Tango und Jazz mit Akkordeon

Richard Galliano und die Bigband des Rumänischen Rundfunks in Bukarest

Richard Galliano spielt Akkordeonmusik mit französischem Einschlag. Foto: Vincent Catala

Am vergangenen Sonntag war im Großen Saal des Rumänischen Rundfunks ein besonderes musikalisches Ereignis mitzuerleben, an dem man live auch über die Radiosender „Radio România Cultural“ und „Radio România Muzical“ sowie über das Internet via Livestream partizipieren konnte. Der weltberühmte französische Akkordeonist italienischer Abstammung Richard Galliano sorgte am Internationalen Frauentag 2015 gemeinsam mit der Bigband des Rumänischen Rundfunks unter der Leitung von Ionel Tudor für eine starke Stunde erlesener Tango- und Jazzmusik aus den kompositorischen Schätzen Astor Piazzollas und seiner selbst.

Richard Galliano wurde 1950 in Le Cannet bei Cannes geboren und begann als Sohn eines Akkordeonisten schon im zarten Alter von vier Jahren selbst auf dem Akkordeon zu musizieren. Früh schon besuchte er die Musikakademie Nizza, wo er Posaune zu spielen lernte und Kompositionsunterricht nahm. Bereits in den siebziger Jahren trat er gemeinsam mit Größen französischer Chansonmusik wie Juliette Gréco oder Charles Aznavour auf. Bestimmend wurde für Galliano die Begegnung mit dem argentinischen Bandoneonspieler und Tangokomponisten Astor Piazzolla, der ihn darin bestärkte, musikalisch seine eigenen Wege zu gehen. Der Begründer des Tango Nuevo riet ihm, sich nicht vom amerikanischen Jazz vereinnahmen zu lassen, sondern einen eigenen, von der französischen Chansontradition inspirierten Jazzstil zu entwickeln. „Richard, du musst unbedingt die Nouvelle Musette erfinden!“, habe Piazolla einmal zu ihm gesagt, so Galliano in einem lesenswerten Interview mit der Neuen Musikzeitung (nmz).

Später gründete Galliano eigene Formationen wie das Tangaria Quartet oder das Richard Galliano Quartet und trat weltweit mit internationalen Größen der Jazzmusik wie Jan Garbarek oder Michel Petrucciani auf. Sein besonderes Interesse gilt auch der klassischen Musik. In dem bereits erwähnten Interview steht der verblüffende Satz: „Für mich ist Bach der größte Akkordeon-Komponist.“ Nicht von ungefähr hat Galliano auch mit klassischen Ensembles zusammengearbeitet, so mit dem Radiokammerorchester Bukarest im Juni vergangenen Jahres anlässlich eines Konzertes mit, zu und über Vivaldis „Die vier Jahreszeiten“.

Der ohne Pause dargebotene Bukarester Konzertabend vom vergangenen Sonntag in einem bis auf den letzten Platz besetzten und mit Stehpublikum über Gebühr gefüllten „Mihail Jora“-Saal des Rumänischen Rundfunks folgte in seinen beiden Teilen demselben Schema: Nach jeweils einem Stück von Astor Piazzolla erklangen jeweils vier Kompositionen von Richard Galliano, die auch zu den Glanzstücken seines Repertoires zu rechnen sind.
Eröffnet wurde das von einem begeistert mitgehenden Publikum mit zahlreichen Zwischenapplausen bedachte Konzertereignis durch das kraftvolle, rhythmische, auf fünf gleichen Noten basierende Stück „Michelangelo ’70“, das nach dem Café in Buenos Aires benannt ist, in dem Astor Piazzolla Anfang der siebziger Jahre mit seinem Quintett auftrat. Darauf folgten die vier Galliano-Stücke „Rue de Maubeuge“, „Teulada“, „Ten Years Ago“ und „Take Eleven“, bei denen der Komponist und Solist von der Bigband des Rumänischen Rundfunks kongenial begleitet wurde.
Das aus zwei Frauen und dreizehn Männern bestehende Ensemble (vier Trompeten, vier Posaunen, vier Saxofone, eine Flöte, ein Kontrabass und ein Schlagzeug) erzeugte einerseits den wohligen Bigbandsound, der mitunter auch an die Grenzen des dezibelisch Erträglichen gehen konnte, sorgte aber zugleich für eine behutsame, intime Klangsphäre, die dem Solisten Raum auch für musikalische Stimmungsbilder lyrisch-melancholischer Natur gab. Schön war es, den französischen Einschlag der dargebotenen Akkordeonmusik zu spüren, ebenso sehr freute man sich über musikalische Zitate aus der amerikanischen Jazztradition, zum Beispiel im – nach dem metrischen Grundschema 3+3+3+2 aufgebauten –  Stück „Take Eleven“, wo die Trompeten das Grundmotiv aus Pauls Desmonds berühmtem Jazzstück „Take Five“ anklingen ließen.

Nach einer Zwischenmoderation – es handelte sich ja um ein live übertragenes Radiokonzert – folgte dann unmittelbar der zweite Teil des leider allzu kurzen Konzertabends, der ebenso mit einem Piazzolla-Stück eröffnet wurde, und zwar mit dem gleichfalls in den siebziger Jahren entstandenen, höchst intensiven und äußerst expressiven Tango „Oblivion“. Darauf folgten erneut vier Galliano-Kompositionen, darunter sein berühmter „Tango pour Claude“, sein für seine Tochter geschriebenes Stück „Giselle“ und ein musikalisches Poem, das den Zuhörer melodisch in das lyrische Reich Charles Baudelaires entführte. Auch hier wurde das Publikum mit wunderbar vielfältigen und musikalisch abwechslungsreichen Klangspektren verwöhnt, was sich auch in den ständig variierenden Besetzungen widerspiegelte: einmal intim als Trio (Akkordeon, Schlagzeug, Kontrabass), dann wieder mit dem vollem Tutti des satten Bigbandsounds.

Da das begeistert applaudierende Publikum den Solisten am Ende gar nicht mehr gehen lassen wollte, bot dieser zusammen mit der Radiobigband unter der Leitung von Ionel Tudor zum Abschluss nochmals das Eröffnungsstück dar, Astor Piazzollas „Michelangelo ’70“. Mit diesen vor Kraft und Laune strotzenden Klängen, welche die Hoffnung nährten, Richard Galliano bald wieder in Bukarest hören zu können, entließ der Meister der Akkordeonmusik das Saalpublikum ins nächtliche Freie.