„Rumänien ist das weiche Hier und Jetzt“

Wehmütiger Minnegesang eines balkanliebenden rheinländischen Dichters

Matthias Buth, „Der Schnee stellt seine Leiter an die Ringmauer. Poetische Annäherungen an Rumänien und andere Welten“, Pop Verlag, Reihe Fragmentarium, Bd. 19. ISBN 978-3-86356-294-6

Matthias Buth, geboren 1951 in Wuppertal-Elberfeld, lebt in Hoffnungsthal. Seit 1973 veröffentlicht er Lyrik und Prosa in Zeitschriften, Zeitungen und Anthologien sowie zahlreiche Gedichtbücher. Matthias Buth gehört zur langen Reihe der Dichterjuristen; er promovierte zum Militärstrafrecht der DDR und war bis Ende 2016 Justiziar im Kanzleramt bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Seitdem ist er als Rechtsanwalt tätig und publiziert politische Feuilletons im Deutschlandfunk. Foto: Heiko Löffler

„Der Schnee stellt seine Leiter an die Ringmauer“, während es draußen schon nach Frühling riecht - doch die „Poetische Annäherung an Rumänien und andere Welten“ von Matthias Buth ist zu jeder Jahreszeit reizvoll. Auf dem Buchrücken des 2020 im Pop Verlag Ludwigsburg erschienenen Werks aus Gedichten und Prosa zum erweiterten Kulturraum Rumäniens bemerkt Nachwort-Autor Markus Bauer: Dass „ein deutscher Dichter aus dem Rheinland“ einen Band zusammenstellt, „in dem die Annäherungen vor allem an Rumänien zum inneren Kern des Dichtens wie Reflektierens und politischen Denkens erhoben werden, hat in der Literatur der Bundesrepublik kein Beispiel.“

Der Autor Matthias Buth hingegen spürt den Atemzügen der Geschichte jenseits der Ländergrenzen nach. Sein poetisches Prinzip ist die Donau, die nicht nur geografisch verbindet: „România ist ein Wort aus dem inneren Klang von Europa, es sucht die Klänge der anderen, um zu singen, zu trauern, zu beglücken. Und so sind Deutschland und Rumänien verwandt, Geschwister durch Musik und Geschichte.“

Hommage an Siebenbürgen

Im ersten Teil, der Gedichtesammlung „Liebliche Wohnungen“, gleich zu Beginn ein Tropfen Schwermut für Siebenbürger Sachsenherzen: Kirchenbänke, „leergebetet seit Jahren / Die Orgel tropft Stille / Im Chor spielen die Fenster / Dann breitet er seine Arme / Und tröstet Gott / Bis auch / Er nicht mehr kommt“. Wer anders könnte gemeint sein als Schriftsteller-Pfarrer Eginald Schlattner, der jeden Sonntag in vollem Ornat in der leeren Kirche von Rothberg/Roşia predigt.

Ein wenig wehmütig klingt auch das „Orgelstück für Ursula Philippi“ an, in dem der Schnee, „Siebenbürgens zärtlicher Tod“, die Kirchen umarmt, „Zurückgelassene Andacht / Bei offenen Dächern“, eine Anspielung an den Kampf gegen den Zahn der Zeit, der auch an den noch nicht verlassenen Kirchenburgen nagt.

Im Gedicht „România“ vergleicht er die Schülertreppe in Schäßburg, die zu Gymnasium, Bergkirche und Friedhof hinaufführt, mit der Jakobsleiter, „die nicht aufgibt / Ihr Holz duftet und tröstet wie eine Umarmung / Das geschindelte Dach behütet die Schatten“. Am selben Ort „Pfarrer Bruno Fröhlich“: „Sonntags fährt er von Kirche zu Kirche denn / Siebenbürgen bestickt den Himmel mit Türmen“. Und „Gabriel Faure spielt eine Sarabande  / Von der Orgelempore auf schwarze Mäntel / Die warten dass er endlich kommt um neue / Psalmen in die weichen Fenster zu beten /Die Heiterkeit der alten Worte /Die kein Ende kennt“.

Lautmalend pastelliert der Minnesänger seine zartwehmütigen Liebesbilder von geschichtstrunkenen Orten, verankert darin Urgesteine Siebenbürgens, wie „Eckart Schlandt an der Buchholz-Orgel“, oder Rumäniens, wie „König Michael“.

Nahestehende Nachbarn

Um Kulturräume und ihre Schriftsteller und umgekehrt geht es im zweiten Teil, „Rumänien, wo liegt es?“, in Prosa. Das erste Kapitel „Nahe Nachbarn“ schlägt den Bogen vom französischen Friedhof Montmartre mit dem „deutschesten aller Dichter“, Heinrich Heine, der dort und nicht in Deutschland begraben werden wollte, doch sein Grab sei Pilgerstätte der Deutschen, zu der leeren Grabplatte von Clara Haskil in Montparnassse, „ein kostbarer Name, der für einen wesentlichen Teil der rumänischen Kultur- und Geistesgeschichte steht“. Über Titelstationen wie „Die eigene Sprache als Wasser und Brot“, „Jerusalem ist Celans Gedicht“, „Wie ist Deutschland verfasst“, „Bleibt ihm mitgegeben“ und „Spiegelbild“ geht es lesereisend in „Das Jerusalem Siebenbürgens“. Wo mag es liegen? In Schäßburg, Kronstadt – oder gar in Großau, wo sich ein verlassenes Bauernhaus und die Kirche gegenseitig in den Fenstern spiegeln?
„Siebenbürgen ist ein unendlicher Raum voller Spiegel.“
Und: „Rumänien ist das weiche Hier und Jetzt.“

„Ich baue mit geliehenen Worten Häuser, die fliegen“, sagt der Autor über sich, der von hiesigen Dichtern – darunter viele Deutsche - eifrig Zitate borgt, analysiert, poetisch-politisch, sowie Attributen wie Volk und Nation, Staats- und Kulturnation, deutsche und rumänische Identität nachspürt. Sein deutsches Kulturbild schließt Rumänien ohne Widerspruch ein: „Wenn die deutsche Hochsprache gleichgesetzt werden darf mit dem ‚Sprachland‘, mit dem Begriff ‚Deutschland‘, dann sind Hans Bergel, Rolf Bossert, Klaus Hensel, Franz Hodjak, Anemone Latzina, Herta Müller, Oskar Pastior, Dieter Schlesak, Werner Söllner, Richard Wagner, Ernest Wichner oder Joachim Wittstock in ihren Werken eben auch das gelehrte Deutschland und so eben auch ein Stück rumänisches Europa, das zu suchen wir nicht müde werden sollten.“

Am Beispiel des Banater Dichters Nikolaus Lenau wird verdeutlicht, wie verflochten dieser länderübergreifende Kulturraum ist, wie künstliche jede Trennung nach den genannten Attributen, wie paradox die Vereinnahmung von Persönlichkeiten durch nationale Interessensgruppen. Zur Frage, ob Lenau, „einer der bedeutendsten Dichter deutscher Sprache“, „aus Rumänien kommt“:  Sein Heim – Lenauheim – liegt im Banat, und dieses gehörte, als Lenau geboren wurde, zu Ungarn, „viele Ungarn reklamieren ihn deshalb als einen der ihren“, obwohl „doch für die alpenländische Germanistik längst ausgemacht ist, dass er ein österreichischer Dichter ist.“ „Das Beispiel Nikolaus Lenau zeigt, wie unermüdlich die Etikettierung von Werk und Autor, von Entstehungsort, von Themen und Biografie versucht wird, damit all dies in den Dienst genommen werden kann für die Suche nach eigenständiger Kultur, die zu nationalen oder zu volksgruppenspezifischen Identitäten führen soll.“

„Der Schnee stellt seine Leiter an die Ringmauer“ - und ausgerechnet die Begrenzung eines in sich geschlossenen Raumes, zu dessen Verteidigung errichtet – symbolisch für Rumänien – wird zum Zugang.  Matthias Buth hat diesen Zugang nicht nur selbst gefunden, sondern erschließt ihn auch dem Leser und holt das Land damit in einen gemeinsamen literarischen europäischen Kulturraum ein.