Musikalische Geburtstagskinder

Werke von Verdi und Lutoslawski im Bukarester Athenäum

Mit einem Sinfoniekonzert, das am 10. Januar im Bukarester Athenäum stattfand, wurde der Reigen der musikalischen Zentenar- und Bizentenarfeiern eröffnet, die uns das Jahr 2013 beschert. Auf dem Programm standen Werke des wie Richard Wagner im Jahre 1813 geborenen italienischen Komponisten Giuseppe Verdi sowie des wie Benjamin Britten im Jahre 1913 geborenen polnischen Komponisten Witold Lutoslawski.

Ausführende des Sinfoniekonzerts waren Chor und Orchester der Philharmonie „George Enescu“ unter der Leitung des aus Bulgarien stammenden Dirigenten Martin Panteleev. Den Solopart des Abends übernahm der rumänische Pianist Horia Mihail, der mit seinem Lutoslawski-Programm heute auch in Klausenburg/Cluj und am 25. Januar in Jassy/Iaşi  gastieren wird.

Eröffnet wurde der Konzertabend mit der vierteiligen Kleinen Suite (Mala Suita) von Witold Lutoslawski, einem Werk für Kammerorchester aus dem Jahre 1950, das der polnische Komponist 1951 für Sinfonieorchester umarbeitete. Es ist zugleich eine der ersten Kompositionen, in die Lutoslawski folkloristische Elemente einfließen ließ, namentlich Volksmelodien aus Südpolen, die der Komponist nahezu unverändert übernahm und durch Ostinati, Bordunklänge und parallel verschobene Intervalle und Akkorde ergänzte.

Der erste Satz „Fujarka“ führt den Namen der polnischen Hirtenflöte im Titel, deren heiteren und fröhlichen Part Lutoslawski der Piccolo-Flöte anvertraute. Auf das ausgelassene Scherzo der „Hurra Polka“ folgt der ruhige und melodiöse dritte Satz mit dem Titel „Piosenka“, was so viel wie „Lied“ bedeutet. Den Abschluss der Suite, die vom Orchester der Philharmonie „George Enescu“ mit großem instrumentalem Können dargeboten wurde, bildet ein regionaler Tanz („Taniec“), in den Lutoslawski einen liedartigen Mittelteil eingeschoben hat.

Das zweite Werk des Abends stammte ebenfalls von Witold Lutoslawski. Seine Variationen über ein Thema von Paganini für Klavier und Orchester aus dem Jahre 1978 basieren auf seinem 37 Jahre zuvor entstandenen Werk für zwei Klaviere, das der Komponist zusammen mit seinem Musikerkollegen Andrzej Panufnik während der deutschen Besatzungszeit in Warschau in Wohltätigkeits- und Untergrundkonzerten zur Aufführung brachte.

Das sinfonische Werk beerbt die letzte der Violin-Capricci von Niccolò Paganini, indem es kompositorisch um das berühmte Thema und seine elf Variationen kreist, das auch viele andere Tonsetzer zu Transkriptionen, Orchestrierungen, Adaptationen und Bearbeitungen inspirierte, so zum Beispiel Johannes Brahms, Franz Liszt, Sergej Rachmaninow oder auch den polnischen Komponisten Karol Szymanowski und nicht zuletzt den türkischen Komponisten Fazil Say mit seinen Paganini-Variationen im Stil des modernen Jazz aus dem Jahre 1995.

Lutoslawskis Werk setzt durch seine ausgefallene Instrumentation neue Akzente in der musikalischen Rezeptionsgeschichte des Paganinischen Capriccio Nr. 24, besticht durch seine Energie und seinen Humor, durch seinen schnellen Wechsel von Rhythmik und Melodik und stellt dabei höchste Anforderungen an das Orchester und den Solisten, zumal sich Piano und Orchesterinstrumente die Führungsrolle in ständigem Wechsel teilen. Hier spürt man noch das Klavierduo als Quelle der Orchesterkomposition. Horia Mihail glänzte am Flügel wieder einmal mit seiner Virtuosität, und Martin Panteleev brachte das Orchester der Philharmonie „George Enescu“ richtiggehend zum Swingen.

Nach der Pause stand ein vom Charakter her völlig anderes Werk auf dem Programm: Giuseppe Verdis „Quattro pezzi sacri“ (Vier geistliche Stücke), ein Zyklus von vier kirchenmusikalischen Vokalwerken, die der italienische Opernkomponist in seiner letzten Schaffensperiode komponierte und mit denen er zu seinen Ursprüngen als Kirchenmusiker zurückkehrte. Der erste und der dritte Teil des Zyklus, reine A-cappella-Werke, entstanden unmittelbar nach der Fertigstellung seiner Oper „Otello“, der zweite und vierte Teil, Kompositionen für gemischten Chor und Orchester, nach seiner letzten Oper „Falstaff“.

Der Zyklus wurde vom Chor der Philharmonie „George Enescu“ beeindruckend mit Verdis „Ave Maria“ eröffnet, in dem chromatische Tonfolgen dominieren, die zunächst von den Bässen und Altstimmen, dann von den Tenören und Sopranen intoniert werden. Der von Iosif Ion Prunner exzellent einstudierte Chor bestach durch die Reinheit seiner Stimmen und durch die Harmonie des religiösen Gesangs.

Im „Stabat Mater“ des zweiten Teils, der ebenfalls von reicher Chromatik gekennzeichnet ist, kommt, insbesondere in den rhythmischen Passagen und in den dramatischen Ausbrüchen, das reich besetzte Orchester zum Einsatz, während der Chor eher in den melodiösen und arienhaft anmutenden Passagen hervortritt.

Der dritte Teil, das einzige Werk des Zyklus, das nicht in lateinischer Sprache gesungen wird, ist ein Lobgesang auf die Jungfrau Maria („Laudi alla Vergine Maria“) nach einem Text aus Dantes „Göttlicher Komödie“, dem Schlussgesang aus dem „Paradies“. Auch hier beeindruckte der Chor der Philharmonie „George Enescu“ durch die Klarheit seiner Intonation und durch die perfekte Austarierung und die harmonische Verschmelzung der vier beteiligten Chorstimmen.

Im abschließenden „Te Deum“ für Doppelchor mit Sopransolo und Orchester wechseln sich dann wieder ruhige A-cappella-Teile mit höchst dramatischen Aufgipfelungen unter Beteiligung des großen Orchesters ab, wobei Verdi in den Spannungsmomenten von höchster Heftigkeit auf die Tonsprache seiner „Messa da Requiem“ zurückgreift. Im Kontrast dazu bilden die gregorianischen Choräle, die der Männerchor a cappella vorträgt, einen sanften Ruhepol, der sein Pendant im Schluss des Orchesternachspiels hat, das mit ins Unhörbare verschwebenden Flageoletttönen der Violinen den kirchenmusikalischen Zyklus abschließt.

Der österreichische Komponist Hans Gál schrieb zu diesen vier geistlichen Stücken: „Sie sind die persönlichste Aussage und so nach innen gekehrt, dass eine konzentrierte Einfühlung dazu gehört, ihre Mitteilung zu empfangen.“ Und Verdi selbst wollte angeblich die Partitur seines „Te Deum“ sogar mit ins Grab nehmen.