Maskenbälle, Avantgarde-Gebäude, drei Farben und ein Dreispitz

Kunstfestival „Art Safari 2022“ auf den Punkt gebracht

„Familienfeier“ (1878), Ölmalerei von Theodor Aman | Fotos: die Verfasserin

„Jaffa in Trümmern“, Grafik von Marcel Iancu

„Le Tricorne“ (1959), Grafik von Salvador Dalí

„Stillleben mit Erdbeeren“(1880), Theodor Aman

Bühnenbild für „Le Tricorne“ (1919), Grafik von Pablo Picasso

„Riskante Situation“, Acryl auf Leinwand, Irina Dragomir

Die neunte Auflage des alljährlichen Kunstfestivals „Art Safari“ verläuft heuer - nach dem durchschlagenden Erfolg der früheren Ausgaben, die 231.000 Kunstfreunde auf Kunstjagd verlockt haben – über fast drei Monate, bis zum 7. August.  Das größte Kunstfest in Rumänien findet erneut unter der Schirmherrschaft des Kulturministeriums und in Zusammenarbeit mit dem Bukarester Stadtmuseum für das zweite Jahr in Folge im Dacia-România-Palast (Str. Lipscani Nr. 18-20), einem historischen Baudenkmal im Renaissancestil  in der Bukarester Altstadt, statt. 

Einmalige, von dem berühmten  rumänischen Maler Theodor Aman, dem rumänisch-israelischen Maler und Architekten  Marcel Iancu, von Pablo Picasso, Salvador Dalí, der jungen Malerin Irina Dragomir und der deutschen Fotokünstlerin Barbara Klemm signierte Werke im Gesamtwert von über 14 Millionen Euro werden in fünf Pavillons ausgestellt. 

Theodor Aman: Rumänische Moderne

Der Museumspavillon ist heuer Theodor Aman, dem Meister der rumänischen Malerei des 19. Jahrhunderts, der als erster Vertreter der rumänischen Moderne gilt, gewidmet. Über 100 Werke Amans aus Museen landesweit und Privatsammlungen werden in dieser von Elena Olariu, stellvertretende Kunstdirektorin des Bukarester Stadtmuseums, kuratierten Galerie ausgestellt. 

Theodor Aman wurde 1831 als Sohn eines wohlhabenden Händlers in Craiova geboren und beendet seine Schuljahre in Bukarest. Weil er sowie andere jugendliche Zeitgenossen ein Unterstützer der 1848er Revolution war, ist er 1850 nach Paris für einen Studienaufenthalt an der École des Beaux-Arts ausgewandert. Mit nur 22 Jahren beginnt er dort im Öffentlichen auszustellen.

1858 kehrt Aman nach einer Forschungsreise nach Italien zurück nach Bukarest und erhält zahlreiche Aufträge für Porträts bedeutender zeitgenössischer Persönlichkeiten aus Politik und Kunst. Vom Staat wird er mit Gemälden zu historischen Sujets beauftragt. So sind seine berühmtesten Bilder die allegorische „Vereinigung der Fürstentümer“ und „Die Proklamation der Vereinigung der Fürstentümer (24. Januar 1859)“ –  heute im Wert von 350.000 Euro – entstanden. Die Stahlkrone für  König Karl I. und den Nationalorden Stern Rumäniens, welcher dem Künstler im Offiziersrang anschließend auch verliehen wird, entwarf ebenfalls Theo-dor Aman. 

Zusammen mit seinem Freund, Maler Gheorghe Tattarescu, gründet Theodor Aman 1864 in Bukarest die zweite Kunsthochschule im Südosten Europas, deren Leiter er mit nur 33 Jahren wird.

Familienhaus, Werkstatt und Kunstgalerie

Nach seiner Vermählung mit der Bojarin Ana Butculescu lässt Aman ein besonderes Haus im neoklassischen Stil im Herzen der Hauptstadt, auf der heutigen C.A. Rosetti Straße Nr. 8, bauen, das der Maler selber dekoriert. Das Aman-Haus sollte als Familienhaus des Ehepaars, Werkstatt für den Maler und Kunstgalerie fungieren. Dort fanden regelmäßig Künstlertreffen und Musikabende, bei denen der Meister am Cello sowie seine Stieftochter und Sopranistin Zoe ihren Gästen vorspielten und -sangen, statt. 

Aman entwickelt das Image eines lokalen Aristokraten, der das Aussehen eines westlichen Künstlers hat, und ist neben dem Gründer der ersten Kunsthochschule in Rumänien auch der Initiator der ersten gemeinsamen Ausstellungen der zeitgenössischen Künstler und Kunstgalerien im Land. Im geräumigen Salon, wo seine Werkstatt im Mittelpunkt des Hauses stand, verewigte der Maler seine Familie und Gäste. Sogar König Karl I. und Königin Elisabeth von Rumänien waren öfters bei Theodor Aman zu Gast.

Dem Meister gelang es, den Lebensstil der gesellschaftlichen und kulturellen Elite in der rumänischen Hauptstadt durch Genreszenen aus seiner eigenen Wohnung oder von den städtischen sowie ländlichen Orten, die er besuchte, äußerst detailliert wiederzugeben. Aufgrund der köstlichen Details seiner Bilder von Maskenbällen, Kartenspielen, Musikabenden, Familienfesten sowie ländlichen Feiern konnte man sogar die Moderichtungen des 19. Jahrhunderts in Rumänien im Bereich Kleidung, Schmuck und Innendesign nachforschen.

Außer den herrlichen Einzelheiten kennzeichnet sich sein Werk durch lebhafte Stillleben aus, in denen Fliegen oder Schmetterlinge vorkommen, mit scheinbar zufällig zusammenstehenden Gegenständen, die oft Familienfotos enthalten. Jedes seiner Stillleben sieht wie ein Tisch oder Wandtisch aus einem Wohnzimmer aus, auf dem an jenem Morgen neben einer Blumenvase eine achtlos aufgerollte Zeitung, aus der Erdbeeren wie aus einem Füllhorn herausrollen, vergessen wurde. Teil der häuslichen Tischszene sind mal kleine Statuen, mal Bücher, ein Aschenbecher mit einer Zigarettenkippe oder eine leere Teetasse, der Handfächer der Hausherrin. 

Das Aman-Haus wurde nach dem Tod des Meisters von seiner Witwe zur Zahlung des Darlehens an den rumänischen Staat verkauft und ist heute das Theodor-Aman-Museum. 

Marcel Iancu: rumänisch-israelische Avantgarde

Während sich Theodor Aman mit den Einzelheiten der Genreszenen in seinem Werk auseinandersetzte, konzentrierte sich der rumänisch-israelische avantgardistische Architekt und Maler, Marcel Iancu, Anfang des 20. Jahrhunderts auf architektonische Innovationen, die einem Einfamilienhaus modernen Charakter verleihen.

Iancu wurde 1895 in Bukarest geboren. Ab 1916 hatten er und sein Bruder Iuliu  Architektur in Zürich studiert und dort die Bühnenmasken des „Cabaret Voltaire“ kreiert. Dort hat er als Reaktion auf die Absurdität des  Ersten Weltkriegs zusammen mit dem rumänischen Schriftsteller jüdischer Abstammung Tristan Tzara und anderen Künstlern und Theoretikern, welche die Logik, Vernunft und Ästhetik der damaligen kapitalistischen Gesellschaft ablehnten, indem sie die Ausdruckskraft von Unsinn, Wagnis, Irrationalität und unverblümtem Protest gegen die Werte des Bürgertums bevorzugten, die Dada-Kunstbewegung ins Leben gerufen. 

Die Gebrüder Iancu arbeiteten nach Hochschulabschluss in Frankreich und Belgien beim Wiederaufbau von vom Krieg betroffener Gebäude und kehrten nach Bukarest zurück, wo sie 1922 ihr eigenes Architekturbüro eröffneten. Marcel Iancu hat bis zu seiner Umsiedlung nach Israel 1941 über 40 Einfamilienhäuser und öffentliche Gebäude sowie ein Schwimmbad in Bukarest entworfen. Diese präsentiert der Rumänische Architektenverband ausführlich, mit Erklärungen und Zitaten von Marcel Iancu, in einer beeindruckenden Ausstellung auf Bild- und Texttafeln. 

Die in Partnerschaft mit dem Janco-Dada Museum, Ein Hod, Israel, der israelischen Botschaft und dem Rumänischen Architektenverband veranstaltete Ausstellung „Marcel Iancu. Rekonstruktion der Künste Rumänien – Israel“ stellt auch Werke des Künstlers, die in den ersten 46 Jahren in Europa und in den darauffolgenden 43 Jahren in Israel entstanden sind, zur Schau. Die Ausstellung wird von Raya Zommer-Tal, Chefkuratorin des Janco-Dada Museums, kuratiert.    

Inacus abstrakte Bilder im gemäßigten dadaistischen Stil erfahren eine radikale Änderung, als er das mediterrane Licht und die lebendigen Farben des Nahen Orients nach seiner Umsiedlung nach Israel entdeckt. Er baute eine starke emotionale Verbindung zu seiner neuen Heimat auf und durchreiste das ganze Land. Als er an einem für den Abriss vorgesehenen verlassenen arabischen Dorf vorbeifuhr, beeindruckte ihn die ineinanderfließende arabische und römische Architektur. Er entschloss sich, die schöne Ortschaft zu retten und gründete dort eine Künstlerkolonie mit dem Namen Ein Hod, wo sich heute das Janco-Dada Museum befindet. Bei „Art Safari“ kann eine ähnliche farbenfrohe Darstellungmit dem Titel „Jaffa in Trümmern“ sowie sein vom Nationalen Kunstmuseum Rumäniens ausgeliehenes Selbstporträt im Wert von 300.000 Euro bewundert werden. 

Picasso-Dalí-Duell um den Dreispitz

Im Mittelpunkt des zentralen Pavillons stehen von Pablo Picasso und Salvador Dalí signierte und von Óscar Carrascosa kuratierte Grafiken für die Ballettshow „Der Dreispitz“.

2019 feierte „Der Dreispitz“, nach dem gleichnamigen Roman von Pedro Antonio de Alarcón aus dem Jahr 1874, mit der die Musik des spanischen Komponisten Manuel de Falla sein triumphales Debüt auf der internationalen Bühne erlebte, das hundertjährige Jubiläum seiner Uraufführung. Die Geschichte: eine humorvolle Kritik an von Machthabern begangenen Missbräuchen. Dafür schuf der russische Choreograf Léonide Massine eine Choreografie in einer völlig neuen Sprache, und Meister Pablo Picasso, Fallas Freund, entwarf Bühnendekor, Kostüme und Make-up der Tänzer. Tänze wie Farruca und Sevillana bringen Spanien aus dieser Zeit, die von den damaligen Zuschauern als exotisch empfunden wurde, auf die Bühnen in Paris und London. 

Nur wenige Künstler haben versucht, sich mit Picassos Theaterentwürfen zu messen, aber derjenige, der hervorsticht, ist Salvador Dalí mit einem brillanten und radikal anderen Design, das er einige Jahrzehnte später für die Premiere der Show in den Vereinigten Staaten im Jahr 1949 schuf. Seine Skizzen sind vom Surrealismus und der Groteske geprägt. Zehn Jahre später setzt sich Dalí wieder mit Alarcóns Roman auseinander und illustriert die neue Auflage des Buches meisterhaft mit 20 Zeichungen.

Zusammen mit der Tanzgruppe „Ballets Russes“ von Sergei Diaghilev haben diese drei großen Künstler eine ikonische Moderne eingeleitet, die bis in die Gegenwart nachhallt und auch heute Faszination erregt. 

Drei Farben von Irina Dragomir

Der zeitgenössische Pavillon „Rot, Gelb und Blau“ bietet eine von Irina Dragomir, der „Superheldin der Gegenwartskunst“ – in  Anspielung auf ihre Ausstellung von „Art Safari“ 2021 – signierte Farbexplosion.

„Irinas Bilder sind ausnahmslos größere oder kleinere Fragmente ihres eigenen Universums. In ihrer Malerei gibt es immer eine spielerische Dimension, aber unter der scheinbaren Unbekümmertheit, unter dem kindlichen Ton verbirgt sich oft ein ernster Scherz. Irina spielt gerne mit Klischees, Trivialitäten und billigem Kitsch“, deutet Alexandru Rădvan, Kunstprofessor und Kurator der Ausstellung.

Meist weibliche Gestalten zeigen dem Beobachter in ihrer scheinbaren Zerbrechlichkeit durch den Finger, der zum Schweigen mahnt, die ins Ohr geflüsterten Geheimnisse, die Silhouetten mit verschwommenem oder verdecktem Gesicht zum Schutz der Identität, die warme Konsistenz der Textilarbeiten und Requisiten wie Mops, Besen, Kristallfische und Glückskatzen , dass sie eigentlich einen starken Charakter haben und über eine innerliche Machtressource verfügen.