Vom kleinen Paris zum neuen Berlin

Das Bukarester Nachtleben und der Einfluss Berlins – ein Gespräch mit dem Kulturmanager Adrian Şoaită

Adrian Şoaită bei dem Launch von „GC Trends“ im Silver Church Club, September 2011
Foto: Paul Soare

Turbohalle: die große Eröffnung am 17. März 2012

Räumlichkeiten der Turbohalle
Fotos: turbohalle.ro

Die Bukarester Nachtszene boomt: Das Stadtviertel Lipscani hat sich in kürzester Zeit zu einem bebenden Ausgehzentrum entwickelt und das Angebot an Bars, Clubs, Konzerten und Partys wird immer differenzierter. Inmitten der neuen Dynamik fallen Orte und Veranstaltungen mit deutschen Namen auf: Kulturhaus, Turbohalle, Berlin Club, die deutschen Elektro-DJs in Club Control. Über rumänische Initiativen und deutsche Vorbilder sprachen Ioana Moldovan und Aida Ivan mit Adrian Şoaită, dem Besitzer der Bukarester Clubs Kulturhaus und The Silver Church Club, des Veranstaltungskomplexes Turbohalle und ehemaliger Manager der legendären Club A und Lăptăria lui Enache.
 


Adrian, woher kommt denn deine Faszination für das Deutsche und vor allem Berlin? Auf der Internetseite des Kulturhauses, zum Beispiel, bezieht ihr euch explizit auf die Stadt als Vorbild für eure Bukarester Projekte.

Erstens bin ich selber Teil der deutschen Minderheit; meine Mutter kommt aus Großschenk/Cincu bei Hermannstadt, meine restlichen Verwandten aus Agnetheln/Agnita. Die ersten acht Jahre meines Lebens habe ich in Berlin verbracht, danach kamen wir zurück nach Rumänien. Bis zur Wende konnte ich dann schwer zurück, aber danach ging es wieder. Also bin ich sozusagen nach Berlin umgezogen, aber da ich hier tätig bin, pendle ich zwischen den beiden Städten. Eigentlich habe ich hier studiert, an der Polytechnischen Universität, und in Berlin habe ich Postgraduiertenkurse besucht im Bereich Eventmanagement.

In Berlin gibt es einen Verband der Klubbesitzer, nämlich die „Clubcommission Berlin“. Da habe ich das Kulturhaus als Mitglied eingetragen mit der Ausnahme natürlich, dass der Club nicht in Berlin sondern in Rumänien ansässig ist. Das Kulturhaus muss zwar die rumänischen Regelungen (zum Beispiel zu der Musikwiedergabe) einhalten, nutzt aber durch die Mitgliedschaft in der Clubcommission das schon etablierte Künstler- und Klubbetreibernetzwerk in Berlin, was für Networking und Künstlerbuchungen ideal ist.

Silver Church und Turbohalle nutzen dieses Netzwerk ebenfalls: So zum Beispiel ist bei der Eröffnung der Halle das Berliner DJ-Duo Modeselektor aufgetreten. Danach kam der Elektro-DJ Apparat nach Bukarest, und auch sonst waren viele Acts aus Berlin da. Und um mich kurz zu fassen: Berlin ist auch professionell ein Bezugspunkt weil eben Berlin zurzeit die Trends und Richtungen setzt im Musikbereich und vor allem der elektronischen Musik.

Und wie oder wann passierte denn der Übergang von der Polytechnik zum  Veranstaltungsmanagement? Hattest du eine genaue Vorstellung von dem, was du nach dem Abschluss in Rumänien machen möchtest?

Nein, eigentlich nicht, es hat sich so entwickelt. 1990 habe ich Club A eröffnet, 1992 auch die Lăptăria lui Enache und dadurch war ich schon in diesem Bereich tätig. Und so führte das eine ganz schnell zum anderen.

Ist es der Exotismus des Deutschen, der in Bukarest die mit dieser Sprache verbundenen Events oder Namen attraktiv machen? In Siebenbürgen oder dem Banat, zum Beispiel, ist die deutsche Sprache im Alltag familiärer für Nicht-Deutschsprachige. 

Ja, es ist ein gewisser Exotismus oder eher ein Fetisch. Alles, was von dort kommt, trägt das Etikett der „Coolness“ oder der Qualität. Und die meisten Besucher aus Deutschland fahren auch nach Siebenbürgen, entweder als Touristen oder um Verwandte zu besuchen, und dadurch geht Bukarest auch nicht besonders auf deutschsprachige Gäste ein.
    
Man sagt, Bukarest sei das neue Berlin. Wie siehst du das, vor allem in Bezug auf das Nachtleben?

Ja, und Berlin sei das neue Paris und so weiter (lacht).

Sagt man das wirklich?

Ja, das sagt man. Allerdings ist das Nachtleben hier sehr ähnlich zu dem Berliner Nachtleben strukturiert, überraschenderweise. Das heißt, es gibt nur Schick und Underground. Ich spreche hier nur von den Clubs. Entweder die teuren Bamboo und Le Gaga, oder Club Control und Kulturhaus. Dazwischen gibt es nichts, so wie es in Berlin auch nichts gibt zwischen der schicken Newton Bar und dem Elektromekka Berghain, zum Beispiel.

Es gibt also nur die Extreme?

Nein, es sind keine Extreme, sondern zwei sehr klar definierte Kategorien. Ein Club kann nicht teuer und gleichzeitig alternativ sein. Es gibt nur entweder-oder.

Im Kulturhaus organisiert ihr regelmäßige Parties mit deutschen Benennungen, die spielerisch-vage klingen, zum Beispiel „Ich liebe das Kombinat“ oder „Herr Papillon“. Ihr erklärt zwar die Titel auf eurer Webseite, aber auch nur sehr lakonisch. Wie kommen sie denn beim Publikum an, vor allem auch mit diesen Mottos?

Sie kommen sehr gut an und Titel wie „Ich liebe das Kombinat“ sind ein Wortspiel, das auch eine rumänische Assoziation hat. Man kann nicht nur deutsche Begriffe benutzen, die keiner versteht oder aussprechen kann. Auf Deutsch heißt das natürlich nichts, aber als Rumäne klingt einem ‚Kombinat’ vertraut.

Im März dieses Jahres habt ihr auf dem Gelände der ehemaligen Turbomecanica-Fabrik die Turbohalle eröffnet, eine riesige Anlage, in der Ausstellungen, Kinovorführungen, Konzerte, Parties stattfinden sollten. Wie lange habt ihr daran gearbeitet?

Die Umgestaltung hat ungefähr ein Jahr gedauert, die Fläche ist sehr groß, es sind  ungefähr 4500 Quadratmeter. Nach der Privatisierung der Fabrik hatte jede Hallengruppe einen anderen Besitzer. Die Turbohalle sollte ein multifunktionaler Raum werden, wie eine Arena, in der man selber nicht organisiert, sondern verschiedenen Kulturmanagern die Räume anbietet. Hier sollten, wie auch im Kulturhaus und in Silver Church, unterschiedliche Kunstarten und Medien aufeinandertreffen. So zum Beispiel wird hier im Oktober die erste Tattoo-Messe in Rumänien veranstaltet.

Wo siehst du denn die größten Unterschiede zwischen den beiden Ländern, wenn du an deine Arbeit als Veranstalter denkst?

Der größte Unterschied liegt natürlich in der Arbeitsmoral, der Aufgabenaufteilung und der Effizienz. In Deutschland sind alle Branchen und Gewerke deutlich entwickelt und Kompetenz ist da der größte Faktor. Hier macht jeder alles, jeder ist Experte in allen Bereichen. Es ist weniger ein Problem der Veranstaltungsorte als des Arbeitsmarktes. Es gibt hier einen massiven Personalwechsel: Wenn jemand mehr Geld anderswo verdienen kann, dann ist er sofort weg. Darüber hinaus ist die Arbeitsethik hier oft nicht ideal. Aber das ist ja eine lange Geschichte.  Zumindest kann man mittlerweile besser arbeiten; kurz nach der Wende konnten wir nicht einmal Coca-Cola oder Red Bull anbieten, wir mussten improvisieren und aus einem Pulver mit Wasser sowas wie Cola mischen. Im Glas.

Es muss allerdings auch Gutes geben an Rumänien, einen gewissen Reiz für Organisatoren. Was sind denn die Vorteile, wenn man hier Events anbietet?

Ja, das stimmt, ich habe immer hier gearbeitet und das Nachtleben in Rumänien – nein, Bukarest, nicht Rumänien – ist ganz gut. Der Markt in Berlin ist übersättigt und hier noch nicht, was auch den Reiz eines Projektes ausmacht. Das Publikum da ist schon abgestumpft und hat große Erwartungen, weil es an gute Sachen gewöhnt ist.

Es gibt zu viele Bands, zu viele Locations, es ist sehr schwer, etwas ganz Originelles zu schaffen. Darüber hinaus haben es Clubbetreiber schwer, sie müssen oft umziehen oder schließen, weil die Mieterhöhungen in machen Gegenden infolge des plötzlichen Wachstums des Lebensstandards zu hoch werden. Diese sogenannte Gentrifizierung macht es ihnen schwer. Hier gibt es (noch) keine Gentrifizierung, deshalb ist die Situation viel stabiler.

Und das Publikum? Musstet ihr euer eigenes Publikum bilden oder erziehen?

Das Publikum ist mittlerweile auch offen für vieles, aber anfangs war es schwer, bis vor ein paar Jahren gab es zum Beispiel ganz viele Blogs mit Sprüchen wie „Tod den Hipster“, aber jetzt hat sich alles gesetzt. Ja, es war viel Arbeit für uns und wir mussten tatsächlich ein bisschen Erziehungsarbeit leisten.

Ist es ein heterogenes Publikum? In Bukarest gibt es auch sehr viele Ausländer; wie viele kommen denn zu euch und was sind es für Gruppen? Sind es eher Studenten oder Expats?

Das Publikum ist schon klar eingeteilt. Silver Church ist schicker und konservativer und in der Turbohalle hängt es natürlich von der Veranstaltung ab. Ja, es gibt viele ausländischen Gäste, vor allem im Kulturhaus; da kommen immer Riesengruppen an Austauschstudenten, auch weil ihnen dieses Konzept eines multimedialen Ortes sehr familiär ist, es ähnelt den Clubs im Ausland.

Man hört ab und zu, das rumänische Publikum sei schwer für Neues zu begeistern; empfindest du das auch so?

Nein, mittlerweile nicht mehr, es ist sehr ‘up to date’ mit den Trends im Westen. Musikalisch allerdings ist es nicht so leicht, es gibt Musikgenres, die hier nie ankamen oder kaum, wie Gothic oder Punk. Dafür kamen manche Richtungen ganz schnell an, zum Beispiel Dubstep.

Was sind denn deine Pläne zurzeit? Planst du auch die Eröffnung neuer Locations oder arbeitest du an der Weiterentwicklung der schon eröffneten?

Ja, neue Locations plane ich, allerdings in Berlin. Da würde ich gerne auch Künstler aus Rumänien bringen und somit diese Brücke Berlin-Bukarest, beziehungsweise das eine Ende der Brücke in Deutschland stärken. In Bukarest konzentrieren wir uns erstmal auf die Promotion unserer drei Veranstaltungsorte. Ich möchte mich nicht schneller bewegen als der Markt hier, das hat keinen Sinn.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg weiterhin, hier und in Berlin.

Ich danke auch.