Spiele, die Geschichte schrieben: Half-Life 2

Wie ein Ego-Shooter die Spielbranche aus den Angeln hob

Mit einer Brechstange gegen Außerirdische: Der Held aus Half-Life 2, Gordon Freeman, gehört zu den unverkennbaren Kultfiguren der Spieleindustrie.

Er hatte Millionen Dollar verschlungen, Nerven gekostet, Herzen gebrochen und schließlich Geschichte geschrieben: Als Half-Life 2 im November 2004 nach langem Bangen endlich in den Regalen stand, atmeten nicht nur die Spieler auf, die ihre Ungeduld seit einem Jahr nicht mehr zügeln konnten, sondern auch die Macher des preisgekrönten Ego-Shooters, die sechs Jahre ihres Lebens dafür geopfert hatten. Heute wird es als eines der großen Meilensteine der Spieleindustrie gepriesen.

Ein Spiel, das neue Verkaufsrekorde aufstellte und seit über acht Jahren mit internationalen Preisen überschüttet wird. Über den Erfolg waren sich 2003 nicht einmal die Entwickler sicher. Denn als Fortsetzung zu dem 1998 erschienen Meisterwerk Half-Life, ruhte viel auf seinen Schultern. Es sollte genau wie der Vorgänger das Genre revolutionieren.

Steinige Rückkehr
 
Bis im Frühjahr 2003 war die Fortsetzung zu Valves Kultshooter ein gut gehütetes Geheimnis geblieben. Hier und da tuschelte man darüber, dass sich das Spiel möglicherweise in der Entwicklung befand. Auf der Electronic Entertainment Expo (E3) 2003 ließ Gabe Newell, Gründer und Eigentümer von Valve, die Katze aus dem Sack: Tatsächlich hatte die Spieleschmiede aus Bellevue, Washington, die Arbeit an Half-Life 2 schon im Juni 1999 aufgenommen.

Stolz zeigte Newell auf der E3 woran sein Team in den letzten vier Jahren gearbeitet hatte. Valve wollte mit Half-Life 2 den Vorgänger in allen Punkten übertreffen. Nicht nur grafisch sondern auch spielerisch sollte das Spiel richtungsweisend werden. Die Entwickler erstellten eine Liste mit Sachen, die sie an Half-Life verbessern wollten. Die alte Half-Life-Engine (GoldSrc), die auf einer stark modifizierten Version der Quake-Engine basierte, konnte den Anforderungen der Programmierer und Designer nicht mehr gerecht werden. Darum begann Valve an der hauseigenen Spieleengine „Source“ zu basteln. Sie sollte der treibende Motor sämtlicher Spiele der US-amerikanischen Spieleschmiede werden.

Das Warten hatte sich für die Fans gelohnt: Half-Life 2 stahl sämtlichen Spielen der E3 die Show. Allein ids Ego-Shooter „Doom 3“ und Cryteks „Far Cry“ konnten grafisch mit Half-Life 2 mithalten. Beeindruckend waren besonders die lebensechten Nicht-Spieler-Figuren (NPC) und deren realistische Gesichtsmimik. Sie reagierten auf den Spieler, drückten Freude, Trauer, Angst und Wut aus. Der Spieler interagierte mit den NPCs innerhalb des Spiels und nicht in aufgezeichneten Zwischensequenzen. Alles was in Half-Life 2 geschah, geschah in Echtzeit.

Die Interaktion mit Gegenständen und Objekten, die sich physikalisch korrekt verhielten, war ein weiteres Aushängeschild des Spiels: Fässer konnten umgestoßen werden, Heizkörper konnten als Projektile gegen Gegner geschleudert werden und Türen konnten mit herumstehenden Tischen oder Sofas verbarrikadiert werden.

Auch die Gegner-KI sollte auf Veränderungen in der Spielwelt reagieren und sich anpassen.

Valve wollte eine künstliche Welt schaffen, die so realitätsnah war, wie es die damalige Technik erlaubte. Dafür wurden keine Kosten gescheut. 40 Millionen Dollar gab die Spieleschmiede für die Entwicklung des Spiels aus.

Für Gabe Newell stand und fiel die Zukunft seines Unternehmens mit diesem Spiel. Parallel arbeitete er bereits an der Internet-Vetriebsplatform „Steam“. Heute ist sie Valves Haupteinnahmequelle. In 2004 blickten noch viele skeptisch auf den Service. Half-Life 2 sollte eines der ersten Spiele sein, das über Steam gekauft, installiert und gespielt werden konnte.

Im Herbst 2003, nur wenige Monate nach der E3, sah die Zukunft des Unternehmens nicht besonders rosig aus: Gabe Newell hatte im Frühjahr versprochen, dass das Spiel schon am 30. September erscheinen würde. Den Termin konnte Valve nicht einhalten, stattdessen gab die Firma am 1. Oktober bekannt, dass die internen Server von einem Hacker angegriffen wurden.

Binnen weniger Stunden wurde das unfertige Spiel von Spielern auf der ganzen Welt über illegale Peer-to-Peer-Systeme heruntergeladen. Aus der durchgesickerten Spieleversion wurde schnell offensichtlich, dass Valve den Erscheinungstermin niemals wirklich hätte einhalten können. Für Gabe Newell und sein Team brach eine Welt zusammen. Die Fans reagierten enttäuscht: Sie hatten mit dem Spiel Ende September gerechnet, der Leak enthüllte eine unfertige Version, die mindestens noch ein halbes Jahr Zeit gebraucht hätte und auch viele Versprechungen, die während der E3 gemacht wurden, schienen nur leere Luft gewesen zu sein.

In so einer Situation konnte man nur weitermachen. Newell und sein Team gingen zu einem Plan B über. Der Schaden war angerichtet, das FBI auf den Täter angesetzt und nun musste aus den bestehenden Bausteinen, an denen Valve in den letzten vier Jahren gewerkelt hatte, ein brauchbares Spiel entstehen. Genau wie bei Half-Life würde auch die Fortsetzung in nur einem Jahr entstehen.

Das gesamte Spiel wurde von den Entwicklern in den nächsten zwölf Monaten neu zusammengestellt. Figuren, Waffen und Levels wurden verworfen, die Geschichte umgedacht, während man andere Elemente verfeinerte. Schließlich verstrich das turbulente Jahr. Der schuldige Hacker, der aus Deutschland stammte, wurde festgenommen und der endgültige Erscheinungstermin wurde auf November 2004 verlegt.

Nur nach vorne schauen

Half-Life 2 wurde ein kritischer Erfolg. Die Presse feierte den Ego-Shooter als gerade das, was Valve auch angestrebt hatte: Eine Revolution des Genres. Grafisch bahnbrechend, spielerisch abwechslungsreich und die Handlung überraschend tiefsinnig und gefühlvoll.

Der stumme Held aus Half-Life, Gordon Freeman, kehrt 20 Jahre nach den Vorfällen des ersten Spiels zurück. Die Erde wurde von einer außerirdischen Rasse namens „Combine“ erobert. Die Menschen leben in gettoähnlichen Städten und werden für die Zwecke der „Comibine“ missbraucht. Kinder gibt es keine mehr. Es ist eine düstere Zukunft, die Valve hier schafft.

Der Kampf gegen die Außerirdischen scheint aussichtslos zu sein. Trotzdem gibt eine Untergrundbewegung, die von ehemaligen Wissenschaftlern aus Black Messa (dem Handlungsort des ersten Spiels) geführt wird, den Krieg gegen die Unterdrücker weiter. Als Gordon Freeman ohne einen Tag zu altern und noch immer so wortkarg wie und jäh aus dem scheinbaren Nichts auftaucht, scheint sich das Schicksal der Menschheit zum Guten zu wenden. Denn schließlich liegt es nun am Spieler, der in die Rolle von Freeman schlüpft, die Welt zu befreien.

Als Episoden aufgebaut

Zehn Jahre würde die Entwicklung einer Fortsetzung zu Half-Life 2 dauern. So zumindest schätzte es das Team von Valve 2005 ein. Der zeitliche Aufwand wäre zu groß, darum wollten sie die Geschichte aus Half-Life 2 anders fortsetzen. Valve entwickelte kürzere Episoden, die in regelmäßigen Abständen erscheinen sollten. Geplant waren drei Episoden, erschienen sind nur zwei. Denn irgendwann schien selbst mit diesem Format die Rechnung nicht aufgehen zu wollen.Nachdem Half-Life 2: Episode 1 bereits 2005 erschien und die zweite Episode 2007 wurde es um Episode 3 still.

Seit mehr als fünf Jahren spekulieren Fans ob Half-Life 3 in der Mache ist und ob nicht vielleicht Half-Life 3 die dritte Episode ersetzen wird. Valve hält sich mit Informationen bedeckt, sehr zum Unverständnis der Fans, die nach mehr Half-Life schreien. Online wurden sogar Petitionen verfasst und Facebook-Aktionen, nur damit Valve Informationen über die Zukunft der Half-Life-Serie preisgibt.

Die zwei bereits erschienenen Episoden werden als spielerische Höhepunkte der Serie betrachtet. Besonders Episode 2 gilt als das Ergebnis eines erfahrenen Teams, dass inzwischen seine Erfolgszutaten bestens kennt und es wie kein anderer Entwickler versteht, Handlung, Spiel und Atmosphäre nahtlos miteinander zu verknüpfen.

Nur das Ende von Episode 2 frustriert Spieler. Der emotionale Ausgang lässt Raum für viele Fragen. Wie alle Trilogien endet auch Episode 2 – der düsterste Teil der Saga – in einem Cliffhanger.

Vielleicht lässt Valve auf der diesjährigen Electronic Entertainment Expo in Los Angeles die Bombe platzen. Immerhin werden es zehn Jahre seit der Ankündigung von Half-Life 2 auf der damaligen E3. Vieles spricht dafür, dass die Zeit reif ist für eine neues Spiel aus der langlebigen und erfolgreichen Spieleserie Half-Life.