Theaterbauten als Pfeiler der Moderne

„Theater von Fellner & Helmer. Subtile Reflexionen über lokale Besonderheiten und identitäre Werte“

Das Nationaltheater in Jassy
Fotos: Loredana Stasisin

Das Nationaltheater in Klausenburg

Die gesellschaftlichen Umbrüche in der Moderne wirkten als Ansporn für die Entwicklung des Theaters und vielfach auch als Inspirationsquelle. Sowohl die architektonischen Veränderungen als auch die Entwicklung von Maschinen im 19. Jahrhundert ermöglichten nicht nur den Bau einiger der renommiertesten Theater, sondern bewirkten einen tiefgreifenden Wandel in Bezug auf die Inszenierungsmethoden. Das Wirtschaftswachstum europäischer Städte führte zu ambitionierten Gesellschaften, die ihre eigenen Bedürfnisse nach Unterhaltung schufen. Veränderungen in Repertoire, Stil und Anstand des Theaters gehörten zu den Hauptmerkmalen der europäischen Moderne, die den kulturgeschichtlichen Faden prägten. Die Theaterbauten in Temeswar, Jassy, Großwardein und Klausenburg gehören zu den grandiosen Projekten von Helmer und Fellner, die immer wieder an die Epoche ihrer Entstehung erinnern. Zwischen 1870 und 1913 entwarfen die Wiener Architekten Fellner und Helmer insgesamt 48 Theater in 39 europäischen Städten. Ferdinand Fellner and Hermann Helmer wurden durch den vornehmen Dekorationalismus ihrer Bauten als „Baumeister der Illusion“ bezeichnet. Ihr Architekturbüro in der Servitengasse im 9. Wiener Gemeindebezirk wurde durch die Zeit mit aufwendigen Projekten des Adels beauftragt.

Theatergebäude voller Pracht wurden vom Architekturbüro nach dem zeitspezifischen Geschmack der Sponsoren und Financiers errichtet. Die Dekorelemente des lichtdurchfluteten Innenraums wie Putten, Goldschmuck oder Spiegel, elegante Foyers und die mit Logen und Balkonen ausgestatteten Aufführungsräume mit einer modernen Bühnentechnik boten kulturhungrigen Besuchern den idealen Rahmen zu einem unvergesslichen Erlebnis.

Das Äußere des Theatergebäudes zeigte neben den beeindruckenden klassischen Stilkombinationen an den Fassaden auch architektonische und dekorative Strukturen wie Loggien, Portale, Säulen oder Büsten großer Nationaldichter und Komponisten. Von einem Sparen an Qualität oder Material konnte keine Rede sein. Alle Einzelheiten des Bauwerkes wurden sorgfältig ausgearbeitet, auch in Bereichen, die von der Öffentlichkeit getrennt waren, wie beispielsweise in den Kulissen. Die Mitarbeiter sollten ihre Aktivitäten in eleganten Räumlichkeiten durchführen.

Das Büro Fellner & Helmer ließ Theater bauen, die Schönheit und Effizienz ausstrahlen. Die Kulturpolitik der Habsburgermonarchie förderte die Reproduktion eines Erfolgsmodells, wobei die Planungstechniken der beiden österreichischen Architekten auch auf andere Bauvorhaben übertragen worden sind.

Weltenbummler in herausfordernden Zeiten

Ferdinand Fellner and Hermann Helmer ließen sich von den historischen Wechselfällen nicht einschüchtern, als sie ab 1870 beschlossen, in großen und kleinen Städten in Deutschland, der Schweiz und auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie neue Theater zu bauen. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs reisten die Architekten von einer Baustelle zur nächsten, von Brünn, Karlsbad, Darmstadt oder Zagreb, in rumänischen Städten wie Temeswar/Timișoara, Jassy/Iași, Großwardein/Oradea und Klausenburg/Cluj-Napoca, um zu überwachen, Kosten zu kalkulieren oder an den von Opern begleiteten Einweihungszeremonien ihrer glanzvollen Häuser teilzunehmen.

Revolutionäre Architektur

Hermann Helmer war auch Mitglied in mehreren Gremien, die sich mit zeitspezifischen Strukturfragen in Wien befassten. Bedeutsame Ratschläge gab Helmer bei der Ausarbeitung der neuen Theatergesetze, die 1881 nach dem verheerenden Brand im Wiener Ringtheater erlassen wurden. Nach seinen Anweisungen wurde ein „Versuchs- oder Mustertheater“ errichtet, das als Entwurf für einen komplett brandgeschützten dreiteiligen Gebäudetypus diente. Das Vorderhaus mit Vorraum, Treppe und Salon, der angrenzende Saal und die Bühne, die durch einen Vorhang abgetrennt war, bildeten dieses neue Theatermodell. Eine schnelle Evakuierung im Gefahrenfall wurde durch drei Ränge gewährleistet. Am Volkstheater in Wien, dem damals größten Theater im deutschsprachigen Raum, wurde dieser Plan vorbildlich umgesetzt.

Fellner & Helmer-Theater in Rumänien

Der Kulturpalast in Temeswar beherbergt die Nationaloper und das Nationaltheater. 1871 begann das Architekturbüro Helmer & Fellner mit den Arbeiten und beendete sie 1875. Zwei Großbrände zerstörten das Gebäude – nach dem ersten im Jahr 1880 blieb die ursprüngliche Form des Gebäudes durch Wiederaufbau vollständig erhalten, nach dem Brand 1920 blieben jedoch nur die Seitenflügel. Die Hauptfassade wurde nach den Plänen des Architekten Duiliu Marcu im modernistischen Stil mit Einflüssen des italienischen Rationalismus umgebaut. Die Renovierung des Aufführungssaals erfolgte jedoch im neorumänischen Stil mit neobyzantinischen Elementen.

Beim zwischen 1894 und 1896 erfolgten Bau des Nationaltheaters in Jassy, heute bekannt als Vasile-Alecsandri-Theater, wurden für den Aufführungsraum echte Kunstdenkmäler geschaffen. Ein Beispiel ist der mit Allegorien bemalte Hauptvorhang, ein Werk des Wiener Künstlers Lenz von 1896, das von einem seiner Schüler vollendet wurde, oder die Deckenbemalung von Alexander Goltz in Pastellfarben und der Kristall-Kronleuchter mit 109 Glühbirnen. 

Das 1899 entworfene und Ende 1900 erbaute Gebäude des Nationaltheaters in Großwardein, das heute den Namen „Regina Maria“ trägt, gliederte sich in drei Ebenen: Saal, Logen, Balkon. Bei der Gestaltung der Veranstaltungshalle wurde auf eine perfekte Akustik geachtet. Sie war auch mit einem Orchestergraben ausgestattet.

Das heutige Veranstaltungsgebäude in Klausenburg, von Helmer und Fellner zwischen 1904 und 1906 erbaut, beherbergt sowohl das Nationaltheater „Lucian Blaga“ als auch die Oper. Die Statuen ,,Thalia” und ,,Eutherpe”, Werke des Bildhauers Vasile Rus-Batin zieren die Nischen der Fassade.

Bauwerke, die das Aussehen der Städte beeinflussen

Fast alle Fellner & Helmer-Häuser funktionieren heute noch in ihrer ursprünglichen Form als Theater. Nur wenige wurden in den beiden Weltkriegen beschädigt oder zerstört, wie zum Beispiel das Theater in Augsburg, wo nur die ursprüngliche Portalfassade erhalten ist. 

Anfangs kontrastierte das Erscheinungsbild der Theater mit dem der jeweiligen Stadt, doch im Laufe der Jahre wurde die Umgebung entsprechend der ästhetischen Würde der Häuser neu gestaltet. Dies gilt beispielsweise auch für das heutige Nationaltheater „Regina Maria“ in Großwardein, wo eine architektonische Verbindung zu den umliegenden Gebäuden besteht. Im Bauprozess wollten Fellner und Helmer ihre Persönlichkeit zum Ausdruck bringen, nämlich dass sie eine Architektur förderten, die das Neue mit sich brachte. Sie wollten die neuen Generationen dazu bewegen, dass sie den Übergang zu dem schaffen, was dann in der Stadt gebaut wird.

Gemeinsame Elemente zeigen die kontinuierliche Verflechtung zwischen Gemeinschaft und Werten einer großen Kultur. Die meisten Bauten von Fellner & Helmer, deren Vorplätze heute prächtige Grünanlagen oder Denkmäler kennzeichnen, sind über die alten, hehren Einfahrten zu betreten. Das brillante Kulturerbe des Büros Fellner & Helmer ermutigt die aktuelle Architekturszene, das Theater als kulturelles Zentrum der Stadt auch weiter-hin zu akzeptieren und zu pflegen.

Das Projekt ,,Theater von Fellner & Helmer“

Anfang 2020 entstand bei der Vorbereitung von Aktionen im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas, Temeswar 2023, das Projekt „Theater von Fellner & Helmer. Subtile Reflexionen über lokale Besonderheiten und identitäre Werte“ (Teatrele realizate de Fellner & Helmer. Reflec]ii subtile asupra specificit²]ilor locale {i a valorilor identitare) in Partnerschaft zwischen dem Österreichischen Kulturforum Bukarest, dem Nationaltheater Temeswar und der Architektin Loredana Stasisin. Das Projekt versucht, das Schauspiel der Stille hinter den Kulissen zu entdecken, die anhaltenden sozioökonomischen Veränderungen zu verstehen, neue kulturelle Strategien zu antizipieren, die Anpassung dieser Gebäude an die Zukunft zu unterstützen und die Öffentlichkeit für die aus der Vergangenheit geerbten Theaterwerte zu sensibilisieren.

Aus der Perspektive der komplexen Beziehung zwischen Aufführung und Ort und mit Blick auf den Ist-Zustand der geerbten Gebäude von Fellner und Helmer führt das Projekt in die Komplexität des Theaterlebens hinter der Show ein. Außerdem sind darin eine Reihe von Richtlinien zu den Prioritäten bei der Erhaltung der architektonischen Elemente erklärt, die für Geschichtenerzählen und Gebäudeentwicklung im Falle zukünftiger Eingriffe wichtig sind.

Zur Vollziehung des Projekts wurden Architekturarchive in Rumänien, Österreich und mindestens einem weiteren Land untersucht, in dem sich ein Theater der Architekten Fellner & Helmer befindet. Anhand von Video- und Audiointerviews mit Künstlern, Theatermitarbeitern, Theaterkulturkonsumenten, kritischen Analyse-Essays und Fotodokumentationen soll der architektonische Schatz der österreichischen Architekten Ferdinand Fellner und Hermann Helmer dem Publikum näher gebracht werden. Ziel ist es, ein tieferes Verständnis für das Handwerk hinter den Theatern und Konzertsälen der Wiener Architekten zu gewinnen. Loredana Stasisin erklärt, dass man heute dafür verantwortlich ist, die künftigen Generationen durch die von Fellner und Helmer vermittelte Schönheit zu inspirieren.

Die Tatsache, dass es in Rumänien vier Theater gibt, die auf das überaus erfolgreiche Architektenbüro der Habsburgermonarchie Helmer & Fellner zurückgehen und dass eines davon in Temeswar, der Europäischen Kulturhauptstadt 2023, steht, veranlasste das Projektteam zu dieser ambitionierten Ausstellung, meint Thomas Kloiber, Direktor des Österreichischen Kulturforums Bukarest. Mit Loredana Stasisin konnten sie dafür eine junge, rumänische Wissenschaftlerin und Architektin gewinnen, die von vornherein viel Fachwissen mitbrachte, aber auch mit enormen Engagement an den Forschungsteil der Ausstellung heranging, fügt er hinzu.

Diese Ausstellung soll ein bleibendes Geschenk an das Nationaltheater Temeswar sein, das auch nach 2023  wertvolle Einblicke in die Ideenwelt der Architekten des Hauses vermittelt. Dieses Ausstellungsprojekt soll letztendlich auch herausarbeiten, wie Theater und Gesellschaft sich gegenseitig beeinflussen, wie man an den Bauten von Helmer & Fellner heute noch immer sehen kann.