„Mein größtes Glück im Leben, dieser Zufall“

Die Geschichte hinter einem unabhängigen Theater in Bukarest

„Der Oberst und die Vögel“ vom bulgarischen Schriftsteller Hristo Boitchew in der Inszenierung von Ingrid Bonţa
Foto: Aida Ivan

Ihre dichten, graublonden Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, ihre hellblauen Augen funkeln vor Begeisterung. Sie ist aufgeregt wie ein Kind, gleichzeitig empfängt sie die Gäste ganz professionell. Die Aufführung soll in der Bukarester Calea Călăraşilor 94 in Kürze beginnen - da, wo vor einem Jahr das unabhängige Theater Coquette gegründet wurde. „Das Stück wurde seit einem Monat nicht mehr gespielt“, sagt Ingrid Bonţa und schaut dabei einem direkt in die Augen. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Stück gespielt wird, das von ihr inszeniert wurde. Sie ist aber so unruhig, als ob es das erste Mal wäre.

Die Gäste setzen sich auf die Stühle des kleinen Foyers des alten Bojarenhauses bis die Vorstellung beginnt. Umgeben sind sie von allerlei Objekten, die als Bühnendekoration für die Theaterstücke hergestellt wurden. Das gesamte Bühnenbild der jungen Kulturinstitution wurde vom Künstler Daniel Davrician, Mitbegründer des Theaters, angefertigt. Auf einer Seite des Saals ein Kamin, auf der anderen ein Spiegel an der Wand. Ein altes Klavier ruht neben einem Globus, zwei Marionetten schauen die Gäste an. Man hört gedämpfte Musik und die Gesichter der Gäste kommen nahe zueinander, wenn sie miteinander sprechen. Es scheint ein Ritual zu sein: Sie wollen sich noch kurz etwas zuflüstern, bevor sie eingeladen werden, in den Aufführungsraum hinter dem schwarzen Vorhang Platz zu nehmen. Im kleinen Saal hängen an den Wänden Werke von Daniel Davrician. Dank der originellen Dekorationelemente und den eleganten Stühlen wirkt das Theater sehr gemütlich. Das Licht geht an. Die Aufführung beginnt.
 

Die Leidenschaft der Regisseurin

Regisseurin Ingrid Bonţa kommt eigentlich aus Arad. Nach ihrem Abschluss an der deutschen Schule hat sie in Bukarest und in Neumarkt/Târgu Mureş studiert. Das Theater hat sie entdeckt, als sie einer Gruppe namens das „Ewig Junge Theater“ (Teatrul Veşnic Tânar) in der neuten Klasse beigetreten ist. Da war sie vier Jahre lang Mitglied, die Bekanntschaften von da-mals sind die Freundschaften von heute. Anschließend hat sie im Puppentheater in Arad gearbeitet. Jetzt führt sie Regie beim Coquette-Theater. Als Muttersprachlerin und studierte Lehrerin unterrichtet sie Deutsch am Kulturhaus Friedrich Schiller und in der eigenen Kulturinstitution. Das Theater im Herzen der Hauptstadt hat sie zusammen mit der Schauspielerin Ruxandra Bălaşu und Daniel Davrician gegründet: „Es tut mir leid, dass das Angebot an deutschsprachigen Veranstaltungen in Bukarest nicht allzu groß ist. Es gibt viele Institutionen, in denen man Deutsch lernen kann, hinzu kommen die Schulen, in denen Deutsch als Muttersprache oder als Fremdsprache unterrichtet wird“, meint die Regisseurin.

Um eine Lücke auf dem Markt zu füllen, bietet das Coquette-Theater Vorstellungen auf Rumänisch, Deutsch und Englisch, sowohl für Kinder als auch für Erwachsene. Auch andere Aktivitäten finden hier statt - Deutschkurse und Werkstätten mit Märchen. In naher Zukunft sollen auch Schauspielkurse für Kinder angeboten werden. Das Ziel ist es, die Vorstellungskraft der Kinder zu fördern, und ihnen dabei zu helfen, Deutsch oder Englisch zu lernen.
 

Ein junges unabhängiges Theater

„Hier, wo sich jetzt das Theater befindet, gab es früher Büros für Grafik. Vor sechs, sieben Jahren hatten die unabhängige Kunst und das unabhängige Theater nicht den Aufschwung, den sie jetzt erleben. Die Künstler, die hier arbeiteten, waren Wegbereiter. Es ist ein Raum mit seiner eigenen Geschichte und wir haben ihn übernommen”, erzählt Mitbegründerin Ruxandra Bălaşu. Sie vergleicht die Initiative mit dem Sprung eines Kindes ins Wasser: Erst wenn man im Wasser ist, lernt man das Schwimmen.

Die Idee des Coquette-Theaters kam eher zufällig: „Mein größtes Glück im Leben, dieser Zufall”, sagt Bon]a. Eingeladen wurde sie zu einem Künstlertreffen von einem Schauspieler, der dachte, dass man einen Regisseur für das Stück brauche. Das war damals nicht der Fall, aber im Rahmen dieses Treffens hat Bonţa Davrician und Bălaşu kennengelernt. Bălaşu und Bonţa haben dann zusammen an der Abschlussarbeit der Regisseurin gearbeitet und eines führte zum anderen. „Letzes Jahr wurde ich bei einem Interview gefragt, welches unsere Zukunftspläne sind. Ich habe mir gewünscht, ein Jahr später immer noch hier zu sein”, sagt Bălaşu. „Ich wünsche mir, dass die Jahre vorbeigehen und wir immer noch hier bleiben”, erwidert Bonţa. Das Coquette-Theater bietet ungefähr vier, fünf Aufführungen pro Woche. Zum jetzigen Team gehören auch die Schauspieler Pavel Bârsan, Paula Voicu, Mihai Căpăţână, Celina Niţu und Alexandra Gabriela Niţă. Willkommen beim Coquette-Theater sind auch andere Theatergruppen. Die Gründer ermutigen Gastaufführungen, das Ziel ist es, das Repertoire vielfältiger zu gestalten.
 

„Wir Künstler müssen zusammenarbeiten”

Es gibt manchmal Tage, an denen ständig geprobt wird. Irgendwann machen die Schauspieler zehn Minuten Pause, damit sich die Scheinwerfer abkühlen. Dann beginnen sie wieder von vorne. “Die Konkurrenz ist sehr groß, denn es gibt viele gute Darbietungen. Es ist aber vorteilhaft, dass wir diesen kulturellen Kontext haben. Wir Künstler müssen zusammenarbeiten und Initiative zeigen. Ansonsten kann uns das Warten umbringen ... sonst verwandeln wir uns in Großfirma-Angestellte”, lacht Bălaşu. Ob es Kriterien gibt, was die Auswahl der Theaterstücke anbelangt? Da gehe es eher um Lustspiele, es gebe keinen bevorzugten Autor.

Eine wichtige Rolle spielen auch die Aktivitäten außerhalb des Theaters, wie die Teilnahme an Festivals. An den letzten Augaben des Festivals für unabhängiges Theater in Bukarest hat das Coquette-Theater teilgenommen. Die zwei Gründerinnen erinnern sich gerne auch an ihre Teilnahme an Festivals in Piteşti und Râmnicu-Vâlcea, an die Zusammenarbeit mit dem Bürgermeisteramt des dritten Bezirks. Den ganzen Sommer haben sie im Park für Kinder gespielt, die es sich sonst nicht leisten könnten, ins Theater zu kommen. „Da haben wir unser ganzes Repertoire gespielt“, sagt Bălaşu.

Eine treue Kundschaft des Theaters ist inzwischen entstanden: Abgesehen von den Erwachsenen, die zusammen mit ihren älteren Kindern kommen, gibt es auch ganz kleine Kinder, die Puppentheater lieben. Bei den Theaterstücken für Kinder wird die Regie von der ganzen Theatergruppe geführt. Bei dem Theaterstück „Kalif Storch” kommt das Zusammenspiel zwischen Marionetten, Farben und Musik sehr gut beim Publikum an. „Es gibt Leute, die zu jeder unserer Aufführung gekommen sind. Und fragen immer noch, wann sie noch kommen können”, sagt Bălaşu.
 

„Der Oberst und die Vögel“

„Der Oberst und die Vögel“ vom bulgarischen Schriftsteller Hristo Boitchew in der Inszenierung von Ingrid Bon]a wird gerade aufgeführt. Den Exodus der Narren veranschaulichen Celina Niţu, Alexandra Gabriela Niţă, Ruxandra Bălaşu und Pavel Bârsan in gelungener, lustigen Weise. Im Stück geht es um eine drogensüchtige Frau, die sich als Ärztin ausgibt und in einer Psychiatrieklinik irgendwo in Osteuropa arbeitet. Der zunächst apathische, melancholische Oberst (George Bârsan), die Diebin mit doppelter Persönlichkeit (Ruxandra Bălaşu), die ängstliche Zigeunerin (Alexandra Gabriela Niţă), die Liebe und Schutz braucht, die Nonne (Celina Niţu) mit großen Augen und einem aus Stiften improvisierten Kreuz sind alle überzeugende, wohlgestaltete Figuren, die letztendlich einen zum Nachdenken bringen. Am Ende des Stücks klatscht das Publikum im Stehen. Bonţa ist die ganze Zeit im Wartesaal geblieben. „Wie war es?“, fragt sie fieberhaft, als die Zuschauer den Aufführungsraum verlassen.