Organist und Seelsorger zugleich

Josef Gerstenengst (1920 - 1992) zum 25. Todestag

Josef Gerstenengst an der Orgel in der römisch-katholischen „Maria Schnee“-Kirche in Reschitza, anlässlich des Jubiläums des Kirchenchores „Harmonia Sacra“ am 25. September 1977

Am 9. Januar 2017 sind es 25 Jahre seit Msgr. Josef Gerstenengst, Priester und international bekannter Organist, gestorben ist. Geboren am 3. Juli 1920 in Tschakowa, in der Familie von Thomas und Rosa Gerstenengst – sein Vater war Angestellter der Tschakowaer Volksbank und seine Mutter, musikalisch begabt, sang im Chor der Tschakowaer katholischen Kirche.

Sohn Josef liebte die Musik schon ab frühester Kindheit. Als Sechsjähriger erhielt er den ersten Klavierunterricht von Adele Sommer. Als Schüler der Deutschen Katholischen Lehrerbildungsanstalt „Banatia” wurde er im Klavierspiel und in der Musiktheorie von Elisabeth Andree unterrichtet, die sein außerordentliches Talent, seine technischen Fähigkeiten sowie sein tiefes musikalisches Einfühlungsvermögen bemerkte.

Von 1931 bis 1938 machte seine musikalische Entwicklung große Fortschritte. Er beteiligte sich an allen Konzerten und musikalischen Veranstaltungen des Lyzeums und „Temesvari Hirlap“, die „Temeswarer Zeitung“ oder „Banater Deutsche Zeitung“ berichteten von seiner „brillanten” Technik sowie von der ausgezeichneten Beherrschung der Partitur.

Auf Wunsch seiner Mutter setzte Josef Gerstenengst 1939 sein Studium an der Temeswarer Theologischen Akademie (Priesterseminar des lateinischen Ritus) fort. Er hatte Gelegenheit, Orgel zu studieren. Das Orgelspiel liebte er immer mehr. Alle Geheimnisse dieses Instrumentes studierte er sehr genau. Durch Zufall traf der Student Gerstenengst am Priesterseminar Viktor Wegenstein, den Enkel des berühmten Orgelbauers Carl Leopold Wegenstein, bei Instandhaltungsarbeiten an diversen Orgeln. Die Bekanntschaft mit Viktor Wegenstein wurde zum Wendepunkt im Leben von Josef Gerstenengst. Wegenstein überzeugte Gerstenengst, vom Klavier definitiv zur Orgel zu wechseln. Von da an wurde das Orgelstudium sehr, sehr ernst genommen.

Auch die Bekanntschaft mit Professor Emmerich Vormittag und Josef Brandeisz vom Temeswarer Musikkonservatorium waren bedeutsam. Beide veranstalteten ausgezeichnete Konzerte in Temeswar und in Tschakowa.

Die Presse (1942 – 1946) verzeichnete Konzerte mit Orgelmusik in Temeswar, aber auch in anderen Städten des Banats, in Tschakowa, Arad, Hatzfeld. Sein Repertoire wurde immer umfangreicher (Bach, Mozart, Reger, Cherubini, Tartini, Leonardo, Springer).

1945 weihte Dr. Augustinus Pacha, Bischof der Diözese Temeswar, Josef Gerstenengst zum Priester. Nach einer kurzen Tätigkeit in Neuarad und Lenauheim wird Josef Gerstenengst im Herbst 1946 nach Reschitza versetzt.
 

Josef Gerstenengst und der Reschitzaer Kirchenchor

Msgr. Paul Lackner notierte: „1946 im Herbst wurde Josef Gerstenengst als Kaplan nach Reschitza versetzt. Damit begann eine neue und glanzvolle Periode des Kirchenchores, die fast 30 Jahre andauerte. Die großen musikalischen Aufführungen benötigten neben den sogenannten Regens chori auch einen Dirigenten, der Chor und Orchester führte. Der Regens chori spielte gewöhnlicherweise zugleich die Orgel. Die Musikbegleitung wurde immer von der Werkskapelle besorgt.“

In jener Zeit leitete Engelbert Kontur sowohl den Kirchenchor als auch die Werkskapelle (1945 - 1954). 1954 musste er diensthalber nach Bokschan übersiedeln. Den Dirigentenstab übernahm Emil Kummergruber (1954 - 1985).

Josef Gerstenengst arbeitete mit beiden Dirigenten zusammen. So entstanden musikalische Veranstaltungen mit Orgel, Chor und Orchester, die Reschitza zu einem wahren Zentrum musikalischer Kultur machten. Dazu einige Angaben:

- 3. März 1948: „Festliche musikalische Vesper”. Kirchenmusikalische Andacht mit Beteiligung des Kirchenchors, des UDR-Orchesters (= der Werkskapelle) unter Engelbert Kontur. Orgelbegleitung: Emil Kummergruber. Orgelsolo: Josef Gerstenengst. Im Programm Werke von J. Haydn, W.A. Mozart, A.J. Monar: „Alleluja“ (Orgelsolo);

- 5. Mai 1949: Konzert mit dem Cellisten Radu Aldulescu (Bach, Händel, Vivaldi, Böhm). Radu Aldulescu war vom Zusammenwirken mit Josef Gerstenengst begeistert. Auf ein Programmheft notierte er als Widmung: „Dem Pfarrer Gersten-engst zur Erinnerung an unser gemeinsames Konzert in der römisch-katholischen Kirche Reschitza”;

- 12. April 1959: „Händel-Haydn Jubiläum“, mit Messias-Oratorium und Konzert in d-Moll Op. 7 von Händel, Harmonie-Messe in B-Dur und A-Dur-Sonate für Geige und Orgel von Haydn (mit Josef Dudl).

Lange blieb Reschitza das Zentrum der priesterlichen und musikalischen Tätigkeit von Josef Gerstenengst. Von Reschitza ging er auf Tourneen ins ganze Banat: nach Karansebesch (1948), Orawitza (1948, mit Josef Brandeisz), Temeswar (1949, mit George Georgescu) und Tschakowa.

Am 24. Juli 1949 spielte Josef Gerstenengst zum ersten Mal in der Bukarester römisch-katholischen Sankt-Josephs-Kathedrale. In den 1950er Jahren ging Josef Gerstenengst auf Tourneen durch Temeswar, Hermannstadt, Großwardein, Bukarest, Klausenburg, Sathmar, Großkarol, Kronstadt, Orschowa – oft in Begleitung von Vasile Jianu (Flöte), Radu Aldulescu (Cello) und Vladimir Orlov (Cello).

Zwischen 1955 und 1957 war er oft in Hermannstadt, bei einem der großen Organisten und Musiker Europas, Franz Xaver Dressler, dem Musiklehrer einer hervorragenden Generation von Organisten wie Helmut Plattner und Horst Gehann. Der Banater Organist Gerstenengst vervollkommnete in diesen Jahren seine Orgelkenntnisse und bekam den Feinschliff in Technik und Interpretation.

Für den Priester Josef Gerstenengst wurde das tägliche Breviarium zu sakraler Musik. Er lebte eine Symbiose zwischen Glaube und Musik. Die Worte des Evangeliums „Betet ununterbrochen, ohne aufzugeben!“ erhalten einen neuen Inhalt, die Worte werden zu Gesang, das Gebet zu Musik.

Drei besondere Ereignisse sind mit dem Namen Josef Gerstenengst und dem Reschitzaer Kirchenchor eng verbunden:

1956: das Mozart-Jubiläum - 200 Jahre seit der Geburt von W.A. Mozart (1756 - 1956); drei Konzertabende: am Sonntag, dem 27. Mai, am Freitag, dem 1. Juni, und am Montag, dem 4. Juni;

1957: die 80-Jahr-Feier des Kirchenchors (am Mittwoch, dem 2. Oktober, am Sonntag, dem 27. Oktober, und am Sonntag, dem 24. November);

1977: die 100-Jahr-Feier des Kirchenchors (Konzert am 25. September). Im Programm standen Werke von Mozart: die Orgelphantasie in f-Moll (KV 608), die Krönungsmesse in C-Dur (KV 317) und das Requiem in d-Moll; Beethoven: die C-Dur Messe Op.86; Franz Liszt: Auszug „Tu es Petrus” aus dem „Christus Oratorium“; Max Reger: Introduktion und Passacaglia in f-Moll; Händel: das Halleluja aus dem Messias-Oratorium; J.S. Bach: Phantasie und Fuge in g-Moll u. v. a. Der Kirchenchor zählte damals ca. 60 - 70 Sänger. Unter den Solisten waren Maria Patloch, Else Krischer, Helen Voloschin und Elisabeth Gecse (Sopran), Trude Kortik, Elisabeth Oppelcz und Irene Horvath (Alt), Heinrich Kisswimmer und Ludwig Oppelcz (Tenor), Rudolf Karban und Josef Sänger (Bariton), Kasper Halsdorfer, Matz Halsdorfer (Bass). Dirigent war Emil Kummergruber. Orgelbegleitung und die Orgel-Soli: Josef Gerstenengst.
 

Die Bukarester Jahre und die internationale Karriere

Ende 1958 übersiedelte Josef Gerstenengst endgültig nach Bukarest. Von da öffnete sich für ihn der Weg zu einer international sehr erfolgreichen Karriere. Mit den Jahren wurde er zu einem echten Orgelvirtuosen, zu einem Meister mit glänzender Technik und fabelhafter Interpretation. Er wurde zum weltweit bekannten und geschätzten Musiker und Organist. Als Mensch war er immer bescheiden, hilfsbereit, warmherzig und mitfühlend.

„Wo spielen Sie lieber? Im Konzertsaal oder in der Kirche?”, fragten ihn Journalisten. Josef Gerstenengst: „In der Kirche. Die Akustik ist da viel besser. Der Plüsch der Sitze in den Orchestersälen saugt die Töne auf, dämpft. Deshalb ziehe ich es vor, in den Kirchen zu spielen“.

Die deutsche Presse berichtete über ihn: „In welchem Land auch immer Josef Gersten-engst aufgetreten ist, hat er stets die Verbindung zur Heimat aufrechterhalten. Dafür und für seine beispielhafte Bescheidenheit lieben ihn seine Landsleute. Es sei ihm auf diesem Wege nochmals gedankt“.

Am 9. April 1989 besuchte Josef Gerstenengst Reschitza. Es gab wieder ein Orgelkonzert in der Kirche. Im Programm standen Werke von J.S. Bach, Remo Giazotto, Cèsar Franck, Tudor Ciortea, Max Reger. Auch der Kirchenchor sang „Die Ehre Gottes aus der Natur” von Beethoven, das „Ave verum corpus” von Mozart und „Tochter Zion, freue dich“ von G.F. Händel. Der Abend war ein freudiges Wiedersehen des Kirchenchors mit Meister und Freund Sepp.

In den 1980er Jahren arbeitete er zusammen mit dem Cellisten Alexandru Moro{anu (Bach, Händel und Schubert). 1990, zum 70. Geburtstag, wurde Josef Gerstenengst vom Temeswarer Bischof Sebastian Kräuter zum Ehrendomherrn (Canonicus ad Honorem) als Anerkennung seiner Verdienste ernannt. 70-jährig verlieh ihm der Internationale Weltverein für Erziehung und Frieden UNO - UNESCO den Titel „Doctor Honoris Causa” für musikalische Erziehung.

Am 2. Juli 1991 spielten Josef Gerstenengst und Alexandru Moro{a-nu zusammen ein Konzert in Reschitza. Das war sein letzter Auftritt in Reschitza. Am 13. Dezember 1991 beging Josef Gerstenengst mit einem Orgelabend 33 Jahre pastorale und musikalische Tätigkeit an der Bukares-ter St. Joseph-Kathedrale. Er spielte Werke von J.S. Bach, César Franck, J. Brahms, Franz Liszt, Mozart. Die Zuhörer jubelten ihm zu. Er hatte sie durch Musik, durch sein Orgelspiel näher zu Gott gebracht („Näher, mein Gott, zu dir”!). Sie dankten dem wunderbaren Menschen Josef Gerstenengst!

Er starb ganz unerwartet am 9. Januar 1992, abends in Bukarest, am Ende der Abendmesse.

Als die Studenten der Musikfakultät Bukarest Josef Gerstenengst zu seinem 70. Geburtstag im Rahmen eines Seminars feierten, fragten sie: „Wann und wo beginnt und wann und wo endet die Musik? Welches ist die Beziehung zwischen Musik und Gott? Ist es möglich oder zulässig, dass der Priester zugleich auch Musiker ist?” Seine Antwort ist eine Zusammenfassung seiner Lebensauffassung, seiner Lebensphilosophie: „Ich bin kein Künstler! Ich bin ein Handwerker Gottes. Als Priester bin ich ein Vermittler Gottes, der dank seiner Kraft, seines Vermögens durch die Musik die Gläubigen näher zu Gott bringt, um den Bereich der Musik mit der göttlichen Sphäre zu vereinen. Zwischen Erde und Gott gibt es nur die Musik!”

Alle Reschitzaer Musiker und Instrumentalisten, besonders die Sänger des Kirchenchores, liebten und schätzten Josef Gerstenengst. Sooft er ins Banat, in seine Heimat und nach Reschitza kam, wurde er mit einer besonderen Freude, Wärme und Freundschaft aufgenommen. Er selber betrachtete alle als alte Freunde.