Unser Lehár

Zum 150. Geburtstag des Komponisten Franz Lehár (Teil 1)

Franz Lehár als jüngster Militärkapellmeister Österreich-Ungarns (Losoncz 1890)

Eigentlich hat man sich das Lehár-Jubiläumsjahr 2020 ganz anders vorgestellt: Konzerte, Würdigungen, Vorträge… Doch: Der Mensch denkt und die Pandemie lenkt. Sämtliche Konzerte mussten abgesagt werden, und selbst das Schreiben einer Würdigung fällt einem in dieser Situation schwer. Und waren es doch oft die Werke Franz Lehárs, die unseren Vorfahren in Zeiten schwerster Not Trost und einige glückliche Stunden gebracht haben: Dein ist mein ganzes Herz, Es stand ein Soldat am Wolgastrand, Immer nur lächeln, Villja-Lied, Hör ich Cymbalklänge, usw.

Als 1899 Johann Strauss in Wien starb, war man sich sicher, dass mit ihm auch die Wiener Operette zu Grabe getragen wird. Zu groß waren seine Erfolge, zu vielfältig seine musikalischen Leistungen und viel zu bekannt war seine Person in der ganzen Musikwelt. Doch mit dem Ende der Goldenen Ära der Operette bahnte sich bald eine neue Generation von Operettenkomponisten den Weg in der dem Untergang geweihte Doppelmonarchie. Obzwar Österreich-Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg von der Landkarte verschwunden ist, lebte der Geist dieses Imperiums in der Silbernen Operettenära weiter. Ihre Vertreter waren Emmerich Kálmán, Edmund Eysler, Oscar Strauss, Oskar Nedbal, Leo Fall und nicht zuletzt Franz Lehár.

Franz Lehár Vater

„In Ungarn bin ich zur Welt gekommen. Im Jahre 1870, in Komorn, wo mein Vater, Franz Lehár, als Militärkapellmeister stationiert war. Bis zu meinem zwölften Lebensjahr habe ich auch nur Ungarisch gesprochen und Ungarisch gelernt.“ So beschrieb Franz Lehár in einem frühen Interview die ersten Jahre seines Lebens. Damals lag die Garnisonstadt Komorn (ung. Komárom, slovak. Komarno) noch mitten in Ungarn, heute liegt sie an der ungarisch-slowakischen Grenze, diesseits und jenseits der Donau.

Besucht man heute das städtische Museum in Komorn, kann man nicht nur eine Ausstellung zum Leben und Wirken Franz Lehárs vorfinden, sondern auch eine Gedenkstätte für den zweiten großen Sohn dieser Stadt, den ungarischen Schriftsteller Mór Jókai, auf dessen Novelle „Saffi“ das Libretto von Johann Strauss´ „Zigeunerbaron“ zurückgeht. Sowohl das slowakische als auch das ungarische und deutsche Lebensgefühl hat Lehár bereits als Kind kennengelernt. Und die ganze Familie zog dem Vater von Garnison zu Garnison hinterher.

Bis 1855 wirkte Franz Lehár sen. als Hornist am Theater an der Wien, wo er unter der Leitung von Adolf Müller sen. und Franz von Suppé große Erfolge erleben konnte. Hier wird fünfzig Jahre später sein Sohn mit der Operette „Die lustige Witwe“ einen Welterfolg erringen. Im Jahre 1863 wurde er einer der jüngsten österreichischen Militärkapellmeister seiner Zeit. Im Unterschied zu seinen Kollegen Karl Komzák, Philipp Fahrbach, Josef Gungl oder Alfons Czibulka bleibt Lehár 42 Jahre lang der Militärmusik treu und wechselte alle paar Jahre seine Stelle zwischen Böhmen und Siebenbürgen, Norditalien und Galizien. Somit lernte der kleine Franz bereits als Kind die Musik mit all ihren Licht- und Schattenseiten kennen. Der Vater musizierte mit seiner Infanteriekapelle in Kasernen, Casinos, Paradeplätzen, Kirchen und Konzertsälen. Franz Lehár jun. erinnert sich wie folgt an diese Jahre: „In meinem Elternhaus wurde Tag und Nacht musiziert oder doch wenigstens von Musik gesprochen… Vom ersten Tag meines Lebens an galt es als selbstverständlich, dass ich den Beruf des Vaters ergreifen würde.“

Und so kam die Familie auch 1877 nach Klausenburg/Cluj-Napoca und 1879 nach Karlsburg/Alba Iulia. Mit Klausenburg verbindet Franz Lehár ein interessantes Erlebnis. Als Franz Liszt in der St. Michaelskirche ein Konzert dirigierte, meldete sich Franz Lehár Vater freiwillig, um als Geiger im Orchester mitwirken zu können. Nach dem Konzert verabschiedete sich dieser von Liszt, wobei er sich über dessen Hand neigte, um sie zu küssen. Diese Geste verehrungsvoller Begeisterung hat beim kleinen Franz, der an der Seite seines Vaters stand, einen tiefen Eindruck hinterlassen.

Damals sind bereits mehrere Kompositionen von Franz Lehár sen. bei bedeutenden Verlegern in Wien, Prag und Triest erschienen. Somit war sein Name weit und breit nicht nur als Kapellmeister bekannt geworden, sondern auch Komponist.

Im Jahre 1881 war Franz Lehár sen. Kapellmeister des Infanterieregiments Kussevich Nr. 33 in Budapest. Zu seinen Musikern zählte auch der junge Feldwebel Michael Steiner aus dem Banat, dem er 1881 ein Zeugnis ausgestellt hat:
„Dem Musikfeldwebel  Michael Steiner wird hiermit bestätigt, dass er während seiner 4 Jahren Präsent-Dienstzeit durch Fleiß, Kenntnisse und insbeson-dere durch vortrefflichen Unterricht an Skolaren beim obigen Regiments Stab das größte Lob und meine vollste Anerkennung erwarb und kann sich den genannten allerseits auf´s beste anempfehlen. Budapest, am 27. August 1881, Franz Lehár, Capellmeister“.

Michael Steiner war der Sohn des Banater Kapellmeisters Lambert Steiner. Als Mitglied dessen berühmter Banater Knabenkapelle durchreiste er halb Europa, Amerika und Südafrika. Im Rahmen dieser Kapelle erhielt er auch seinen ersten Musikunterricht. Wie wir noch erfahren werden, hatte Michael Steiner seinerseits einen Schüler, der unter Franz Lehár jun. wirken wird…

Zwei Konkurrenten: Rudolf Novacek und Franz Lehár sen.

Der Banater Musiker Rudolf Novacek (geb. 1860 Weißkirchen, gest. 1929 in Prag) wirkte um 1885 als Militärkapellmeister in Prag. Sein Vater, Martin Novacek, stammte aus Böhmen und hatte weiterhin gute Beziehungen zum dortigen Musikleben. Dieser unternahm mit seinen drei Söhnen als „Novacek Quartett“ größere Konzertreisen und trat auch in mehreren Orten Böhmens auf. Bald galt Rudolf Novacek als der beste Militärkapellmeister dieser Metropole, obwohl die Konkurrenz sehr stark war. Zu den vielen Kapellmeistern Prags zählte damals auch Franz Lehár Vater. Mit der Popularität Novaceks konnte doch selbst Franz Lehár Vater vom IR 102 nicht Schritt halten: „… mit mittlerer Präzision musizierte das Orchester des Freiherrn von Catty Nr. 102 unter der Leitung des Kapellmeisters Herrn Franz Lehár. (…) die Begleitung war nicht präzise und fein genug“ (Zeitschrift Dalibor, Jg. 1885, S. 25). Ganz anders schrieb der Kritiker über die Kapelle, die Rudolf Novacek geleitet hat: „… nobel vorgetragen durch die Kapelle des IR 28 unter der Leitung von Rudolf Novacek. Neuling auf dem Konzertpodium war für uns der Kapellmeister Novacek, in welchem wir zu unserer Freude einen Virtuosen von einem feinen Geschmack und großer technischer Vollkommenheit kennengelernt haben. Die Kompositionen wurden exzellent durchgeführt, für die vorbildliche Einstudierung danken wir dem Herrn Kapellmeister Novacek“. (Zeitschrift Dalibor, Jg. 1885, S. 26)
In einem Gutachten, das von einem Prager Musiker viele Jahre später geschrieben wurde, wird auch erwähnt, dass Kapellmeister Rudolf Novacek von Antonin Dvorak sehr geschätzt wurde. Mehrmals hat er diesem bei der Orchestrierung von größeren Werken geholfen oder auf dessen Wunsch, einige Kompositionen Dvoraks für Blasorchester instrumentiert. Und zum Schluss dieses Gutachtens lesen wir: „Solche Ehre genoss keiner der fünf Kapellmeister der damaligen Prager Garnison, darunter solche Fachleute wie František Šmíd, Josef Pietschmann, Mahr und Lehár.“

Franz Lehár und seine Banater Studienkollegen

Der Titan der tschechischen Musik, Antonin Dvorak, schätzte sehr die ersten Kompositionen des jungen angehenden Violinisten und Studenten des Prager Konservatoriums, Franz Lehár jun. So lesen wir in seinen autobiographischen Aufzeichnungen: „Bestärkt wurde ich in diesem Bestreben noch durch Anton Dvorak, den berühmten tschechischen Symphoniker und späteren Direktor des Prager Konservatoriums. So oft er ein neues Quartett vollendet hatte, wurden ich und noch einige Konservatoriumsschüler eingeladen, es bei ihm zu spielen.“

Am 12. Juli 1888 fand im Prager Rudolfinum seine Abschlussprüfung statt. Auf dem umfangreichen Programmblatt befinden sich neben dem Namen Franz Lehárs auch die Namen zweier Banater Musiker: Eduard Pavelka (1879-1960) und Viktor Novacek (1875-1914). Pavelka wird später als Kapellmeister der Reschitzaer Werkskapelle tätig sein und Viktor Novacek, der Bruder Rudolfs, wird sich nach weiteren Violinstudien in Berlin und Leipzig in Helsinki niederlassen.