Von „Blauschmuck“ zu „Podoabe albastre“

Vom Übersetzen und Übersetzen eines Frauenschicksals

Katharina Winklers Debütroman „Blauschmuck“ erschien 2016 im Suhrkamp Verlag Berlin und 2019 in deutsch-rumänischer Ausgabe im Niculescu Verlag unter dem Titel „Podoabe albastre“. Die Übersetzung ins Rumänische trägt die Unterschrift der bekannten Literaturwissenschaftlerin und Übersetzerin Prof. Dr. Mariana-Virginia Lăzărescu.

Die Protagonistin des Romans ist die junge Kurdin Filiz, die mit ihrer Familie in Tekbas (kurd. Dizvaz) lebt, einem kleinen Dorf im Landkreis Kigi der türkischen Provinz Bingöl. Die zehn- (oder elf)jährige Filiz führt mit ihren Eltern und den neun Geschwistern ein wohl ritualisiertes Dasein, in dem alle Frauen blauen Schmuck tragen, und zwar in allen Nuancen von Blau, die die Handschrift der Männer tragen. Sie verliebt sich in Yunus, den sie gegen den Willen ihres Vaters heiratet und mit dem sie sich in Deutschland ein Leben in Blue Jeans erhofft. Ihr Traum von Freiheit und Unabhängigkeit und einem schönen Leben mit ihrem Mann im Westen platzt aber bald nach der Hochzeit und verwandelt sich in einen Albtraum von physischem und emotionalem Missbrauch durch Mann und Schwiegermutter. Schließlich gehen Filiz und ihre drei Kinder mit ihrem Mann nach Österreich, wo sie sich letztendlich von der physischen und psychologischen Abhängigkeit befreien kann.

Da die Handlung auf wahren Begebenheiten beruht, ist eine kurze Orts-Recherche nur allzu gerechtfertigt. Bei Wikipedia erfährt man, dass im Jahre 1967 in Tekbas 168 Menschen, 1990 noch 100 Menschen lebten. In den Bevölkerungsstatistiken von 2007 bis 2013 ist Tekbas nicht verzeichnet. Im Roman werden keine genauen Jahresdaten angegeben, sogar Filiz´ Alter wird nur annähernd geschätzt, daher kann keineswegs von einer dokumentarischen Lebensaufzeichnung die Rede sein. Die statistischen Daten verhelfen dem Leser aber zu einem tieferen Einblick in das Leben und Leiden der jungen Kurdin. Die Übersetzerin selbst hat in einem Interview mit Katharina Winkler auch das Verhältnis einer/eines Schreibenden zwischen Faktum und Fantasie angesprochen („Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien“, Jg. 25/Nr. 6111/28. April 2017, Seite 6). Die Autorin erklärte, dass sie das Buch niemals geschrieben hätte, wäre sie der Protagonistin nicht auch in Wahrheit begegnet. Für sie sei Wahrheit von primärer Bedeutung, die Grenze zwischen Fiktion und Realität eine Illusion.

Das Buch beschreibt intensiv den tiefen Abgrund der Abhängigkeit und brutalen Unterwerfung eines Menschen, der den Unterschied zwischen Liebe und Gewalt nicht mehr begreift und für den die beiden Komponenten unzertrennbar geworden sind. Den Lesenden präsentiert sich Bild für Bild ein brutales Leben, das zur schonungslosen Lektüre veranlasst. Der Übersetzungsprozess kann für Prof. Lăzărescu keineswegs ein bequemer gewesen sein. Sie erwähnt im Interview mit der Autorin, wie empört und gerührt sie über Filiz Schicksal beim Lesen war. Diese Gefühle empfinden auch die rumänischsprachigen Leserin-nen und Leser, denen eine hervorragende Übersetzung zur Verfügung gestellt wird.

Eine besondere Leistung des Übersetzungstextes besteht in der Handhabung der Sprache. So wie es Katharina Winkler auch beabsichtigt hat, ist die Sprache des rumänischen Textes „musikalisch gedacht, rhythmisch vor allem, überhaupt sinnlich“. Es heißt immer, Sprache könne alles sagen. Das stimmt aber nur, wenn eine geschickte Feder die Sprache meistert. Und das wird sowohl im Original des Romans als auch in der Übersetzung bewiesen, zum Beispiel die Übertragung einer bewegenden Metapher für den Freiheitstraum in der Szene, in der Filiz in Gedanken das Anziehen einer Jeans-Hose probiert. Die Übersetzerin verweist auf eine besondere stilistische Kompetenz, die sie selbst meisterhaft im Rumänischen beweist, nämlich im inhaltlichen Höhepunkt der Geschichte, dem Schlusssatz „Du schlägst mich tot, aber du kommst mir nicht nahe“, der im Rumänischen „Mă omori în bătaie, dar nu mă atingi“ lautet.

Es sind in diesem Roman so viele Welten, so viele verschiedene Realitäten enthalten, die sich den deutschsprachigen wie den rumänischsprachigen Lesern offenbaren. Die Hauptfigur ist eine Kurdin, die in der Türkei und später in Österreich lebt, und über ihre Schreckensgeschichte wird in deutscher Sprache von einer österreichischen Autorin erzählt. Es werden nur selten türkische Wörter erwähnt, auf türkische beziehungsweise kurdische Traditionen kaum verwiesen. Das innere Leben der Protagonistin kennt aber keine Ethnie, sie ist uns allen gleich, der Leser oder die Leserin leidet und erfreut sich zusammen mit Filiz. Und das sind seit der Veröffentlichung des Romans nicht nur deutsch- und rumänischsprachige, sondern auch englisch-, spanisch-, französisch-, slowenisch-, hindi- und mazedonischsprachige Leser.

Inwieweit sich die Biografien aller am Text Beteiligten verwoben haben mögen, bleibt verborgen, denn Filiz ist nicht nur Kurdin, sie ist eine Tochter, eine Mutter, eine Nachbarin, kurz ein Persönlichkeitstypus, der zu Empathie anregt.