Unsere Werte, unsere Rechte, unsere Pflichten

Der Codex Altemberger im Nationalen Geschichtsmuseum in Bukarest

Kreuzigungsszene mit Ratsherrenschwur und Wappen von Hermannstadt

„Blutverwandtschaftsbaum”
Fotos: MNIR

Für kurze Zeit kann der Codex Altemberger im Nationalen Geschichtsmuseum der Hauptstadt in der Ausstellungsreihe „Exponat des Monats“ besichtigt werden. Der Codex entstammt ursprünglich  der Brukenthal-Sammlung, gehört aber heute zum Inventar des Bukarester Geschichtsmuseums. Wenn Sie einen Besuch des Museums planen, sollten Sie es nicht versäumen, diesem bemerkenswerten Buch Ihre Reverenz zu erweisen.

Der Codex Altemberger ist kein Gesetzestext in unserem heutigen Sinne. Im Mittelalter wurden Rechte zunächst nur mündlich überliefert. Erst der „Sachsenspiegel“ von 1220 bildete die damals geläufigen germanischen Gewohnheitsrechte schriftlich in deutscher Sprache ab. Die praktische Anwendbarkeit dieser Rechte führte zu ihrer Ausbreitung in ganz Europa. Die von Privatleuten niedergelegten Texte waren keine Urkunden, wie der „Goldene Freibrief“, der den Siebenbürger Sachsen vom ungarischen König Andreas II. 1224 verliehen wurde und somit Rechtsgültigkeit besaß. Die Bestätigung der Privilegien durch die ungarischen Könige zog die Ausdehnung des Selbstverwaltungsrechtes auf die Gesamtheit der Siebenbürger Sachsen (universitatis saxiones) nach sich. Daraus erwuchs das sogenannte Eigenlandrecht, d. h. das Recht, nach eigener Gewohnheit und in eigener Sprache beurteilt zu werden. Die einsetzende Rezeption des römischen Rechts in Siebenbürgen führte schließlich zur Ausbildung des römisch- germanischen Eigenlandrechts, das auf dem gesamten Königsboden bis zur Auflösung der Nationsuniversität galt.

Der Kurator der Ausstellung, Ginel Lazăr, betont, dass es sich bei dem Codex Altemberger um die älteste schriftliche Sammlung von Gesetzestexten auf rumänischem Boden handelt. Das in der Walachei geltende byzantinische Recht erfuhr zeitgleich keine Verschriftlichung. Auf drei Schautafeln in rumänischer Sprache werden die historische Relevanz dieses reich geschmückten Prachtfolianten und restauratorische Analysen, z. B. der verwendeten Farbpigmente, erläutert.

Die aufgeschlagene Handschrift zeigt uns zwei Kolonnen Text in gotischen Lettern, die auf eine Entstehungszeit in das 14. Jahrhundert verweisen. Die goldgrundierte Abbildung eines „Baumes der Blutsverwandtschaft“ (arbor consanguinitatis) schmückt die gegenüberliegende Seite. Der Grad der Blutsverwandtschaft war rechtlich relevant für die Genehmigung einer Eheschließung. Die etwas unbeholfene Darstellung einer älteren, männlichen Figur anstelle eines Baumes findet seine Vorbilder in norditalienischen Werkstätten. Die zweite Darstellung, eine Kreuzigungsszene, die auch das Ausstellungsplakat schmückt, entstammt einer späteren Zeit und trägt neben dem Hermannstädter Wappen die Eidesformel der Ratsherren. Verzierte Initialen geben einen Hinweis auf die Herkunft eines Rechtes, so steht das Bild des Königs Wenzel für das Iglauer Recht.

Aber auch farbige Grotesken und Karikaturen kommen auf den Rändern der Buchseiten vor. Der Abschnitt über das Scheidungsrecht wird mit den Miniaturen eines etwas scheeläugigen Mannes und einer Frau geschmückt.

Zum Gebrauch für die Richter und Schöffen ließ der langjährige Bürgermeister von Hermannstadt, Thomas Altemberger, 1481 verschiedene Land-, Stadt- und Bergrechte in diesem Codex zusammenfassen und den örtlichen Gegebenheiten anpassen. Die in diesem Zusammenhang angeführte Jahreszahl von 1453 lässt erwarten, dass die Texte zumindest zu einem Teil schon früher entstanden sind. Da die Sachsen auf „freiem” Boden lebten, fehlt das Lehnsrecht hier weitestgehend. Im Text findet sich die Bezeichnung „Nürnberger Recht”, was in der Forschung für Verwirrung sorgte, da dies zur Verwechselung mit einem späteren, reformatorischen Stadtrecht führte. Der hier verwendete „Schwabenspiegel“ war in oberdeutscher Sprache verfasst und implementierte weitaus mehr römisches Recht als der „Sachsenspiegel“. Durch die Weitsicht Thomas Altembergers wurde gerade auch mit diesen Gesetzestexten ganz bewusst die Selbstständigkeit der Nationsuniversität gestärkt.

Eingehend beschäftigt sich die Ausstellung mit dem Verhältnis von Vlad Ţepeş zu Thomas Altemberger. Zumindest im Jahr 1475 kollaborierte der Hermannstädter Bürgermeister auf Veranlassung des ungarischen Königs mit ihm, wie seine Empfangsbestätigung von 200 ungarischen Gulden an Altemberger nahelegt. Trotz der schon damals kursierenden Polemiken über die Gräueltaten Vlad Ţepeş lassen höchstens einige eingefügte Karikaturen eine Anspielung vermuten. 1481 war der Woiwode jedenfalls längst gestorben.

Zweifelsohne war ein solches Gesetzeswerk für die umliegenden Fürstentümer von besonderem Interesse, alleine schon um die herrschende Willkür und Korruption zu bekämpfen. Inwiefern sich eine gegenseitige Beeinflussung hinsichtlich der Schwere der Strafen nachweisen lässt, bleibt zweifelhaft. Zumindest für die Walachei lassen sich Ähnlichkeiten im Rechtsverständnis frühestens für das 16. Jahrhundert belegen. Die besondere Brückenfunktion dieses Werkes als Transfer für die Rechte und Pflichten der Bewohner Südosteuropas bleibt allerdings unbestritten.