Monolog mit dem Bildnis „Mann mit der blauen Sendelbinde“

„Mann mit der blauen Sendelbinde“, Jan van Eyck

Der Stifter...

... und die Stifterin, Gemälde von Hans Memling Fotos: Brukenthalmuseum

Es liegt so viel Geheimnis um Sie, Verehrter Herr „Mann mit blauer Sendelbinde“!  

Sie haben so viele Namen!

„Der Unbekannte mit der blauen Sendelbinde“ (Sind Sie unbekannt? Manche meinen, Sie seien Philipp der Gute, der Herzog von Burgund aus dem Hause Valois.)

Ihre zu der Zeit modische Kopfbedeckung mit Fransen lässt dasselbe Kennzeichen ihres Porträtnamens verschieden sein: Sendelbinde, Chaperon oder Turban. Nur ein Teil Ihres Namens ist in allen deutschen Namensvarianten gleich: „blau“.

Wie kam das Ölgemälde zustande? Saßen Sie Herrn Jan van Eyck Modell oder zeichnete er sie von irgendwoher ab?
Was halten Sie in der rechten Hand?

Wurde Ihr kleinformatiges Porträt auch ab und zu in Tücher eingewickelt, in einer Lade verstaut und nur gelegentlich aufgehängt, wie das mit solchen Bildern zu Ihrer Zeit Brauch war?

Wo waren Sie, als der Kunstagent des Barons Sie, so Mitte des 18. Jhdts., auf dem Kunstmarkt entdeckte und einkaufte? Allerdings dachte er damals, Sie seien eine Kreation Albrecht Dürers.

1803 starb Ihr Mäzen, Baron Samuel von Brukenthal. Weise, wie er war, schrieb er am 3. Januar 1802 ein Testament, das bis heute erhalten ist. Es enthält die klare Aussage, dass das Brukenthalgymnasium, damals eine Einrichtung der evangelischen Kirchengemeinde Hermannstadt, der Erbe der Brukenthalstiftung ist. Ein Kuratorium des Brukenthalmuseums hatte die Leitung nach dem Tod des Stifters bis zur Enteignung inne.

Erlauben Sie mir bitte, einen Sprung von zwei Jahrhunderten nach vorne zu machen und uns an das 20. Jahrhundert zu erinnern. Da sorgte etwa um das Jahr 1911/1912 ein Angebot eines Budapester Kunstagenten bei den sächsischen Künstlern für großen Wirbel: Für Ihr Porträt und die Gemälde der beiden Stifterbildnisse von der Hand Hans Memlings bot ein Budapester Kunstagent 800.000 Gulden.

Das war sehr viel Geld (Rechtsanwalt Dr. Guido Gündisch, Elisabethstadt, nannte ihn: „einen wahnwitzigen Preis“) und verlockte hiesige Kunstliebhaber und Künstler zu Erneuerungsideen für das Museum, z. B. erträumten manche die Erweiterung des Museums um eine neue Galerie durch Ankauf moderner Bilder einheimischer Künstler. Die Mehrzahl der Hermannstädter wusste damals wahrscheinlich nicht, dass dieser hohe Kaufpreis nicht nur für Ihr Ölbild, sondern auch für die beiden Stifterbildnisse Memlings geboten wurde.

Siebenbürgisch-sächsische Künstler, sowie Künstler aus Deutschland (München, Berlin, Köln) wandten sich an das Kuratorium und baten eindringlich, den Verkauf zu tätigen. Ich mache mir die Mühe, lieber Herr im van Eyck´schen Bild, die Namen im Folgenden aufzuzählen, weil es viele sind, die sich schriftlich für die „Entäußerung“ Ihres Bildes aussprachen: Prof. Arnold Siegmund, Hermannstadt; Eduard Morres, Deutsch-Weißkirch; Arch. Fritz Balthes, Schäßburg;  Architekten Schuller und Goldschmidt, Kronstadt; Fritz Mieß, Kronstadt; Prof. Adolf Meschendorfer, Kronstadt; Emil Honigberger, Kronstadt; Walther Teutsch, Kronstadt – München; Rudolf Thör, Kronstadt; Ernst Honigberger, München; Prof. Heinrich Ritter von Zügel, München; Prof. Ludwig Ritter vom Zumbusch, München; Prof. Angelo Jank, München; Franz Josef Brakl, München; M. Haymann, München; Prof. Karl Ritter von Marr, München; Thomas Theodor Heine, München; Freiherr Fritz von Ostini, München; Prof. Karl Roesger, München; Architekt Wilhelm Schmidts München-Neustadt; Prof. Leo Putz, München; Direktor Heinrich Tannhäuser, München; J.F. Lehmann München; Fritz Gurlitt, Berlin;  Prof. Walther Schmarje, Berlin; Paul Cassierer, Berlin; Prof. Max Slevogt, Berlin; Dr. A. Hagelstange, Köln; Prof. Karl Ziegler, Posen.

Der Stadtpfarrer von Bukarest, Rudolf Honigberger, verwies im Falle eines Verkaufs auf den Vorteil anfallender jährlicher Zinsen von 35.000 bis 36.000 Gulden. Das wäre bei einer krisensicheren einheimischen Wirtschaft (wie etwa in Schweden oder in der Schweiz) sicher realistisch und ein großer Gewinn für das Betreiben des Museums gewesen. Ganz entschieden dagegen war Dr. Ludwig Kirchgatter, Rechtsanwalt der evangelischen Kirchengemeinde Hermannstadt. Vor allem aber war das damalige Kuratorium des Baron Bruken-thalschen Museums, bestehend aus D. Adolf Schullerus, Stadtpfarrer der evangelischen Ecclesie in Hermannstadt, Karl Fritz, Sekretär der evangelischen Landeskirche und Karl Albrich, Direktor des Bru-kenthalgymnasiums, eindeutig gegen einen Verkauf der drei kostbaren Gemälde der Brukenthalsammlung.

Sie, lieber weltbekannter Unbekannter, wurden jedenfalls nicht verkauft und die Memling-Portraits der beiden Stifter auch nicht.

In der Mitte des 20 Jhdts. ging es uns allen schlecht. Der zweite Weltkrieg hatte getobt und territoriale, politische und wirtschaftliche Machtverschiebungen, nicht nur in Siebenbürgen, waren die Folge. Dem sächsischen Gemeindebesitz erging es wieder einmal schlecht. Durch das Dekret 176/1948 der neuen rumänischen, sozialistischen Regierung wurde das Museum enteignet und der Archäologe Nicolae Lupu zum neuen Direktor des Brukenthalmuseums ernannt. Sie und einige andere Gemälde wurden, wie sich später herausstellte, „vorübergehend“ an die Bukarester staatliche Gemäldeausstellung zwangsverliehen.

Wie ist es Ihnen damals, als prominenter Wahlbukarester ergangen?

Zum Jahrtausendende erlebten wir in Rumänien wieder einen tiefgreifenden Wirbel: Die große Wende 1989, die zurechtrückte, was vorher anders war.

Lassen Sie uns in das 21. Jhdt. wechseln.

Am 10. November 2006 verließen Sie das Nationalmuseum in Bukarest in Richtung Hermannstadt. Nicht nur Sie, lieber Nachdenklicher: „Sechs Transporter mit mehreren Hundert Millionen Euro wertvoller Fracht, Kleinbusse der Gendarmerie, Waffen, Neugierige, Offizielle und Presse“ steht in der „Siebenbürgischen Zeitung“ (SbZ) vom 20. November 2006 über Ihre Heimreise. Kulturminister Adrian Iorgulescu übergab die vorübergehend enteigneten Kunstschätze an das Brukenthalmuseum unter Leitung von Dr. Sabin Luca im Beisein von Bürgermeister Klaus Johannis, Bischof D. Dr. Christoph Klein, Kreisratsvorsitzenden Martin Bottesch, Präfekten Ion Ariton.  Wieso gehörte der Stadtpfarrer der evangelischen Kirchengemeinde von Hermannstadt, Kilian Dörr, als Bevollmächtigter der testamentarisch belegten Besitzergemeinschaft dem Empfangskomitee nicht an, fragt sich die derzeitige Kuratorin.  
Man hatte sich aufwendig vorbereitet. Sie sind unvorstellbar kostbar! Weder Leibwächter noch ausgeklügelte Alarmvorrichtungen sind sicher genug, um Sie verlässlich zu schützen. Sie und Ihresgleichen stehen auf der Kurzliste von begehrtem Kunstdiebesgut. Fast wie ein Hochsicherheitsgefängnis war Ihr neues, altes Zuhause. So schien es mir damals. Sie, lieber Geduldiger, wurden in ein Papamobil artiges Glasgehäuse gesperrt.

Sie sind ein wichtiger Anziehungspunkt des Museums für Touristen, auch des 21. Jhdts. Aber vielleicht ist es besser so, als in einer Lade zu liegen, eingeschlagen in schützende Tücher des 15. Jhdts. In entsprechend konstantem Raumklima, abgeschieden von Sonnenlicht und dem lebendigen, geschäftigen Treiben am Großen Ring, lassen Sie sich bestaunen.

Am 26. Februar 2021 standen wir vor Ihrem Portrait: Das Presbyterium der evangelischen Kirchengemeinde mit ihrem Stadtpfarrer, Kilian Dörr und dem Kunstexperten und Brukenthal-Liebhaber Dr. Frank-Thomas Ziegler. Das Presbyterium der evangelischen Kirchengemeinde Hermannstadt trägt die kirchenrechtliche Verantwortung für den gesamten Kirchenbesitz.

Wir standen lange bei und vor Ihnen. Wir sahen Sie lange an. Wir verspürten eine gemeinsame Anteilnahme an Ihrem Blick in die Zeitlosigkeit vergangener Jahrhunderte. Wir standen auch vor anderen ausgestellten Gemälden und ließen sie auf uns wirken. Und dann gingen wir in den neuen Teil der Galerie: Gemälde aus dem 19. und 20. Jhdt. Herr Ziegler sagte, dass das Brukenthalmuseum die wichtigste Sammlung siebenbürgisch-sächsischer Maler besitzt. Sie werden hier, in der neuen Galerie, ausgestellt.

Ist es nicht ein Wunder, dass Sie wieder da, dass Sie noch da sind?

Erinnert man sich an das Ringen vor etwa hundert Jahren um die Wahl zwischen Ihnen oder einer neuen Bildergalerie, so kann man heute dankbar feststellen: Wir haben sowohl Sie, als auch eine ansehnliche moderne Gemäldegalerie. Diese Entwicklung ist aber wieder eine lange und zum Teil auch schmerzvolle Geschichte.

Ilse Philippi
Kuratorin der EK Hermannstadt, 05. 03. 2021