Von Ägrisch bis Zuika – vom Postmann zum Wortmann

Wie rund 80 rumäniendeutsche Wörter ihren Eingang ins neue Variantenwörterbuch des Deutschen gefunden haben

Es sind dies zweifellos berechtigte Fragen, die man sich stellen mag, wenn man erfährt, dass kurz vor dem Ende dieses Jahres ein neues Variantenwörterbuch des Deutschen auf den Büchermarkt gekommen ist: Handelt es sich lediglich um einen Nachdruck des älteren Wörterbuchs, um eine erweiterte Auflage, wie es bei Nachschlagewerken oft der Fall ist, oder doch um etwas Neues?

Die schon im Jahre 2004 erschienene erste Auflage des Variantenwörterbuchs der deutschen Sprache ist auf großes Interesse gestoßen, sowohl bei Sprachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern als auch bei einem breiten, sprachlich interessierten Publikum. Die Forschungsergebnisse, die mit der Erstauflage des Wörterbuchs publiziert wurden, flossen in zahlreiche Unterrichtsmaterialien für Deutsch als Erst-, Zweit- und als Fremdsprache ein.
Das Nachschlagewerk stellt lexikalische Varianten der Standardsprache in den sogenannten Zentren der deutschen Sprache gegen-über. Gemeint sind die „Vollzentren“ Deutschland, Österreich und die deutschsprachige Schweiz, die sich dadurch auszeichnen, dass ihre standardsprachlichen Besonderheiten kodifiziert und damit autorisiert sind, aber auch die „Halbzentren“, wo Deutsch offizielle und/oder Amtssprache ist, was für Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol zutrifft.

In der Neuauflage wurde das Variantenwörterbuch des Deutschen um neue, wichtige und bisher lexikografisch noch nicht erfasste Komponenten ergänzt: die deutsche Sprache in weit voneinander und auch vom geschlossenen deutschen Sprachraum entfernt liegenden Gebieten wie Rumänien, Namibia, Nordamerika, die in der Varietätenlinguistik als „Viertelzentren“ bezeichnet werden, wo sich im Laufe der Jahrhunderte eigenständige Sprachformen herausgebildet haben. Zwar unterscheiden sich die einzelnen Viertelzentren recht stark voneinander, sind sie doch jeweils unter ganz anderen Bedingungen entstanden: das eine infolge einer vor mehr als achthundert Jahren erfolgten Ansiedlung (Rumänien), das andere während des neuzeitlichen Kolonialismus (Namibia) und das letztgenannte als Resultat von Glaubensverfolgungen (sogenannte „religiöse Isolate“ in überseeischen Gebieten: Mexiko, USA und Kanada).
Zwar gibt es für Rumänien keinen eigenen Sprachkodex, aber trotz ihrer fehlenden Amtssprachlichkeit ist im Falle der in Rumänien gesprochenen deutschen Sprache der Anspruch auf Standardsprachlichkeit berechtigt. Die wichtigsten Gründe dafür sind die folgenden: Deutsch gilt nämlich in Rumänien als Verkehrssprache einer historischen Minderheit, Deutsch gilt hier auch als Kirchen- und Unterrichtssprache und neben der Sprache der Mehrheitsbevölkerung und anderen Minderheitensprachen auch als Sprache der Medien. Deutsch ist in Rumänien übrigens auch Sprache der Belletristik, die sogar einen Nobelpreis für Literatur erbracht hat.

Bei der Ausarbeitung der Neuauflage des Variantenwörterbuchs des Deutschen handelt es sich um ein trinational angelegtes Projekt, das Arbeitsstellen in Deutschland (an der Universität Duisburg-Essen), in Österreich (an der Universität Wien) und in der Schweiz (an der Universität Basel) hatte. Darüber hinaus beruht es auf der Zusammenarbeit einer ganzen Reihe von Experten anderer Länder, wo die jeweiligen Varietäten des Deutschen gesprochen werden. Für das Rumäniendeutsche habe ich verantwortlich gezeichnet, was mir eine besondere Ehre war.
Im Variantenwörterbuch-NEU wird für die rumäniendeutschen lexikalischen Besonderheiten der Terminus Rumänismus benützt – mit der Abkürzung RUM – als Parallelbildung zu den anderen Sprachvarianten: den Liechtensteinismen, Luxemburgismen, Ostbelgismen und Südtirolismen.

Dabei muss gesagt werden, dass für die rumäniendeutsche Varietät eine sehr strenge und gut überlegte Auswahl getroffen werden musste, gelten doch bekannterweise für lexikografische Arbeiten gewisse Restriktionen. Die wichtigste ist wohl die numerische, welche die Nichtüberschreitung einer vorgegebenen Anzahl von Lemmata betrifft. Die Festlegung einer solchen zahlenmäßigen Einschränkung der Einträge und der Seitenanzahl ist bei einem gedruckten Nachschlagewerk wie diesem einleuchtend und berechtigt. Im Unterschied zu einem Online-Lexikon, etwa dem Duden, das einem ständigen Prozess der Überarbeitung und Ergänzung unterworfen ist, musste hier ein rationelles Gleichgewicht zwischen den einzelnen deutschen Varietäten gewährleistet werden. Dass die Anzahl der aufgenommenen Lemmata letztendlich ein möglicher Grund zur Kritik in künftigen Rezensionen sein könnte, das nehmen die Autoren wohl in Kauf, ich selbstverständlich fürs Rumäniendeutsche.

Dass sich so mancher Wörterbuchbenutzer schlussend-lich fragen wird, warum das eine oder das andere Wort in diesem Wörterbuch fehlt, oder warum gerade ein bestimmter Rumänismus ausgewählt wurde zuungunsten eines anderen, den man vielleicht erwartet hätte, dessen bin ich mir als Mitverfasser völlig bewusst, heißt es doch: „Wer die Wahl hat, hat die Qual!“ Und schließlich und endlich hat jede Wahl etwas Subjektives an sich.
Die satzförmigen Belege stammen samt und sonders aus Pressetexten, vornehm-lich aus der ADZ und deren Beilagen „Banater Zeitung“ und „Karpatenrundschau“, aber auch aus der „Hermannstädter Zeitung“ und selbstverständlich auch aus der „Siebenbürgischen Zeitung“, eben um zu beweisen, dass Angehörige der rumäniendeutschen Minderheit auch recht lange nach deren Auswanderung nach Deutschland untereinander diese Varietät immer noch verwenden und diese jahrhundertealte Sprachform zum Glück doch noch am Leben zu halten vermögen.

Es liegt nahe, dass nicht alle Wörter sozusagen „pressesprachefähig“ oder „pressesprachetauglich“ sind: Wörter wie Bier- oder Milchfabrik, Mikrobus, Bakkalaureatsdiplom – auch Urzeln oder Märzchen – haben viel größere Chancen, in Zeitungsartikel Eingang zu finden als zum Beispiel Wörter wie Schmutzkorb oder Bokantsch. Und das einfach aus dem Grund, dass eben über eine neu gebaute oder eine pleite gegangene Fabrik, die geschlossen werden musste, oder über Kleinbusse, die vom Unterrichtsministerium oder von verschiedenen NGOs an dörfliche Schulen oder an Kindergärten geliefert wurden, oder kalendermäßig über verschiedene Feiertage, Feste und damit zusammenhängende Sitten und Bräuche in der Presse berichtet werden muss. Wer soll aber etwas über Schmutzkörbe in einer Zeitung zu berichten haben? Dabei ist dieser Rumänismus mit den synonymischen Varianten Müllkorb, Mülleimer, Mistkorb, Mistkübel, Kehrichteimer, Abfalleimer usw. völlig gleichberechtigt.
Mein inniger Wunsch ist, dass das neu erschienene Wörterbuch nicht die Regale der verschiedenen Bibliotheken einfach schmückt, sondern jeweils sehr bald vom häufigen Nachschlagen verschlissene Buchseiten aufweist.

„Variantenwörterbuch des Deutschen. Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz, Deutschland, Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol sowie Rumänien, Namibia und Mennonitensiedlungen“, Hrsg. von Ulrich Ammon, Hans Bickel, Alexandra N. Lenz unter Mitarbeit von Ioan Lăzărescu u.a., Verlag Walter de Gruyter, Berlin / Boston 2016, 916 S. ISBN 978-3-11-024543-1, geb. Ausgabe 99,95 Euro