Schweinekopf und Schmetterlinge

Fotoausstellung “La Tara” von Manfred Willmann zeigt Landleben in all seinen Facetten

Vernissage der Ausstellung “La Tara". Fotos: George Dumitriu

Erste Betrachter...

Der Fotograf vor seinen Bildern, im Dialog mit seiner Ehefrau

Donnerstag, 7. Juli, 19 Uhr im Bauernmuseum (Muzeul }aranului): Die ersten Besucher der Vernissage zur Ausstellung “La Tara” (Auf dem Land) schlendern durch den Saal.  Der unauffällige Mann mit dem weißen Hut, der die Reaktionen der Betrachter schon vor der Eröffnungsrede beobachtet, ist Fotokünstler Manfred Willman. Auch wir sehen uns erstmal um: Ein blaues Auge im weissen Gelatineball starrt aus dem Dreck zum Himmel hoch - im linken Bildrand verschwindet der graumelierte Hintern einer Katze, die sich mit wer weiß welcher Beute aus dem Staub macht. Ein paar Landschaften und Schmetterlinge weiter guckt eine Artgenossin mit blutgetränktem Schnurrbart ertappt in die Linse des Fotografen.

Die Bäuerin, die in Feinrippunterhosen auf einem Schemel in der Stube hockt und sich in einer Schüssel die Füße wäscht, der frisch abgeschnittene Schweinskopf, der aus dem wassergefüllten Plastikeimer grient oder die nackte Barbiepuppe als eigenwilliges Küchendekor - sie dienen nur allzu bereitwillig dem Ziel des österreichischen Fotografen, touristische Idylle und verklärte Landromantik um jeden Preis zu vermeiden.

Seine Bilder sind mitten aus dem Leben gegriffen, Bauernalltag in der Steiermark. Detailreiche Momentaufnahmen reihen sich aneinander, die nur schwer zu einem erfaßbaren Ganzen verschmelzen - zu sehr reißt einen die Intensität der Bilder in den jeweils festgehaltenen Augenblick hinein. Nichts scheint dem Künstler zu banal, zu grausam, zu lächerlich oder zu penibel: die überschminkte junge Bäuerin, das Pfauenauge auf einer verschwitzen Stirn, die grünliche Wassersuppe im weissen Teller, in der nicht mal eine Nudel schwimmt.

“Seine Bilder basieren auf einer konzeptuellen Ausrichtung, die sich des dokumentarischen Stils lediglich als Geste bedient”, schreibt die Internetplattform Kunstmarkt.com über Willmann. Er selbst motiviert dort sein künstlerisches Tun: “Ich möchte die Dinge schöner zeigen als sie sind, oder hässlicher“. Für Fotografien wie diese bieten Kenner schon mal bis zu 8000 Euro,  meint Karin Cervenka, Kulturbeauftragte der Österreichischen Botschaft. Sie hat die Ausstellung,  die zuvor in Spanien gastierte, ins Bukarester Bauernmuseum gebracht, wo sie noch bis zum 28. August zu sehen ist.

Manfred Willmann, 2009 mit dem österreichischen Staatspreis für Fotografie ausgezeichnet, stammt selbst aus einfachstem bäuerlichen Milieu. Die Eltern Flüchtlinge aus Jugoslawien, die Mutter Analphabetin, die Schwestern stets verwirrt durch das Gemisch aus Serbokroatisch, Ungarisch und Deutsch, das zuhause gesprochen wurde – wenn überhaupt Wort fielen. “Ich bin relativ sprachlos aufgewachsen”, bekennt der Fotograf. “Nur alle drei Jahre gab es zu Weihnachten ein Buch und selbst Mickymaushefte las ich nur heimlich beim Frisör, denn das war Schundliteratur”. Sein Elternhaus charakterisiert er mit vier Worten, die immer wieder fielen: warum, wieso, benti und schuti. “Warum hast du die gute Hose zur Arbeit an? Wieso ziehst du dich nicht um?” Das waren typische Fragen seiner Mutter. Benti ist serbokroatisch, es heisst 'verdammt'. Schuti bedeutet 'sei ruhig'.

Wer nicht gelernt hat, mit Worten zu beschreiben, flüchtet sich in die visuelle Welt. “Im Zeichnen und Werken war ich immer der Beste”, motiviert Manfred Willmann seinen Eintritt in die Kunstgewerbeschule mit 14 Jahren und fügt hinzu: “Da die Grafiker auch Aktzeichnen im Programm hatten, was für Schüler unter 16 verboten war, verfolgte ich den Ausbildungszweig als Dekorateur”. Mit 16 Jahren kaufte er sich die erste Kamera und trat einem guten Fotoclub bei, der auch kulturelle Veranstaltungen anbot.

Nur zwei Jahre später nahm er  an einer Gruppenausstellung teil, mit 22 hatte er bereits eigene Ausstellungen zu kreativer Fotografie in Wien und Graz. 1974 erhielt er die Chance, eine Kunstgalerie in einem Grazer Kaffeehaus zu übernehmen und organisierte dort fünf Jahre Ausstellungen. Danach wurde er Mitglied der bekannten, 1959 gegründeten Grazer Künstlerplattform “Forum Stadtpark”, die Ausstellungen und Lesungen veranstaltete und eine Literaturzeitschrift herausgab, in der auch der Schriftsteller Peter Handke erstmals publizierte. 1980 gründete der mehrfach ausgezeichnete Fotograf, der mittlerweile auf eine Karriere von 35 Jahren zurückblickt, die Fotozeitschrift “Camera Austria”.

Das Landleben in Rumänien – obwohl es sich kaum von seinen Steiermark-Bildern unterscheidet - wird Manfred Willmann wohl nicht mehr kennen lernen. In den Siebzigerjahren bereisten Mitglieder seines Fotoclubs die Maramuresch und berichteten begeistert von Holzhäusern, Pferdefuhrwerken und traditionellen Trachten. Doch wegen den modernen Protzbauten, die mittlerweile die dortige Landschaft verschandeln, gab er seine eigenen Reisepläne auf. “1980 war ich im Rahmen eines Fotoauftrags in Sansibar” illustriert er seine Entscheidung. “Damals fuhr ich mit dem Fahrrad durch Palmenhaine - heute traust du dich dort kaum noch über die Straße und trittst überall auf Plastik”, kommentiert er bitter.

Auch das in seiner Ausstellung gezeigte Landleben wird irgendwann der sogenannten Zivilisation zum Opfer fallen. Dann denken wir vielleicht wehmütig an den Schweinekopf im Plastikeimer zurück. Oh,  Entschuldigung, Herr Willmann! Nun hätte sich doch beinahe ein bisschen verklärte Landromantik eingeschlichen...