Perspektiven auf das künstlerische Werk von Mircia Dumitrescu

Ausstellung im Bukarester Nationalen Kunstmuseum

Eröffnung der Ausstellung „Perspektiven“ | Fotos: Facebook-Seite des Nationalen Kunstmuseums

Derzeit und noch bis Ende Januar kommenden Jahres ist im Erdgeschoss des Nationalen Kunstmuseums in zwei großen Sälen eine umfassende Werkschau unter dem Titel „Perspektiven“ zu sehen, die dem Oeuvre des rumänischen Künstlers Mircia Dumitrescu gewidmet ist, der in diesem Jahr sein achtzigstes Lebensjahr vollenden durfte und der mit ungebrochener Schaffenskraft und bewundernswerter Vitalität nach wie vor seiner vielseitigen und höchst kreativen künstlerischen Arbeit nachgeht.

Die Ausstellung „Perspektiven“ im Bukarester Nationalmuseum präsentiert Zeichnungen, Druckgrafik (Holzschnitte), Gemälde und Skulpturen von Mircia Dumitrescu und außerdem eine Tapisserie. Sie beschließt damit eine Reihe von insgesamt vier Ausstellungen, mit denen das Gesamtschaffen des großen Künstlers, Kunstprofessors und Akademiemitglieds aus Anlass seines achtzigsten Geburtstags in Rumänien gewürdigt und gefeiert wurde. So fand im Juni im Nationalmuseum Cotroceni eine Ausstellung mit Werken Mircia Dumitrescus statt, die dem Andenken seiner Großeltern, Manda und Ion Dospina, gewidmet war und die den Titel „Rumänische Landschaft mit Menschen und Heiligen“ trug. Im Juli konnte man im Theodor Pallady-Saal der Rumänischen Akademiebibliothek eine „Die Reise“ betitelte Ausstellung mit Werken des Künstlers betrachten, die hauptsächlich in den letzten Jahren, auch schon zu Zeiten der Pandemie, entstanden sind. Ebenfalls im Juli wurde im Nationalmuseum Brukenthal in Hermannstadt/Sibiu eine Ausstellung mit dem Titel „Der Dialog der Techniken“ gezeigt, die zwei für Mircia Dumitrescu wichtigen Menschen gewidmet war: seinem akademischen Lehrer, Eugen Schileru, sowie seinem Freund, dem Dichter Nichita Stănescu. Und gegenwärtig ist im Kunstmuseum besagte Ausstellung „Perspektiven“ zu sehen, die das gesamte Schaffen des Künstlers Mircia Dumitrescu umfassend in den Blickpunkt rückt und dabei vor allem Parallelen zwischen seinem Jugend- und seinem Alterswerk zu ziehen unternimmt.

Mircia Dumitrescu wurde am 3. Juli 1941 in Căscioarele im Kreis Ilfov geboren. Nach seiner Gymnasialzeit in Bukarest studierte er von 1959 bis 1965 am Institut für Plastische Kunst „Nicolae Grigorescu“. Seine akademischen Lehrer waren Vasile Kazar, Eugen Schileru, Horia Teodoru, Gheorghe Ghi]escu, Stelian Panțu und Petru Achițenie. Nach dem Studium arbeitete Mircia Dumitrescu dann als Kunstlehrer an einem Bukarester Gymnasium. Im Jahre 1969 wurde Mircia Dumitrescu in den Verband der bildenden Künstler Rumäniens aufgenommen. Von 1975 bis 1990 war er Sekretär der Grafikabteilung dieses Verbandes. Unmittelbar nach der Wende wurde er Hochschullehrer an der Bukarester Kunstakademie, wo er von 1990 bis 2008 den Lehrstuhl für Grafik innehatte. Im Jahre 2013 wurde er zum korrespondierenden Mitglied der Rumänischen Akademie gewählt.

Betritt man die Ausstellung „Perspektiven“ im Kunstmuseum, so kann man noch im Eingangsbereich mehrere Alben und Kataloge des Künstlers durchblättern, die von den Ausstellungspartnern, dem Rumänischen Kulturinstitut (ICR) und der Nationalstiftung für Wissenschaft und Kunst (FNSA), ediert wurden und von denen in der nächsten Zeit noch weitere erscheinen werden. Auch das Nationalmuseum der Rumänischen Literatur sowie die Rumänische Akademie zählen zu den Partnern der Dumitrescu-Ausstellung im Bukarester Kunstmuseum.

Der erhöhte Eingangsbereich des ersten Ausstellungssaales wird beherrscht von einer in diesem Jahr entstandenen Holzplastik, einer Figurengruppe in Überlebensgröße, die nach Art einer überdimensionalen Laubsägearbeit, also flächig und nicht plastisch, Jesus und seine zwölf Jünger in Frontal- wie Seitenansicht zeigt, und zwar unter dem johanneischen Titel „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“. Der Erlöser mit Heiligenschein ist, seine Jünger alle überragend, in die Mitte platziert, während sich jene in Gruppen von je sechs links und je sechs rechts um ihn scharen, wobei Judas als einziger isoliert dasteht, abseits, fern und links vom Heiland wie der ihn später schmähende Schächer am Kreuz.

Über mehrere Stufen steigt man dann, zwischen der Bronze- und der Holzversion der Doppelskulptur „Mönch und Nonne“ aus ausgehöhlten Baumstämmen, aus denen nur die Hände und Köpfe der Ordensleute vorkragen, hinab in den ersten Ausstellungssaal, in dem sofort drei große Werkgruppen ins Auge stechen: Drucke von Holzschnitten an den Wänden und in der Mitte des Raumes Holz- und Bronzeskulpturen sowie Bücher und Skizzenhefte.

Man kann hier frühe Druckgrafik aus den siebziger Jahren bewundern, etwa das Triptychon „Requiem für einen Kollegen“ oder einzelne Arbeiten aus dem Holzschnittzyklus „Positionen“, ferner Druckgrafik aus den achtziger Jahren, etwa aus dem Zyklus „Durchs orangene Tunnel oder Philokalie“, oder auch Werke aus dem erst vor Kurzem entstandenen Zyklus „Stühle“. Von dem Claude Lévi-Strauss gewidmeten Zyklus „Biblische Anthropologie“ mit den Abteilungen „Mythos“, „Koitus“ und „Divitiae“ sind dreißig Holzschnitte in der Ausstellung zu sehen, von dem Albrecht Dürer gewidmeten Zyklus „Die Apokalypse nach Johannes“ acht Druckgrafiken und von dem Nichita Stănescu gewidmeten Zyklus „Nichita azi“ zwölf Holzschnitte. Besonders interessant sind fünf Holzschnitte Mircia Dumitrescus aus den sechziger Jahren, die durch ihre für diese grafische Form unübliche Rasterstruktur auffallen und die den Titel „Der Mythos der Lebensfreude“ tragen. Und sehr eindrücklich sind auch Werke aus dem Zyklus „Der Weg des Gedankens zum Herzen“, der auf Spieße gepflanzte Lämmer zum Thema hat.

Das Motiv der Lämmer kehrt auch in den Skulpturen der Raummitte wieder, etwa in der Skulpturengruppe „Transhumanz“ und in ganz frühen Bronzen von Schafsköpfen. Überwältigend ist die Skulptur des „Heiligen Georg mit dem Drachen“, bei der die Reiterfigur nur durch einen schmalen Holzstab mit dem labyrinthisch anmutenden monströsen Lindwurm verbunden ist. Neben weiteren Tierplastiken (Igel, Kater, Katzen) sind hier auch Skulpturen mit biblischer Thematik („Adam und Eva“, „Die Vertreibung aus dem Paradies“, „Die Flucht nach Ägypten“) sowie Manifestationen des Leidens („Der Ausgepeitschte“, „Muse und Selbstporträt in der Pandemie“) zu sehen, und man kann hier außerdem die Bronzeversion der berühmten Holzskulptur bewundern, die im Nationalmuseum der Rumänischen Literatur ausgestellt ist und die Emil Cioran, Mircea Eliade und Eugen Ionescu zu einem Triumvirat rumänischen Geistes vereinigt zeigt.

Ferner sieht man hier auf länglichen, schmalen, nach Art eines Lesefaltpultes zurechtgezimmerten Holzgestellen bedruckte Papierbänder liegen, die Gedichte Nichita St˛nescus und Kunstwerke Mircia Dumitrescus auf den zwei Meter langen Pultflügeln einander gegenüber positionieren und sie so zugleich miteinander verbinden, etwa das Gedicht „Nichita azi, iunie 1981“ mit der künstlerischen Antwort darauf in den „Reisen des Mircia Dumitrescu“. Außerdem sind in einem Regal sechzehn geschlossene Skizzenbücher mit Aquarellen, Tusche- und Farbzeichnungen des Künstlers zu sehen, von denen immer wieder ein anderes vom Museumspersonal hervorgeholt und aufgeschlagen wird. Eine permanente Videoschau begleitet diesen Einblick in den Bücherkosmos von Mircia Dumitrescu zusätzlich und auf lebendige wie abwechslungsreiche Weise.

Der zweite Ausstellungssaal wiederholt die Präsentationsstruktur des ersten: Skulpturen in der Mitte sowie Zeichnungen, Ölgemälde und Holzschnitte an den Wänden. Die überbordende Fülle der hier gezeigten Kunstwerke, darunter allein dreißig Aquarelle nebst Holzschnitten aus dem Zyklus „Hommage an Peter Greenaway“ und zwölf Ölbilder mit dem einem Chanson von Édith Piaf entlehnten Titel „La vie en rose“, lässt im Besucher dieser sehenswerten Ausstellung den Gedanken aufkeimen und heranreifen, möglichst bald wieder ins Kunstmuseum zurückzukehren, um Mircia Dumitrescus Skulpturen, wie etwa „Jakobs Himmelsleiter“, den „Schrei“, den „horizontalen Torso“ oder „Don Quijote, Dulcinea und Sancho Pansa“, ein weiteres Mal zu betrachten und sich diese vertieft zu vergegenwärtigen.