uraufgeführt wurde. Die überwältigenden Klangeindrücke dieses kurzen, alle musikalischen Register ziehenden sinfonischen Meisterwerkes wurden durch diejenigen des letzten Stückes des Konzertabends noch überboten. Maurice Ravels 1908 in Paris uraufgeführte „Rapsodie espagnole“ verbreitete mit ihren vier Sätzen „Prélude ŕ la nuit“, „Malagueńa“, „Habanera“ und „Feria“ spanisches Flair, durchsetzt mit afrokubanischen Rhythmen und karnevalesker Exuberanz, und ließ den instrumentalen Reichtum und die Farbenfülle impressionistischer Musik, die die Zuhörer bereits zu Beginn dieses fulminanten Konzertes hatten genießen können, am Ende meisterhaft wieder aufleben.