„Viele Fotografien sind das Ergebnis  von intuitiven Entscheidungen“

Gespräch mit der deutschen Fotokünstlerin Andrea Diefenbach

Andrea Diefenbach bei der Vernissage im Bukarester Goethe-Insitut Foto: V. Brendler

Die in Wiesbaden, Deutschland, wirkende deutsche Fotokünstlerin und Professorin für Fotografie, Andrea Diefenbach, der es gefällt, immer wieder nach der Republik Moldau zu reisen und insbesondere das örtliche Dorfleben zu dokumentieren, hat sich bei ihrer Ausstellungseröffnung im Bukarester Goethe-Institut mit der Redakteurin Cristiana Scărlătescu über ihr Ausstellungsprojekt unterhalten.

Frau Diefenbach, wollten Sie schon immer Fotografin werden?

Ich habe tatsächlich schon früh die Fotografie für mich entdeckt. Mein Opa und mein Onkel haben mir beigebracht, Schwarz-Weiß-Filme und Fotografien zu entwickeln. Mein Opa hat das nur so als Hobby gemacht und er ist auch früh gestorben, als ich zwölf war. Deshalb hat er nie erfahren, dass ich Fotografie zu meinem Beruf gemacht habe. 

Sie haben seit 2016 als Dozentin an der Hochschule Luzern gewirkt und unterrichten Fotografie seit letztem Jahr an der Hochschule für Künste in Bremen. Wann bleibt Ihnen Zeit für Ihre eigenen Projekte?

Früher habe ich wahnsinnig viel Zeit in meine eigenen Projekte investiert, seitdem ich 2011 Mutter bin, ist diese Zeit geschrumpft. Ich versuche, die Arbeit an den persönlichen Projekten in die Lücken zu schieben und es ist eine Frage der Organisation und der eigenen Energie, Lehre, Mutterschaft und eigene Projekte zu jonglieren. Ich bin deshalb nicht mehr besonders schnell. Jetzt habe ich zehn Jahre gebraucht, um mein drittes Buch fertigzustellen.

Wie wurden Ihre Projekte gefördert?

Für mein allererstes Buchprojekt „AIDS in Odessa“, meine Abschlussarbeit der Hochschule, hatte ich eine kleine Förderung vom Deutschen Akademischen Austauschdienst DAAD. Außer dieser Ausstellung jetzt hier in Bukarest hatte ich 2013 noch eine Ausstellung im Goethe-Institut in San Francisco mit meinem vorherigen Buch über die Republik Moldau „Land ohne Eltern“. Und 2009 habe ich in einer Residency in Banja Luka, Bosnien und Herzegowina, auf Einladung des Goethe-Instituts gearbeitet sowie 2015 einen Workshop in Dhaka, Bangladesch, gegeben. Die Entstehung und die Recherche für das vorliegende Buch „Realitatea“ wurde dagegen nur von mir selbst und vom Programm Grenzgänger der Robert Bosch Stiftung gefördert.

Wie oft waren Sie in der Republik Moldau und wie haben Sie sich mit dem örtlichen Alltagsleben vertraut gemacht?

Seit 2007 war ich sicherlich mehr als 15 Mal in der Republik Moldau. Oft habe ich jemanden zum Übersetzten aus der Hauptstadt Chi{in˛u auf meine Reisen mitgenommen und ich glaube, dass ich das moldauische Dorfleben inzwischen ganz gut kenne – manchmal sogar besser als Personen, die mich zum Übersetzen begleitet haben, aber in der Hauptstadt aufgewachsen sind und keine Verwandte auf dem Lande hatten.

Was hat Sie am tiefsten beeindruckt?

Das eine ist naheliegend, und zwar, dass die Menschen in der Moldau wahnsinnig gastfreundlich sind. Der Rest ist menschlich. Menschen sind in der Lage, sich an alles Mögliche anzupassen und auch einen gewissen Fatalismus zu entwickeln. Wenn die Regierung zum Beispiel korrupt ist, dann sind die Menschen gezwungen, sich alleine um ihr Leben zu kümmern.

In welcher Region sind Ihre Fotos entstanden?

Wirklich überall, ich habe versucht, jeden Winkel des Landes zu besuchen, von Soroca bis Giurgiule{ti, wo sich die Grenze nach Gala]i befindet, an der Brücke, die nach Rumänien führt, ich war viel im Osten am Dnister/Nistru-Fluss, auch in Gagausien oder entlang des Pruth.

Wie würden Sie Ihren fotografischen Stil beschreiben und welcher Strömung würden Sie Ihre Fotos zuordnen?

Ich denke, dass sich diese Strömungen mehr und mehr auflösen und für mich selbst auch nicht eine so große Rolle spielen, aber man würde meine Bilder der Dokumentarfotografie zuordnen.

Trotzdem wirken Ihre Fotos auch ästhetisch reizvoll. Sind das eher Momentaufnahmen oder Bilder mit Regie?

Ich gebe nie Anweisungen, aber ich bitte Menschen um Erlaubnis, sie während ihrer Tätigkeit zu fotografieren. Ich bin keine „Straßenfotografin“, die sich versteckt und schnelle Schnappschüsse macht, sondern verbringe eine gewisse Zeit vor Ort, beobachte und mache mehrere Aufnahmen. Einige Orte im Buch bzw. der Ausstellung habe ich aus inhaltlichen Gründen aufgesucht, aber viele Fotografien sind spontan unterwegs entstanden und das Ergebnis von intuitiven Entscheidungen.

Wählen Sie Ihre Kompositionen nach Farben oder werden die Fotos bearbeitet?

Nein, sie werden nicht mehr bearbeitet als man es früher im Labor gemacht hätte. Ich habe im Laufe der Zeit festgestellt, dass ich ganz gut darin bin, unbewusst Farbkompositionen zu gestalten – und es gibt einfach auch viele Farben in der Moldau.

Ihre Fotokunst ist deutlich gesellschaftlich engagiert. Welche Haltungen und Gefühle hoffen Sie, in den Betrachtern durch das Fotoprojekt „Realitatea“ zu erwecken?

Vielleicht ein warmes Gefühl für das einfachere Leben in der Moldau und vor allem politische Wachsamkeit für ein Land, das seit etwa 30 Jahren auf der Suche einer eigenen Identität ist und sich wie ein Pingpong-Ball zwischen Moskau und Brüssel befindet.

Was für Ausstellungsprojekte planen Sie für die Zukunft und wohin reist Ihre Ausstellung weiter?

Es gibt derzeit zwei Ausstellungen: Diese hier, welche das Goethe-Institut produziert hat, die hoffentlich nach Chi{in˛u reist und vielleicht auch zu anderen Goethe-Zentren. Außerdem werden die Bilder aus dem Buch ab dem 25. März erstmals in Deutschland in einer Gruppenausstellung im Kunstforum Hermann Stenner Bielefeld gezeigt.


Der Bildband „Realitatea“ (2022) von Andrea Diefenbach, Hartmann Books: Leipzig, 184 Seiten, ISBN 978-3-96070-085-2 kann unter www.andreadiefenbach.com/moldova/index.php bestellt werden