Menhire...

Inspirierende Orte

Ein Ort der Ruhe und Einkehr – der Friedhof auf dem Schulberg in Schäßburg
Fotos: die Verfasserin

Schäßburg, Sonntagmorgen in der Festung, Schulgasse. Beine hasten fliegend bergan über das holprige Flussteinpflaster. Dann ein schmaler Pfad. Wacholderduft. Holunderbüsche. Rosenranken schwanken sanft in der dunstgeschwängerten Luft. Im Hintergrund die Kirchenglocken. Gemurmelte Gebete aller Konfessionen trudeln zum Himmel auf.

Innehalten, 10 Uhr 35. Menhire verneigen sich sanft vor der Zeit: „Minerva Sander geb. Stoica“. „Emma Dietrich“, „Bagyi Albert und Elisabeth“. Verschlungene Schriften, überwuchert von Flechten und Moos. Dazwischen: Efeu, Salbei. Verblichene Plastikblumen. Dampfige Schatten. Dahinter die Silhouette der Bergkirche, kurz im gleißenden Sonnenlicht.

Aufstieg, ein kleines Plateau. Rundblick ins Tal durch den Wald der Menhire: „Johanna Sara Graef geb. Petri“. „Dr. Eckhard Hügel, Biologe, 1908-1977“. Blutrote Rosen. Eine Föhre, verzweigt wie der Weltenbaum, der die Seelen der Vergangenheit mit der Zukunft vereint. Wie viele Tode sind die, die hier liegen, gestorben? „Michael Wenrich, Bürgermeister, 1798-1875“. Ihn hat die Zeit gesegnet. „...und dessen Gattin Therese, geb. Simonis, und ihre im jugendlichen Alter gestorbenen Kinder“.

Bedeckter Himmel; Morgenschwüle. „Sara Maria Binder“, „Hans Letz“. Warum haben sie mich gerufen? Sie haben mir den Fotoapparat umgehängt und ich habe mich aus dem Zimmer des Internats geschlichen. Jetzt diktieren sie in mein Heft. Auf dem Schulberg, nicht Kirchberg, nach dem Bergschulsymposium.

Bergkirche, Sonntagmorgen: Erste Friedhofgänger. Der Wind streichelt meine Wange. Fährt mir unter das geblümte Sommerkleid. Gänsehaut, Stimmen. Die der Toten und die der Lebendigen. Zeitfäden tropfen vom Himmel. Weben mich ein in ihr Spinnennetz. „Daniel Zimmermann“. „Regine Gunne geb. Keul“. Sie umkreisen mich. Murmeln ihre Namen. Alle sind hier zeitlos pünktlich. Warum ich gekommen bin, wie ein fremder Besuch? Vielleicht, um sie in meine Welt einzuladen: Klick!

Die leere Batterie schickt mich zurück. Treppe vergeht unter meinen Füßen. Ewiger Stein - zerbrochen. Baum ohne Rinde, Mauerriss. Abstieg durch den Wacholderwald, Menhire im Kopf. Fußpfad und Flusssteine. Regenschwangere Morgenluft, so süß und schwer wie meine Gedanken. Im Internat schleiche ich mich aufs Zimmer. Bin ich je fort gewesen? Blick auf die Uhr, Terminkalender. Der Tag rumpelt an.