Steyr – wo das Christkind das ganze Jahr über wohnt

Die Stadt räumt der Weihnachtstradition großen Platz ein

Steyrer Kripperl Mittelteil | Fotos Mag. Ignazius Schmid

Detail mit Handwerkern

Wallfahrtskirche Christkindl | Foto: Günter Fatka

Lamberg'sche Krippe – Figuren von ungarischen Panduren und Preußen

Mechanische Krippe mit Geburt Christi

Rollende Krippe – Abendmahlszene

Es ist schwer vorstellbar, dass Steyr, eine der schönsten und ältesten Städte Österreichs, die größten Feste im Jahreskreis vorbeigehen lässt, ohne ihnen spezielle Aufmerksamkeit zu widmen. Und so muss man in der Tat nicht lange suchen, um in Steyr auch in der Weihnachtszeit wahre kulturelle Glanzlichter zu finden. 

Nomen est Omen 

Schon der Ortsteilname „Christkindl“ lässt aufhorchen und Weihnachtliches vermuten – und man wird auch tatsächlich nicht enttäuscht. Christkindl ist ein Wallfahrtsort seit 1695. Die Menschen pilgerten damals zum „Gnadenreichen Christkindl im Baum unterm Himmel“. Der lange Ortsname hat sich auf „Christkindl“ reduziert, die Pilger jedoch wurden mehr und mehr. Ursprünglich war es ja nur einer: Ferdinand Sertl, der Stadtkapellmeister und Betreuer der Feuerwache, der im Wald eine zehn Zentimeter kleine Wachsfigur des Jesuskindes in die Höhlung eines Fichtenbaums gestellt hatte und regelmäßig hierherkam, um für die Heilung von seiner Epilepsie zu beten. Seine tatsächliche Genesung zog so viele Wallfahrer an, dass sich Abt Anselm I. von Garsten 1702 veranlasst sah, den Bau einer Kirche in Auftrag zu geben. Es dauerte einige Jahre, bis die Baugenehmigung kam und nach den Plänen von Carlo Antonio Carlone die Anlage von Jakob Prandtauer, einem der bedeutendsten Barockbaumeister Österreichs, vollendet werden konnte. 1709 wurde die Kirche geweiht und heißt offiziell „Zum Göttlichen Christuskind“. In den barocken Hochaltar, ein wie von himmlischen Freuden bewegtes Kunstwerk von Leonhard Sattler, baute man ein Stück des originalen Baumstammes mit dem wundertätigen Wachsfigürchen ein – über dem Tabernakel, einer vergoldeten Weltkugel, ist es noch heute zu sehen.   

Nach der christlichen Einstimmung kommt im alten Pfarrhaus neben der Kirche die nächste Überraschung: Hier warten zwei einzigartige Krippenraritäten auf die Besucher. Die „Mechanische Krippe“, eine der größten ihrer Art in Europa, wurde ab 1899 in vierzigjähriger Arbeit von Karl Klauda, einem aus dem Riesengebirge stammenden Schlosser, gebaut. 300 holzgeschnitzte Figuren bewegen sich mithilfe eines ausgeklügelten Systems an Fahrradketten, Wellen und Zahnrädern in acht Kreisen durch eine bi-blische Landschaft. 1954 übergaben die Nachkommen von Karl Klauda das großartige Werk der Pfarrei Christkindl, und seither ziehen Adam und Eva, zahlreiche Figuren aus dem Alten Testament, die Weisen aus dem Morgenland mit ihrem Gefolge und Hirten mit ihren Schafherden … an den orientalischen Szenen und der Heiligen Familie vorbei, begleitet von der Musik einer Walzenorgel aus Böhmen. Ursprünglich wurde die ganze Anlage mit einer Handkurbel betrieben, seit 1973 erledigt diese Arbeit ein Elektromotor. 

Ein Stockwerk höher sind auf 58 Quadratmetern die 778 Figuren der „Pöttmesser Krippe“ zu bestaunen. Ferdinand Pöttmesser (1895 – 1977) war ein Südtiroler Schnitzer, seine 20 bis 30 Zentimeter großen, holzgeschnitzten und bekleideten Figuren sind am Krippenberg vom Einheimischen Josef Steindl arrangiert. Die orientalische Landschaftskrippe ist vermutlich die größte der Welt. 

Wenn der Ort schon einen so besonderen Namen hat, soll man auch etwas Besonderes damit machen, dachte man sich 1950 und gründete das „Postamt Christkindl“: 16 Mitarbeiter versehen von Ende November bis 6. Januar ca. zwei Millionen Briefsendungen mit dem begehrten Weihnachts- oder Neujahrsstempel. Kinderbriefe, in denen die Wünsche an das Christkind festgehalten sind, werden sogar beantwortet. Und wenn am 1. Adventsonntag der Nikolaus höchstpersönlich an alle Kinder Süßigkeiten verteilt, um dann unter den Klängen der Musikkapelle „Christkindl“ mit dem Heißluftballon von der Pfarrwiese in den Himmel zu entschweben, ist schwer zu sagen, wer mehr begeistert ist, die Kinder oder ihre Eltern. 

Wo Krippen sind, fliegen Krippen zu… 

Nicht nur vor den Toren der Stadt sind historische Krippen zu bewundern. Das Museum im Palmenhaus im Schlosspark beherbergt die Sammlung der „Lamberg’-schen Krippen“. Zweihundert bekleidete Figuren aus der Zeit zwischen Barock und Biedermeier kamen in der Sammlung von Josef Graf Lamberg (1856 – 1904) in Steyr zusammen. Durch die Beziehung der Grafenfamilie zum Land Tirol stammen sie hauptsächlich aus dieser Gegend. Graf Lambergs Gattin Anna Werndl, eine Tochter des Gründers der Steyrer Waffenfabrik, vermachte zehn Jahre nach seinem Tod die Sammlung dem Museum. Und so ist nun vor dem Stadtpanorama von Steyr alles zu bewundern, was je die Ehre hatte, in einer Krippe zu stehen: Das prächtige Gefolge der Hl. Drei Könige – Kaspar aus Afrika mit dem Zug seiner Elefanten, Melchior, der Europäer, hoch zu Ross und Balthasar aus Asien auf dem Kamel – finden sich vor der Krippe im Stall zu Bethlehem mit einheimischen Hirten und ihren Lämmern, mit Preußen, ungarischen Panduren, orientalischer Geistlichkeit und österreichischen Ministrantenbuben zusammen. 

Eine weitere Kuriosität ist die „Rollende Krippe“, eine Großkrippe, die, in einen Waggon der Österreichi-schen Bundesbahnen eingebaut, als Werbeträger für die große soziale Aktion „Licht ins Dunkel“ des ORF erstmals 1992 in Garsten zu sehen war und in der Folge durch Österreich, Deutschland, Liechtenstein und Italien rollte. Erstellt hatte sie in zweijähriger Arbeit Krippenbaumeister Josef Seidl. Als im Eisenbahnwagen die Erhaltung der heiklen „Lehmmandlfiguren“ nicht mehr zu finanzieren war, fanden sie im Krippenmuseum ihre Heimstätte. Solche Figuren finden sich auch in den Nagelschmiedkrippen wieder, sie wurden mit Ton und Modeln als Winterarbeit von arbeitslosen Nagelschmieden hergestellt und sind im Rathaushof zu besichtigen. Dort ist auch eine Bretterkrippe mit lebensgroß gemalten Figuren zu sehen. Solche Freiluftkrippen waren früher für jene Menschen gedacht, denen die strenge Sozialkontrolle den Eintritt in den Kirchenraum verwehrte. 

Kinder und Weihnachtsnostalgiker werden sich im unglaublich reich bestückten „Weihnachtsmuseum“ mit tausenden Artefakten an einer Fahrt mit der Erlebnisbahn ergötzen. Mit diesem technischen Wunderwerk auf Schienen geht es über drei Etagen, vorbei an den weihnachtlichen Kojen bis ins Dachstockwerk mit den Engelwerkstätten. Während Junge und Junggebliebene im Weihnachtsmuseum in Weihnachtsseligkeit weiter schwelgen, streben Theaterliebhaber aller Altersstufen nun ihrem eigentlichen Höhepunkt, einer Vorstellung im „Steyrer Kripperl“, zu. 

Das „Steyrer Kripperl“ – ein Stabpuppentheater

Es wäre ja doch verwunderlich, wenn bei so viel historischer Krippenkultur nichts davon in das „Immaterielle Kulturerbe Österreichs“ der UNESCO aufgenommen worden wäre. Diese höchste Anerkennung wurde dem „Steyrer Kripperl“ zuteil, dem einzigen noch bespielten Stabpuppentheater Europas. Es ist ein Multikunstwerk aus bildender- und darstellender Kunst. Zwanzig Spielerinnen und Spieler – von 13 bis 83 Jahren – führen eine mehr als hundertjährige Theatertradition im Innerberger Stadl des Steyrer Stadtmuseums fort. Die dreigeteilte Bühne ist Schauplatz für die mündlich überlieferten Spielszenen, Texte und Lieder. In der Unterbühne befindet sich der Stall von Bethlehem, von dem die Bühne als „Kripperl“ ihren Namen bekommen hat. Hier werden religiöse Szenen, kirchliche Feiertage und Prozessionen dargestellt. Auf der Mittelbühne präsentiert sich das traditionelle Steyrer Handwerk und Gewerbe, auch mit durchaus lustigen Szenen. Die Oberbühne ist Schauplatz biedermeierlichen Weltgeschehens. 

Ing. Wolfgang Hack ist nicht nur ein Stadtführer-Geniusloci, sondern auch ein solcher des Kripperltheaters. Er ist ein Familienmitglied der seit 600 Jahren in der wohlhabenden Eisenstadt Steyr ansässigen Familie Hack, Techniker, Berufsfotograf, Heimatforscher, Museumskustos, Kirchenpfleger. Er kennt alle Winkel und Ecken der Steyrer Stadtarchitektur wie seine eigene Westentasche und er kennt auch jede einzelne der 450 handgeführten Figuren, mit denen das Theater bespielt wird – die Figuren der Handwerker und Bergmänner, der Bürger und der Geistlichkeit, vom Nachtwächter und Liachtlanzünder bis zum Bäckernazl und Wildbretschützen, mit denen altes Steyrer Kulturgut seit Jahrzehnten unverändert weitergegeben wird. Viele dieser zahlreichen Figuren kann er auch selbst bespielen. Mit ihm als Obmann ist der Verein Heimatpflege in allerbesten Händen, und es muss einem um den Erhalt der kulturellen Werte hier nicht bange sein. Mit Persönlichkeiten wie Wolfgang Hack kann die Stadt Steyr beruhigt dem zweiten Jahrtausend ihres kulturellen Bestehens entgegensehen.