Wenig Schlaf und viel Theater

Erfolgreiche zweite Auflage des Theatermarathons „Atme. Theater.“

Ein Stück im Stück: Hora]iu M²l²ele (l.) und Niculae Urs spielten in der Tschechow-Bearbeitung eine Szene aus „Romeo und Julia“.
Foto: Andrey Kolobov

Was tun am Wochenende? Für viele Hermannstädter war die Antwort am vergangenen Samstag und Sonntag klar: Man ging ins Theater. Zumal das sonst recht überschaubare Angebot an Vorstellungen viel breiter gefächert war. Nein, das Internationale Theaterfestival wurde in diesem Jahr nicht vorverlegt. Aus Anlass des Welttheatertags, der am 27. März zum 50. Mal begangen wurde, fand in Hermannstadt/Sibiu am 24. und 25. März die zweite Auflage des Theatermarathons „Respiră. Teatru.“ (Atme. Theater.) statt.

Das diesjährige Marathon bot den Theaterliebhabern nicht nur ein qualitativ hohes und spannendes Programm unter dem Motto „25 Stunden Theater non-stop“, sondern stellte auch ihre Ausdauer auf die Probe. 20 Programmpunkte reihten sich aneinander und ließen den Zuschauern kaum Zeit zum Verschnaufen. Von 19 Uhr am Samstag, über die Zeitumstellung in der Sonntagnacht und bis weit nach Mitternacht am Montag wurde ausgiebig Theater geatmet.

Den Startschuss des Marathons gaben Hora]iu Mălăele und Niculae Urs im Radu-Stanca-Theater. Mit der Inszenierung von „Măscăriciul“ nach der dramatischen Skizze „Schwanengesang“ von Anton Tschechow setzten die beiden die Latte sehr hoch für die weiteren Vorstellungen. Das fugenlose Zusammenspiel, die Wiedergabe des Komischen sowie der Umgang mit dem Tragischen und die erstklassige Darbietung brachten den Akteuren verdienten Beifall. Die Stafette wurde von Paula Chirilă und George Constantinescu übernommen.

Im Studiosaal des Radu-Stanca-Theaters mussten zusätzlich zu den vorhandenen Plätzen Polster am Bühnenrand ausgelegt werden, um Platz für alle Zuschauer zu schaffen. „Ein Mann und mehrere Frauen“ von Leonid Zorin zieht die pseudo-puritanische sowjetische Gesellschaft ins Lächerliche und deckt das Menschliche und insbesondere das Weibliche im System auf. Paula Chirilă spielte in diesem Stück alle acht weiblichen Rollen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ob die eifersüchtige Ehefrau, die von den Männern enttäuschte, hysterische Psychiaterin, die Mauerblümchen-Sekretärin, die gesprächige Mitfahrerin im Zug, die verträumte und ein bisschen verrückte Dichterin oder die Gerüchte verbreitende Nachbarin – mit jedem Kleiderwechsel sah man eine nicht nur äußerlich ganz andere Chirilă auf der Bühne.

Für das Publikum folgte der Umzug in den „Cavas“-Saal im Gebäude der Lucian-Blaga-Universität, wo der Platzmangel noch deutlicher wurde. „Im nächsten Jahr müssen wir nach größeren Räumlichkeiten für das Marathon suchen“, schlussfolgerte etwas verlegen Bogdan Sărătean, der Vorsitzende des Kulturvereins „Bis“, der das Theaterwochenende organisiert hat.

Auch unter beengten Verhältnissen blieb das schauspielerische Niveau jedoch unbeirrt hoch. Das hier gebotene Stück „I am Hamlet“ von Richard James wurde zur besten Vorstellung des Marathons gekürt und am Montagabend im Atrium Classic Café wiederholt. Radu Horghidan und Radu Homiceanu stellten makellos eine sich rasant entwickelnde Geschichte vor, die Shakespeares Meisterwerk in die Moderne überträgt und die Rache eines vaterlos gewordenen Sohnes, begleitet von berühmten Hamlet-Monologen, siegen lässt.

Mit dieser Vorstellung begann die „Baroc-UpDate“-Reihe, in der zwei weitere Shakespeare-Stücke im Rahmen des Marathons gezeigt wurden: „Sommernachtstraum“, gespielt von den Studierenden an der Fakultät für Theaterwissenschaften der Lucian-Blaga-Universität, und „Venus und Adonis“, das von den Kulturvereinen „Arena“ und „Iarba verde de acasă“ inszeniert worden war. Der Vortrag „25 Stunden aus dem Leben eines Barock-Menschen“ des Theaterwissenschaftlers Dan Vasiliu rundete die „Baroc-UpDate“-Reihe ab.

Die müde gewordenen Seelen und Körper der Marathonteilnehmer und Organisatoren wurden am Sonntagmorgen mit einem Poesie-Workshop im Atrium Café sowie einer Morgengymnastikstunde am Großen Ring/Piaţa Mare erfrischt. Im weiteren Verlauf des Vormittags las George Constantinescu, wie schon letztes Jahr, die immer noch sehr aktuellen Pamphlete von Constantin T²nase vor. „Wir hoffen, dass George uns auch im nächsten Jahr mit dieser Vorstellung beehren wird. Denn das von Tănase Gesagte bleibt leider auch nach fast einem Jahrhundert aktuell“, meinte Bogdan Sărătean.

Im Rahmen des Hermannstädter Theatermarathons bot der Schauspieler und Regisseur Dan Puric eine außerordentliche zweistündige Pressekonferenz im Thaliasaal. Doch wer sich für die Vorstellung von Mrozeks „Emigranten“ entschied, welche gleichzeitig im Studiosaal aufgeführt wurde, bereute es keinesfalls. Lari Georgescu und Silvian Vâlcu, zwei ungleiche „Gefangene“ in einer aus nur einem Zimmer bestehenden Welt, erlaubten einen flüchtigen Einblick ins Leben und in die Träume der vor dem totalitären Regime geflüchteten Menschen. Der polnische Autor Slawomir Mrozek beschrieb in seinem Stück nicht nur die aussichtslose Lage, sondern prangerte auch den künstlichen Unterschied zwischen Menschen verschiedener Gesellschaftsklassen an. Letzten Endes sind sie alle gleichermaßen Gefangene des Systems und der eigenen zwanghaften Träume.

Die zweite Auflage von „Atme. Theater.“ brachte nicht nur einheimische Schauspieler nach Hermannstadt. Die diesjährigen Gäste kamen aus Edinburgh und aus Übersee, von der Columbia University of New York. Sie boten am Sonntagabend zwei Stücke in englischer Sprache: „A view from the boundary“ und „What the sparrow said“. Der offizielle Abschluss des Theatermarathons fand im Thaliasaal statt. Tünde Baczó und Alin State tanzten zur musikalischen Begleitung von Tibor Cári das Stück „Wer aber tanzt mit dem Pianisten?“. Die Story kommt fast ohne Worte aus. Der Tanz reicht völlig aus, um die Entwicklung einer Liebesgeschichte zu einem Familiendrama zu begreifen.

Der Theatermarathon „Atme. Theater.“ scheint nun einen festen Platz im Kulturprogramm der Stadt gefunden zu haben. Der Stadtrat übernahm in diesem Jahr einen Teil der Kosten und „vom Kreisrat haben wir auch positive Signale erhalten“, wiederholte Sărătean vor dem Anfang jeder Vorstellung unermüdlich, um die Sponsoren zu würdigen. Sobald die Organisatoren nach der „durchgeatmeten“ Nacht ausgeruht sind, beginnen die Vorbereitungen für die nächste, dritte Auflage des Marathons.