Schriftsteller-Chronist seiner Gemeinschaft

Der Autor Johann Lippet wurde 70 Jahre alt

Johann Lippet im Jahr 2011 in Sindelfingen. Foto: der Autor

Ende des Jahres 2019 erschien ein Band mit Autorenportraits, Essays und Rezensionen unter dem Titel „Über deutsche Dichter, Schriftsteller und Intellektuelle aus Rumänien“ von Anton Sterbling, der auch in Rumänien über den Schiller-Verlag vertrieben wird (ISBN 978-3-86356-251-9, 216 Seiten, 78 Lei). Prof. Dr. Sterbling ist einer der besten, intimen Kenner von Leben und Werk Lippets. Daher sei diesem Beitrag ein Kernzitat aus dem Buch vorangestellt: „Johann Lippet ging immer seinen Weg, seinen eigenen Weg, und er ging diesen nicht immer einfachen Weg mitunter sehr eigenwillig, aber stets konsequent, intellektuell redlich und sehr offen…“ Es ist eine wichtige Einschätzung zu Werk und Person des Schriftstellers Lippet und stammt von einem Insider, dem Mitbegründer der bekannten damaligen Aktionsgruppe Banat.

Johann Lippet ist in der Gemeinde Wiseschdia, rumänisch Vizejdia, zu verorten, einem kleinen und vom Hauptverkehr bis heute abgelegenen Dorf in der Banater Heide. Solche Gegebenheiten prägen die Menschen der Gemeinschaft. Aus diesem Ort mit knapp 700 Einwohnern im Jahr 1940, alle-samt Deutsche bis auf vier Rumänen, stammte die Familie Lippet, der in der Fremde (Wels, Österreich) am 12. Januar 1951 das erste Kind, der Sohn Johann, geboren wurde. Fünf Jahre später kehrte die Familie ins Dorf der Vorfahren zurück, ein Ereignis, das für viel literarischen Stoff sorgte.
Obwohl Lippet die meisten Jahre seines Lebens als Erwachsener in Temeswar lebte – vom Studium bis zur Ausreise nach Deutschland –, prägte diese Dorfgemeinschaft ihn und sein Werk wesentlich. Das begann mit „biographie. ein muster. poem“ (Gedicht/e aus 1977, Kriterion Bukarest 1980, Reihe Kriterion Hefte), sie stand am Anfang der Buchveröffentlichungen des jungen Autors, der als Lyzeaner in Großsanktnikolaus und Germanistik-Student in Temeswar ab 1969 erste Gedichte in Zeitungen und Anthologien (Temeswar 1972 und 1979, Klausenburg 1976) veröffentlichte. Für dieses breit angelegte Langgedicht erhielt Lippet im selben Jahr den Debütpreis des Schriftstellerverbandes. Das Poem kündigte den langen Atem an für die bald folgenden längeren Erzählungen, Geschichten und Romane.

„unaufdringlich wie konzentriert“

Lippet erzählt seine eigene Geschichte, wie später in „Das Leben einer Akte“, ein Bändchen über die Bespitzelungen durch den rumänischen Geheimdienst, und viele andere Geschichten. Sie belegen den Weg zum Autor lesenswerter Romane – ein halbes Dutzend –, die uns mit der Zeitgeschichte in Rumänien konfrontieren. Sie fußen alle auf gründlicher, akribischer Recherche der Tatsachen, die die Rumäniendeutschen allgemein betreffen, und reichen thematisch über das Banat hinaus.

So beispielsweise die neueren Romane „Die Tür zur hinteren Küche“ (2000) und „Das Feld räumen“ (2005), die als „plastisches Panorama“ gelten für die Endzeit der Gemeinschaft der Deutschen in Rumänien und als literarische Aufarbeitung dieses Exodus. „Die Zeit“ schrieb dazu: „Hier ist jemand ebenso unaufdringlich wie konzentriert an der Arbeit. Der Arbeit des Sich-Erinnerns, -Festhaltens, der Suche nach verlorener Zeit, verlorenem Land.“ Beide Bücher wurden ins Ungarische übersetzt und 2016 in Budapest veröffentlicht. Oder auch der jüngste abgeschlossene und veröffentlichte Band „Wegkreuze“ aus dem Jahr 2017 mit der Sammlung be-obachteter, gehörter, gelesener und anderer „Geschichten“. So der Untertitel.

Anders als bei einigen Autoren der damals neun Gründer (1972) der später sogenannten Aktionsgruppe Banat liest sich bei Lippet die Nähe und Verbundenheit zu seinem Dorf, zu dem ländlichen Mikrokosmos, zur kleinen Welt, zu deren Wandel und zum Untergang in mehreren der inzwischen auf über 20 Bände, ohne dabei unterschwellige Sozialkritik auszusparen, oft mit Humor und Lakonie. Er kann in der Sprache schreiben, die Authentizität gibt.

Pseudo-Roman, unechte Chronik

Besonderen literarischen Stellenwert im bisherigen Schaffen nimmt das Buch „Dorfchronik, ein Roman“ ein, so die Titeldefinition des Autors (2010, ISBN-13:978-3-937139-99-9). Es ist ein wichtiges Werk für die Banatdeutschen und ihre Literatur, mit vielen inhaltlichen Verbindungen zu den Siebenbürger Sachsen wie auch mit vielen Parallelen zu Kriegs- und Nachkriegsgeschehen, die nachhaltig auf das Schicksal der Deutschen in Rumänien wirkten. Es ist ein eigenwilliges, eigenartiges literarisch-dokumentarisches Werk, ein Pseudo-Roman, aber auch eine unechte, ungewöhnliche Dorfchronik trotz Tatsachenhintergrund und schicksalhafter Zusammenhänge in den einzelnen Geschichten.

Das umfangreiche Fresko (790 Seiten) umfasst einen Prolog und einen Epilog, zwischen denen anhand von 179 Dorf- bzw. Familien-(Haus-)geschichten das Leben einer kleinen, weitgehend geschlossenen und in sich verwobenen banatschwäbischen Gemeinschaft literarisch präsentiert, man könnte fast sagen dokumentiert wird. Dabei hat man als Leser den Eindruck, dass der Schreiber vieles als selbstverständlich ansieht, er schimpft nicht und verurteilt nicht, wird nicht boshaft. Und man weiß nie, wo und was Fiktion, und was subjektive Lebensgeschichte bzw. Wirklichkeit ist (war). Fiktion ist kein vordergründiges Mittel für den Zeit- und Handlungsrahmen. Dieses Buch ist zu den Banater Literatur-Veröffentlichen zu zählen, die erzähl- und detailfreudig festgehalten haben, was an Erinnerungen über diesen historischen Raum und seine Menschen bleibend in die Zukunft getragen werden soll.

Der Autor legt gewisser-maßen ein schöngeistiges Zeugnis ab, verarbeitet eigene Erfahrungen sowie Freuden, Hoffnungen, Nöte und Ängste seiner Protagonisten. Er wird eingehen als „Treuhänder dieses Verlustes“ (so der Literaturkritiker Peter Motzan). Seine Genauigkeit – er hat wahnsinnig viel minutiös festgehalten, was schon längst vergessen ist – erhöht die Glaubwürdigkeit und die Suggestivität der Sprache.

Geradlinig durch die Umbrüche

Zwischendurch meldete sich immer wieder der Lyriker zu Wort, sprachgewandt und einfallsreich, wie im Band „Banater Alphabet“ (2001) oder zuletzt mit „Kopfzeile, Fußzeile“ aus dem Jahr 2016. Auch da ist sich der Dichter treu geblieben, ohne Brüche, so wie er als Mensch geradlinig durch die Umbrüche im eigenen wechselvollen Leben gegangen ist.

Johann Lippet studierte von 1970 bis 1974 Germanistik und Rumänistik an der Temeswarer Universität – Jahre, in denen der Mitbegründer der jungen Autoren-Gruppe politisierter und opponierender Studenten immer zum Kern gehörte. Darüber und über die Zeit im Temeswarer deutschen Literaturkreis „Adam Müller-Guttenbrunn“ (1977-1984) erschien aus seiner Feder eine längere Fortsetzungsreihe von Streiflichtern, unter dem Titel „Wir werden wie im Märchen sterben“, in der Banater Zeitung (2012).

Nach dem Studium wirkte der Deutschlehrer in Temeswar, ab 1978 als Dramaturg am deutschen Staatstheater der Stadt. Nach der Ausreise mit seiner Familie 1987 in die Bundesrepublik Deutschland war Lippet in Mannheim (Theater) und Heidelberg tätig. Der Schriftsteller und Übersetzer rumänischer Autoren lebt in Sandhausen bei Heidelberg, seit 1998 als Freischaffender.

Im Gesamtwerk des Schrift-stellers blieben das Banat und das Schicksal seiner Menschen bis zum jüngsten Buch („Franz, Franzi, Francisc. Roman-Fragment“, 2019) ein Leitthema – der aufmerksame, nur scheinbar stille Beobachter und geduldige Zuhörer mittendrin von damals und heute weiß, worüber er schreibt.