Moderne Kompositionstechniken mit der Tradition des alten siebenbürgisch-sächsischen Volksliedes verbunden

Siebenbürgisch-Sächsischer Kulturpreis für den Komponisten und Musikwissenschaftler Hans Peter Türk / Laudatio von Kurt Philippi

Hans Peter Türk nimmt vom Bundesvorsitzenden des Verbands der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Bernd Fabritius, den Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreis in Empfang.
Foto: Lukas Geddert

Während des Heimattags der Siebenbürger Sachsen in Deutschland wurde am vergangenen Pfingstsonntag in Dinkelsbühl auch der Siebenbürgisch-Sächsische Kulturpreis, die höchste von Siebenbürger Sachsen vergebene Ehrung für wissenschaftliche und künstlerische Leistungen, überreicht. Für das Jahr 2012 wurde er zu gleichen Teilen dem bildenden Künstler Gert Fabritius (Stuttgart) sowie dem Komponisten und Musikwissenschaftler Prof. Dr. Hans Peter Türk (Klausenburg) verliehen. Die Laudatio auf Hans Peter Türk, die wir im Folgenden abdrucken, hielt der Musiker Kurt Philippi.

Der Komponist Gabriel Reilich, um die Mitte des 17. Jahrhunderts Stadtorganist in Hermannstadt, gibt in der Vorrede zu seinem „Geistlich-Musikalischen Blum- und Rosenwald“ auf die rhetorische Frage „Was ein Componist sey?“ folgende Antwort: „Ein Komponist ist nichts anders / als der da allein von Musicalischen Consonantz und Dißonancien nach gewissen Regeln einen schönen Gesang / und liebliche Harmoni zu sammen setzet …“

Diese Aussage ist heute noch gültig und trifft auch auf unseren Preisträger Hans Peter Türk voll und ganz zu. Was sich aber seit Gabriel Reilichs Zeit laufend verändert hat, das sind die „gewissen Regeln“, nach denen Konsonanz und Dissonanz einander abwechseln. Diese Regeln haben sich mehrfach verändert und damit hat sich auch das Verständnis von einem schönen Gesang und einer lieblichen Harmonie in den letzten 300 Jahren stark gewandelt.

Die Geschichte der Musik ist eigentlich nichts anderes als die Geschichte des Umgangs mit den „Consonantz und Dißonancien“. In dem Maße, in dem wir uns der Neuzeit und der Gegenwart nähern, hat sich das Verhältnis zwischen Konsonanz und Dissonanz zunehmend in Richtung Dissonanz verlagert. Diese Entwicklung hat auch vor den Toren Siebenbürgens nicht Halt gemacht.

Wir feiern heute einen Mann, der dieses Verhältnis zwischen Dissonanz und Konsonanz, zwischen Spannung und Entspannung für unsere siebenbürgisch-sächsische Musikwelt neu abgesteckt, die Lateiner würden sagen, re-signiert hat. Er ist auf diesem Weg des Re-Signierens, des Aufspürens neuer musikalischer Horizonte, eigene, oft einsame Wege gegangen. Mit einer Zustimmung des gesellschaftlichen Umfeldes, auch innerhalb der eigenen Reihen, konnte er auf diesem Weg nicht immer rechnen.

Sein erstes Werk nach Abschluss des Studiums an der Staatlichen Musikhochschule in Klausenburg war eine Kantate auf einen selbst gewählten Text: „Weise mir, Herr, deinen Weg“. Das war im Jahr 1970. Für die damaligen Verhältnisse im kommunistischen Rumänien schien es eindeutig zu sein: Da schickt sich einer an, für die Schreibtischlade zu komponieren.

Aber es kam anders: Hans Peter Türk schrieb Instrumentalmusik, er schrieb Chormusik auf deutsche und auf rumänische Texte. Und bald sprach es sich unter den Musikern in Siebenbürgen herum: Hier ist ein Komponist zum Anfassen, man kann sich an ihn wenden und ihn um eine Komposition bitten, auch wenn man noch nicht ein profilierter Künstler ist. Und so kam es, dass eine Bestellung nach der anderen bei ihm einging.

Zu den vielfältigen Bestellungen aus dem Inland kamen bald auch Aufträge aus Deutschland und aus der Schweiz hinzu. Die vorerst letzte Auftragskomposition, „Das Herz“, eine Motette für Doppelchor a cappella hat Hans Peter Türk für den Evangelischen Kirchentag 2011 in Dresden geschrieben.

Hans Peter Türk komponiert nicht nur für Berufsmusiker sondern auch für Laien und erweist sich dabei jedes mal als einer – ich zitiere noch einmal Gabriel Reilich –, „der da über allerley Psalmen und Lieder Melodeyen machet“.

Als Leiter verschiedener Laienchöre in Siebenbürgen habe ich Hans Peter Türk sehr oft gebeten, ganz bestimmte Texte zu vertonen. Dabei durfte ich jedes Mal auch den Schwierigkeitsgrad angeben und, je nach Fall, das zur Verfügung stehende Instrumentarium. Beim Einstudieren der neuen Kompositionen machte ich dann die beglückende Erfahrung, dass sich Hans Peter Türk gerade in der Beschränkung der Mittel als großer Meister erweist. Hans Peter Türk hat unsere Chöre manchmal auch überfordert, aber gerade dadurch dazu beigetragen, den musikalischen Horizont der Ausführenden und der Zuhörenden zu erweitern.

Eine einzige Auftragskomposition war nicht an die Auflage gekoppelt, die Möglichkeiten des eigenen Chores zu berücksichtigen. Der Komponist, der sich schon so oft im Verzicht auf technische Schwierigkeiten geübt hatte, sollte uneingeschränkt aus dem Vollen schöpfen dürfen. So entstand eine seiner groß angelegten Kompositionen, die „Siebenbürgische Passionsmusik für den Karfreitag“. Nach der Hermannstädter Uraufführung im Jahr 2007 erlebte diese Passion eine Reihe weiterer Aufführungen, u. a. in Klausenburg, in Leipzig und in der Dresdner Kreuzkirche.

Eine Konstante im Schaffen von Hans Peter Türk ist das Zurückgreifen auf siebenbürgische Volkslieder. In Form von Zitaten scheint das Volkslied in Türks Oeuvre immer wieder durch. So hat er z. B. seiner Motette „Gebet aus Siebenbürgen“ auf Worte des 44. Psalms als zentralen musikalischen Gedanken ein Motiv aus dem siebenbürgisch-sächsischen Waisenlied „Wol goiht der Wänd“ zugrunde gelegt. In freier künstlerischer Gestaltung verbindet er dabei moderne Kompositionstechniken mit musikalischen Bausteinen aus der Tradition des alten siebenbürgisch-sächsischen Volksliedes.

Auch wenn sich Hans Peter Türk in erster Linie als Komponist versteht, soll heute nicht unerwähnt bleiben, dass er auch als Musikwissenschaftler hervorgetreten ist. Neben seiner Dissertation über die Wechseldominante in der Musik Mozarts galt seine Forschungsarbeit vor allem siebenbürgischen Musikerpersönlichkeiten.

Zum Abschluss meiner Laudatio möchte ich noch einmal aus einem Vorwort zitieren, dieses Mal aus einem Vorwort, das unser Preisträger selbst geschrieben hat, nämlich aus dem Einführungstext zur Neuausgabe des „Geistlich-Musicalischen Blum- und Rosenwaldes“ von Gabriel Reilich. In dem Bestreben, einen kurzen Überblick auf die Musikpflege bei den Siebenbürger Sachsen seit ihrer Einwanderung im 12. Jahrhundert zu geben, versucht Hans Peter Türk aufzuzeigen, „weshalb bodenständige Musikerpersönlichkeiten weit davon entfernt waren, Werke zu schaffen, die einem europäischen Maßstab standhalten können. Sie hatten den Tageserfordernissen zu entsprechen und sich den bescheidenen lokalen Bedingungen anzupassen. Überragende Begabungen wie etwa Valentin Greff Bakfark suchten den größeren Resonanzraum ausländischer Fürstenhöfe.“

In Bezug auf unseren heutigen Preisträger muss ich dem Musikwissenschaftler Hans Peter Türk hier teilweise widersprechen: Hans Peter Türk hat sich tatsächlich ein Leben lang den bescheidenen lokalen Bedingungen der siebenbürgischen Musikszene angepasst, er hat aber dabei trotzdem auch Werke geschaffen, die einem europäischen Maßstab durchaus standhalten können. Er hat nicht den größeren Resonanzraum europäischer Musikmetropolen gesucht, er hat in Siebenbürgen das getan, was ein Komponist für die Gemeinschaft tun kann, zu der er gehört. Erlauben Sie mir darum, Hans Peter Türk – in Ihrer aller Namen – zu dem Kulturpreis zu gratulieren, den ihm der Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland für das Jahr 2012 zuerkannt hat.