Vorstellung thematisiert aktuellen Fall

„Böse Kinder“ im Nationaltheater Temeswar

Der Titel müsste stutzig machen, denn „böse Kinder“ scheint auf den ersten Blick nicht zusammenzupassen. Tut es aber doch, wie die Zusammenarbeit des „Théâtre de la Manufacture“ aus Nancy, dem „Centre Dramatique National Nancy-Lorraine“ und des Nationaltheaters Temeswar zeigt. Denn hier geht es um Gewalt in den Schulen, Gewalt, die von Lehrern ausgeht und dann von Schülern auf brutale Weise in den Paroxysmus gesteigert wird.
Schließfächer, wie man sie auf den Fluren amerikanischer Schulen sieht, schmücken die Bühne und mitten-drin spielt sich die Geschichte der 12-jährigen Schülerin ab. Alexandra Castellon interpretiert in einer Achterbahnfahrt alle Rollen: das Mädchen, die kleine Schwester, die Mutter, die Lehrerin, den Klassensprecher, die Bankkollegin sowie weitere Mitschüler und den Schuldirektor. Begleitet wird die Schauspielerin von den Musikern Jérôme Boivin und Jérémy Ferry.

Trotz amerikanischem Bühnenbild spielt die Geschichte in Rumänien, das Thema ist der heutigen Gesellschaft entnommen und geht auf einen wahren Fall zurück: Einer Schülerin werden von der Lehrerin die Hände rückwärts gebunden; sie hatte in der Stunde mit ihren Gummibändern gespielt (der Fall geht auf die Zeit zurück, als die sogenannten „Looms“ in Mode waren), also muss sie bestraft werden. Dieselbe Lehrerin hatte soeben noch von der Demokratie im antiken Athen gesprochen und auf Beispiele aus dem Klassenzimmer und der Schule gegriffen, um den Schülern die Demokratie zu verbildlichen. Die Mitschüler hatten die Strafe verlangt, das Mädchen, das neu in der Klasse ist und wenig an die anderen Kinder gebunden, hat zugesagt, dass ihm die Hände gebunden werden.
Dass das Mädchen in sich eine gewisse Traurigkeit birgt, ist den meisten unbekannt. Seit der Trennung der Eltern lebt sie mit der Mutter, hat auch die Schule gewechselt und ist jetzt in einer sechsten Klasse gelandet, wo sie sich nicht eingebunden fühlt. Bereits zu Hause und dann auf dem Weg zur Schule wird es klar, dass sich das Kind mit dem Einstecken abgefunden hat. Es steckt zu Hause ein und auch in der Schule. Es hat sich daran gewöhnt, sich taub zu stellen und eine eigene Welt zu schaffen, in der es vor allem um seine Kreationen aus Gummibändern geht: Eine Giraffe kann das Mädchen schnell basteln, sogar eine Giraffe mit zwei Köpfen.

Als die Mitschüler, der Klassenbeste und -sprecher an der Spitze, dann in der Pause auf das Mädchen losgehen, es zusammenschlagen und letztendlich in der Toilette anbinden, gerät das Böse aus den Fugen.
Die angepassten Kinder, die brav den Unterricht absitzen, nie etwas dagegen zu sagen haben, dass ihnen nur 12 Stunden pro Woche für sich, also um sich selbst zu finden, bleiben, bäumen sich gegen die Mitschülerin auf, die nicht total angepasst ist, die es sich mal erlaubt, auch gegen „das System“, gegen die Regeln zu spielen, eben durch die Parallelwelt, die sie für sich entstehen lässt. Zuletzt schieben alle die Schuld auf das Kind, auf das System – man kennt ja solche Ausreden und Anschuldigungen nur zu gut aus unserer Gesellschaft, wenn es heißt „es geht nicht, weil“, „ich würde ja gerne das machen, aber das System lässt mich nicht“. Unschuldig plädiert die Lehrerin, die nur ihre Stunde über die Demokratie im alten Athen halten wollte, unschuldig plädieren die Mitschüler, die sich von der unaufmerksamen Kollegin genervt gefühlt haben. Unschuldig plädiert auch die Mutter, die zwar zugibt, das Mädchen selber zu bestrafen, jedoch nicht anzubinden, und schließlich „ist es ja mein Kind, ich habe ein Recht darauf“.
Da bleibt dem Mädchen nur eines zu tun: Sich eine Schule aus Gummibändern vorzustellen, eine Schule für sich.
Der Text, der stark aufrüttelnd ist, stammt von Mihaela Michailov und wurde ins Französische von Alexandra Lăzărescu übersetzt. Regie führte Michel Didym.