Nostalgie für die Belle Époque

Ein Besuch im Atelier des Bildhauers Ştefan Călărăşanu

Ştefan Călărăşanu in seinem Atelier auf der Chopin-Straße 1, das er seit 1984 bezog. Vor seiner Auswanderung nach Deutschland arbeitete hier der Künstler Ştefan Bertalan, Mitbegründer der 111-Gruppe und Sigma-Mitglied.
Foto: Iulia Sur

Eines der „Zeichen“ von Ştefan Călărăşanu, 2011 in Bronze und Holz angefertigt, beim Salon der Bildenden Künste 2011 ausgestellt
Foto: Cornel Putan

Beim Internationalen Andesit-Symposium in Wolfsberg/Gărâna (v.l.n.r.): Maxim Dumitraş, Nicolae Fleissig (Frankreich), Gheorghe Zărnescu und Ştefan Călărăşanu

Das Temeswarer Stadtviertel Fabrikstadt. Zwei Haltestellen vom Trajansplatz mit der Einser Tram steige ich aus. Auf der rechten Seite an der zweiten Straßenecke vor der Begabrücke bleibe ich stehen und schaue nach rechts. Die großen Steinblöcke sind ein erster Hinweis, dass ich am richtigen Ort bin. Chopin-Straße 1. Auf dem Tor des Hauses, ein unverfehlbares Zeichen: Ştefan, der Vorname des Künstlers. Jeder Gast weiß nun, er hat sein Ziel erreicht: das Atelier des Bildhauers Ştefan Călărăşanu.

Das offene Tor passiert und dann ein abgedeckter, von Holzlatten, -stämmen und -balken flankierter Eingang und weiter hinten ein Garten. Ein paar Treppen links führen zu einer Holztür, auf dem Türpfosten anstatt Türklingel ein Vermerk: Atelier. Ich höre das Geräusch einer Motorsäge, klopfe trotzdem an. Vergebens. Die Tür leise öffnend, bleibe ich im Türrahmen stehen und sehe kurz dem Künstler bei der Arbeit zu. Um mich doch bemerkbar zu machen, klopfe ich nochmals und grüße dann schließlich laut. Endlich ein Erfolg: Der Meister dreht sich um. Ich darf mich nun persönlich vorstellen, denn meinen Besuch hatte ich bereits telefonisch angemeldet. Zuerst etwas misstrauisch, dann aber gesprächig, nachdem er sein Gegenüber hinsichtlich Ernsthaftigkeit im Befragen geprüft hat.

Im Atelier, rechts auf dem selbst angefertigten Holztisch, sorgfältig aneinandergereiht liegen u .a. Hammer, Meißel und Spitzen – alles beim Steinmeißeln notwendige Werkzeuge. Mehrere Steintrenn- und Holzpolierscheiben übereinander hängend an der Wand links neben der Tür.

Der Bildhauer nimmt den „Topf für Steinschleifen“, eine kleine, tellerförmige Scheibe, klärt er mich auf. Unter der Polierscheiben-Serie ein Tisch mit einer blau-weiß karrierten Tischdecke, zwei einfache Holzstühle, dann ein Bett. An der anderen Wand, neben dem großen Fenster, der natürlichen Hauptlichtquelle des Ateliers, hängen gleichfalls recht ordentlich für die Holzschnitzerei benötigte Feilen.

Auf einem Wandschrank mit vier Türen sind Plakate von Personal- oder Gruppenausstellungen, an denen sich der Künstler beteiligt hatte. Die Werkzeuge nehmen alle den von Călărăşanu zugeteilten Platz ein, wie er es von seinem Meister, dem Bildhauer George Apostu (1934-1985), gelernt hatte.

Ein eingerahmtes Bild von Apostu, den er „einer Ikone gleich“ schätzt, in einer Bildergruppe mit dessen Ausstellungen und Zeichnungen an der rechten Wand. Darunter auch ein Foto von Călărăşanus Holzsäule, mit den für sein Werk unverkennbaren Zeichen. Die Säule schuf er während des 2009 hinter dem Temeswarer Hunyadi-Schloss veranstalteten Bildhauer-Pleinairs „Beim Kastell“ („La Castel“).

„Keines der Zeichen sieht dem anderen gleich“, so der Bildhauer und zeigt auf die an der gegenübergelegenen Wand angebrachten Plakate, wo die Zeichen als Zierrat des Hintergrunds dienen. Sie haben eher einen dekorativen Zweck, stellen eine fast technische Voraussetzung dar, ohne religiöse Bedeutung, davor wehrt der Bildhauer entschieden ab. Er mag seine Zeichen – eine Kleidung, die die Form einhüllt. Sie sind etwas Natürliches, leben in ihm und er lässt ihnen freien Lauf. „Sie fließen, eine fast gestische Sache“.

Lehrjahre bei  George Apostu

Der Künstler bringt nacheinander zwei Tassen Kaffee. Wir setzen uns an den Tisch und er beginnt, über die in George Apostus Atelier in Bukarest-Băneasa verbrachte Zeit zu erzählen. Apostu war dem ausländischen Publikum bekannter als dem rumänischen, so Călărăşanu. In den 80er Jahren siedelte er nach Frankreich über, wo er einige Jahre später nach einem schweren Leiden starb. Die Lehrjahre bei Apostu betrachtet Călărăşanu als seine zweite Hochschule, eine „Hochschule des Lebens“.

Mit den Werkzeugen umzugehen und sie anzuwenden; die Beziehung zwischen Werkzeug, Geist und Materie, zu wissen, wie diese herzustellen sind; sich ein Thema vorzunehmen; wie man eine Arbeit beginnt und sie beendet und vieles mehr, habe er von seinem Meister gelernt. Es seien Themen, die während des Studiums nicht angetastet werden, behauptet der Künstler. Anschließend brauchte er 12-14 Jahre, um sich Apostus Einfluss zu entziehen. Eigentlich soll dies nichts Ungewöhnliches sein.

Bis zur Lehre bei Apostu hatte er von 1970 bis 1973 an der Temeswarer Kunsthochschule Malerei studiert. Davor, auf Wunsch der Eltern, die für ihren Sohn eine andere berufliche Laufbahn wollten, begann er mehrere technische Studien u. a. im Bereich Architektur, Zivilbauwesen in Bukarest, auch ein Jahr in Temeswar – vergeudete Zeit, wie der Bildhauer nun mit einem Hauch Wehmut beteuert. In der Stadt an der Bega begann er, mit Künstlern zu verkehren, und entschied sich endgültig für ein Kunststudium.

Călărăşanu steht auf und geht zum Arbeitstisch vor dem Fenster. Am Tischrand Schnittspuren der Säge. Die Arbeit, die mein Besuch unterbrochen hatte, wird aufgenommen. Ein Holz wird durchgesägt, die Teile poliert. Ich kann weiter fragen, der Meister antwortet währenddessen.
Die erste Ausbildung im Zeichnen erhielt er als Fünftklässler in seiner Heimatstadt Drobeta Turnu-Severin (Kreis Mehedinţi), wo er Zeichenkurse an einer zu der Zeit in Turnu Severin gegründeten Kunstschule besuchte.

Hier unterrichteten zwei Künstlerschwestern, Puica und Alexandra Popescu, eine davon ehemalige Studentin Jean Alexandru Steriadis (1880-1956). „Eine Malerin, die etwas zu sagen hatte“, unterstreicht der nun 64-Jährige Bildhauer. Zuerst zeichnete er einfache Sachen: Apfel, Kubus, kleines Stillleben. Es folgte zwar kein Kunstlyzeum, das Zeichnen jedoch gab er nicht ganz auf. Pflanzen, Blumen, Details aus dem Garten seiner Familie in Turnu Severin zählten zu seinen Subjekten. Dass er Blumen liebt, gibt der Meister aufrichtig zu, nicht irgendeine spezielle Blume, sondern alle. Wenn er traurig ist, verrät er, kauft er Schuhe oder Blumen.

Sehnsucht nach  der Belle Époque

Vor dem Studium an der Temeswarer Kunstfakultät kamen erstmals theoretische Kenntnisse hinzu: eine Einführung in die Kunstgeschichte. Der Meister wird nostalgisch, blickt in die Ferne. In der Zeit zwischen 1880 bis zum Zweiten Weltkrieg, in der „Belle Époque“, dem „Goldenen Zeitalter des Bürgertums“, hätte er gern gelebt. Dazu der Künstler: „Ich möchte mich wie eine Boje an das intensive Leben von damals einbinden...“ und fordert mich auf, mir Cézanne vorzustellen, wie er mit einer präparierten Leinwand erscheint. Manet, Gauguin, Van Gogh, Matisse, Picasso, Brâncuşi und Giacometti. Eine äußerst intensive Zeitspanne von 50-60 Jahren, die bemerkenswert die Kunst prägte, denn damals formten sich die soliden Kunstrichtungen, betont Călărăşanu und zündet sich eine Zigarette an.

Gern wäre er der Zeitgenosse von Brâncuşi gewesen. „Ich bin ein Mensch, der das Wort ´Beruf´, die eigentliche klassisch durchgeführte Steinmetzerei, die Holzschnitzerei respektiert. Diejenigen, die heute sich der neuen Ausdrucksmöglichkeiten bedienen, entfernen sich davon“, sagt der Bildhauer.

Somit kommt das Thema der Lehrlinge zur Sprache. Mit sichtbarer Enttäuschung resümiert der Meister seine kurze Erfahrung mit Lehrlingen, teilweise auch Kunststudenten. Vor Jahren rief er ein paar zu sich, aber sie kamen mit Kopfhörern, blieben drei Tage und schlugen sich auf die Finger. Sie merkten, dass in Holz oder Stein eine gerade Linie zu schneiden,  ziemlich lange dauern kann. Die gesamte Gesellschaft sei heute in Eile und wenn man dann noch 15, 16, 18 oder 20 Jahre alt ist, bestehe eine gewisse Eile, versucht, er die Ungeduld der jungen Leute zu erklären.

Vorrang der Disziplin bei der Arbeit

Călărăşanu hat nicht – gleich anderen anerkannten Temeswarer Bildhauern – jahrelang ein Lehramt an einer hiesigen Schule oder Hochschule innegehabt. Dies sei eine sichere Einkommensquelle, kann jedoch auch ein Hindernis des Künstlerdaseins darstellen. Er schuf Auftragsarbeiten für Privatpersonen, Grabsteine u.a. für den Bildhauer Victor Gaga (1930-2003) und den Dichter Ion Monoran (1953-1993). Als er 30 Jahre alt war, unterstützten ihn noch die Eltern. Er arbeitete auch an Volkskunstschulen, Kinderheimen,  dem ehemaligen Pionierpalais, aber nur saisonbedingt und als Halbtagsarbeit. Dies, da er sich schnell langweilte und sich in diesen Tätigkeiten nicht wiederfinden konnte.

Er steht auf, nimmt wieder eine Zigarette, zündet sie an, setzt sich zurück an den Tisch und fährt fort. Ins Atelier kommt er täglich, auch samstags und sonntags. Der 64-Jährige arbeitet auch jetzt noch 7-8 Stunden täglich. Nicht etwa, weil es ihm vorgeschrieben wäre, sondern weil er es gern tut.
Seine Lieblingsmaterialien sind Holz, aber auch Stein, manchmal bringt er Holz und  Bronze zusammen. „Das Holz ist wie ein Menschenherz: es arbeitet“, so der Meister. 

Es muss ein Material sein, mit dem man im Einklang steht. Er erwähnt den bekannten Temeswarer Bronzeplastiker Peter Jecza (1934-2009), der seine Ausdruckmöglichkeiten in dieser edlen Metalllegierung fand. Seine Bronzeplastiken bewahrt Călărăşanu aber daheim auf. Sein Zuhause hat er in eine persönliche Galerie umgewandelt, denn das Atelier ist kein adäquates Medium dafür, sie würden hier nur verstauben und müssten andauernd geputzt werden. Einmal muss ich die Werke in seiner Eigengalerie sehen, sagt der Meister.

Eine willkommene Schaffenszeit bieten die Bildhauersymposien, für ihn ähnlich einer Urlaubszeit. Die letzte Veranstaltung dieser Art, an der Călărăşanu teilnahm, fand 2011 in Sankt Georgen/Sângeorz statt. Ein Internationales Andesit-Symposium. Hier habe er einen drei Meter hohen Stiefel angefertigt. Bei einem Symposium trifft man andere Kollegen, mit denen man dann über 20 Tage lang zusammen wohnt und arbeitet.

Das Schaffen wird von der Anwesenheit der anderen Bildhauer gefördert. Es gibt einen einzigen Tagesablauf: aufwachen, arbeiten, zu Mittag essen, sich ausruhen und anschließend bis zum Sonnenuntergang weiter arbeiten. Teil der Gruppe zu sein, ist eine gute Sache: Man wird von den anderen angespornt und ermutigt. „Wenn ich kein Symposium habe, nehme ich mir einen Stein von draußen und arbeite daran“, und zeigt in Richtung Straße, wo die Steine liegen, an denen man das Atelier erkennt.