„So wunderbar ist das Leben gemischt“

14. Deutsche Filmtage des Goethe-Instituts in Bukarest

Während der Deutschen Filmtage wurde auch der Film „Family Romance, LLC“ von Werner Herzog (Foto) über den erfolgreichen japanischen Unternehmer Yuichi Ishii gezeigt, der selbst als Protagonist im Dokudrama auftritt.

Vom 21. bis 27. November fanden im Bukarester Kino „Elvire Popesco“ die 14. Deutschen Filmtage statt, die vom Goethe-Institut veranstaltet wurden und in deren Rahmen an den sieben Festivalabenden insge-samt zwölf Filme gezeigt wurden. Der Film des Eröffnungsabends am 21. November mit dem Titel „Systemsprenger“, der deutsche Vorschlag für den besten internationalen Film („Academy Award for Best International Feature Film“) bei der Oscar-Verleihung im kommenden Jahr, wurde am fünften Tag des Festivals im erneut ausverkauften Kinosaal ein zweites Mal gezeigt.

Die Auswahl der Filme besorgte der rumänische Journalist, Filmkritiker und Drehbuchautor Andrei [endrea, dem es gelungen ist, bei den Filmdirektoren – unbeabsichtigt und rein zufällig, wie er selbst verlauten lässt – den Geschlechterproporz (sechs Regisseurinnen und sechs Regisseure) zu wahren. Außerdem schenkte er den Newcomern unter ihnen – die Hälfte der bei den Filmtagen vertretenen Regisseure sind Debütanten! – besondere Aufmerksamkeit und achtete darauf, dass neben den (noch) unbekannten auch berühmte Filmdirektoren zum Zuge kamen: etwa die Oscar-Preisträgerin Caroline Link oder der Altmeister des deutschen Films Werner Herzog, der mittlerweile auch als Schauspieler Kultstatus errungen hat.

Das vielfältige, anregende und durchaus mit Überraschungen aufwartende Filmprogramm wurde zu-dem durch mehrere Gäste bereichert und ergänzt, die den Kinobesuchern an verschiedenen Abenden im Anschluss an die jeweiligen Filmvorführungen für Fragen zur Verfügung standen. Nora Fingscheidt, die Regisseurin des Eröffnungsfilms „Systemsprenger“, war zwar bei den Deutschen Filmtagen in Bukarest le-diglich per Videobotschaft präsent, weil sie sich, genauso wie dessen Hauptdarstellerin Helena Zengel, während des Festivals be-reits wieder zu Filmarbeiten in Nordamerika aufhielt, doch standen etwa Uli Gaulke, der Regisseur des Dokumentarfilms „Sunset over Mulholland Drive“, oder der Direktor sowie der Produzent des Spielfilms „Leif in Concert – Vol. 2“, Christian Klandt und Martin Lischke, dem interessierten Festivalpublikum Rede und Antwort.

Das Programm der 14. Deutschen Filmtage in Bukarest zeichnete sich durch eine große thematische Vielfalt aus, wobei viele Filme mehrere Themen zugleich anschnitten und bündelten. So versah etwa der Kurator der Filmtage die erste Sektion seiner Auswahl mit dem Titel „Über Liebe und die Dinge, die ihr im Wege stehen“, wobei der erste unter dieser Überschrift gezeigte Film „Das schönste Paar“ von Sven Taddicken auch Fragen der Gewaltbewältigung und der Therapie posttraumatischer Symptome anschnitt. Und der zweite in dieser Sektion gezeigte Film berührte neben dem der Liebe auch Themen wie Integration und Multikulturalität.

Zwei der bei dem Festival des Goethe-Instituts gezeigten deutschen Filme sind ausschließlich in einer Fremdsprache gedreht. Werner Herzogs Film „Family Romance, LLC“ bei-spielsweise rankt seinen Filmplot, der für deutsche und rumänische Augen in das Science-Fiction-Genre der Dystopie gehört, in Japan jedoch faktisch bereits Wirklichkeit ist, um den höchst erfolgreichen japanischen Unternehmer Yuichi Ishii, der selbst auch als Protagonist in Herzogs Dokudrama auftritt. Der attraktive und sympathische Dienstleistungs-Mogul betreibt einen Mietmenschenservice, bei dem Kunden fiktive Familienmitglieder buchen können, etwa um ein schwer alkoholkrankes Familienmitglied bei einem öffentlichen Auftritt durch ein präsentables Surrogat zu ersetzen oder um einer Tochter den im frühkindlichen Alter aus ihrem Leben verschwundenen Vater zumindest für eine Zeit wieder zurückzubringen. Die wunderbaren Filmaufnahmen aus der japanischen Kirschblütenzeit (mit dem Regisseur selbst an der Kamera) sind nicht nur für Japanliebhaber ein Erlebnis! Neben diesem Film in japanischer Sprache gab es bei den 14. Deutschen Filmtagen einen weiteren Film, der ausschließlich in einer Fremdsprache gedreht ist: den englischsprachigen Dokumentarfilm „Sunset over Mulholland Drive“ von Uli Gaulke, der in einer luxuriösen Seniorenresidenz nördlich von Los Angeles spielt, wo die Rentner der Hollywood-Filmindustrie ihren von Jodie Foster, George Clooney und Kirk Douglas gesponserten Lebensabend verbringen.

Ein Schwerpunkt der 14. Deutschen Filmtage des Goethe-Instituts lag auf Filmen mit dem Fokus Familie, in denen Eheprobleme, Generationenkonflikte, Dramen von Heranwachsenden (Coming-of-Age-Dramen) oder Auseinandersetzungen mit sogenannten Problemkindern zur Darstellung kamen. Im Film „Schwimmen“ von Luzie Loose ist die Freundschaft von Elisa, die von ihren Mitschülern gemobbt wird, und Anthea, die selbst aktiv das Bullying ihrer Schulkameraden betreibt und dabei ihre Freundin Elisa anstiftet, die sie schikanierenden Mitschüler ihrerseits zu terrorisieren, großen Belastungen ausgesetzt. Der Film endet in einer Beinahe-Katastrophe, die der Heranwachsenden Elisa die Möglichkeit gibt, aus ihrem pubertären Solipsismus auszubrechen und zur Übernahme der Verantwortung für andere heranzureifen. Dass sie am Ende des Films symbolisch ihre Handycam wegwirft, ist hoffentlich kein Omen für die Regiedebütantin Luzie Loose.

Wie „Schwimmen“, so beschäftigen sich zwei weitere Filme der 14. Deutschen Filmtage mit dem Schicksal von Trennungskindern. Im Film „Die Tochter“ von Mascha Schilinski ist das Mädchen Luca nicht nur zwischen ihren beiden Eltern hin und her gerissen, sondern auch zwischen der Liebe für ihren warmherzigen, humor- und verständnisvollen Vater und der Verachtung für dessen Haltlosigkeit und Schwäche. Der wunderbare Kontrast zwischen der lichten Ferienwelt der ägäischen Insel Santorin und der düsteren und dumpfen Lebenswirklichkeit Lucas in Deutschland macht diesen Film – man denke an die Strandaufnahmen von den vulkanischen Klippen herab! – auch ästhetisch zu einem Erlebnis.

Desgleichen schildert der bereits erwähnte Film „Systemsprenger“ das Schicksal eines Trennungskindes, der „Benni“ genannten Bernadette, die wegen ihrer unkontrollierten Wutausbrüche und ihrer exzessiven Aggressionsanfälle eine Gefahr für sich und andere Kinder darstellt. Das Spielfilmdebüt von Nora Fingscheidt entfaltet deshalb eine besondere Wucht, weil der Film die Ausweglosigkeit von Bennis Situation in allen ihren Facetten vor Augen führt und jede innere Hoffnung wie jeden äußeren Halt systematisch sprengt: der Schulbegleiter Micha zieht sich aufgrund des an sich selbst beobachteten Helfersyndroms aus der Betreuung Bennis zurück; die Jugendamtmitarbeiterin Frau Bafané, die sich über alle Maßen für Benni einsetzt, verzweifelt am Ende, womöglich aufgrund der Fehlentscheidung, bei Benni ständig die Hoffnung genährt zu haben, eines Tages zu ihrer Mutter zurückkehren zu dürfen; Bennis schwache und labile Mutter enttäuscht ihre Tochter dabei permanent mit falschen Versprechungen bzw. mit Zusagen, die sie niemals einhalten kann; die Pflegemutter, die es mit Benni alleine durchaus versucht hätte, nimmt mit Rücksicht auf ihr zweites Pflegekind davon Abstand; und so stehen am Ende auch die Ärztin, sämtliche Erzieher und gar der Betreuer, der Benni nach Kenia ausfliegen möchte, ratlos und unverrichteter Dinge da.

Einen großen Genuss bereitete dem Publikum der 14. Deutschen Filmtage die Vielzahl der hervorragenden Schauspieler, die in den diversen Festivalfilmen zu sehen waren. Über eine dieser Schauspielerinnen, Luise Heyer, die in drei Filmen des Festivals in Erscheinung trat, wird die nächste Kulturbeilage der ADZ gesondert berichten. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Leistung der Kinderdarsteller, allen voran die Helena Zengels als Luca bzw. als Benni in den beiden zuletzt genannten Filmen, weswegen sie derzeit und nicht von ungefähr mit Tom Hanks vor der Kamera stehen darf. Aber auch die Leistung des während der Dreharbeiten neun Jahre alten Julius Weckauf, der die Hauptrolle in Caroline Links Verfilmung der Autobiografie von Hape Kerkeling mit dem gleichnamigen Titel „Der Junge muss an die frische Luft“ spielte, zählt zu den schauspielerischen Glanzleistungen der 14. Deutschen Filmtage, die sich in ihrer Gänze mit folgendem Goethe-Zitat, das sich allerdings auf das Atemholen und nicht auf das Filmeschauen bezieht, charakterisieren lassen: „Jenes bedrängt, dieses erfrischt; / So wunderbar ist das Leben gemischt.“