Wenn die Glieder einer Gemeinschaft wieder zusammen kommen

Zur Erscheinung des Bandes „Lebenswege in Siebenbürgen. Festreden und Nachrufe“ von Christoph Klein

Christoph Klein: „Lebenswege in Siebenbürgen. Festreden und Nachrufe“, hora Verlag Hermannstadt 2020

Es ist bereits der dritte Band dieser Art, den Altbischof D. Dr. Christoph Klein innerhalb von fünf Jahren publiziert hat. Im Jahr 2015 veröffentlichte er den Band „Geistliche Leitbilder und Weggefährten. Betrachtungen“, in dem er historische und zeitgenössische Personen und Persönlichkeiten würdigte, die für seinen Werdegang wichtig waren und ihn als Menschen, Theologen und Bischof geprägt und begleitet haben. Der vor zwei Jahren erschienene zweite Band „Siebenbürgische Erinnerungsorte in Lebensbildern“ erwies sich als nötig, da, nach eigenem Bekunden des Autors „wegen des begrenzten Umfangs“ des ersten Bandes, der sich auf Geistliche und Theologen beschränkte, die „weltlichen“ Wegbegleiter auch gewürdigt werden sollten. Nun kommt überraschenderweise aber noch ein dritter Band dazu, in dem Festreden und Nachrufe auf wichtige zeitgenössische Persönlichkeiten Siebenbürgens abgedruckt sind, und wo schließlich im letzten Teil persönliche Rückblicke des Altbischofs verzeichnet sind.

Die Frage, was Christoph Klein dazu bewegte, gleich eine Trilogie herauszugeben, meine ich in einer seiner wegweisenden Predigten beantwortet zu finden. Im Mai des Jahres 1998 gedachten wir in Schäßburg der 700-jährigen Wiederkehr der ersten urkundlichen Erwähnung der Klosterkirche und zugleich der Stadt Schäßburg. Der Bischof predigte über die Wichtigkeit der Erinnerung in einer solchen Feierstunde. Damals ging es in erster Linie um ein Bauwerk, aber dahinter stehen, gerade wenn es sich um eine Kirche handelt, die dazugehörenden Menschen und ihr Glaube. In seiner damaligen Predigt – sie trägt den Namen „Erinnerung an die Zukunft“ – verwies der Bischof die Schäßburger Festgemeinde darauf, dass, wenn Vergangenes in unsere Gegenwart hereingeholt wird, „…dadurch unsere Gegenwart erhellt, unsere eigenen Probleme beleuchtet und unsere Träume und Wünsche genährt werden“. Aber Erinnerung hat bei Weitem nicht nur den Sinn, Vergangenes wieder aufleben zu lassen. Erinnerungen sind vor allem darum wichtig, um für die Zukunft Ausrichtung zu finden. Erinnerung ist, so Bischof Klein „…nicht nur ‘Gedenken‘ an frühere Zeiten, wie wir im Deutschen sagen, und auch nicht nur Vergegenwärtigung, Anamnese, wie es im Griechischen genannt wird, sondern es wäre ‘Erinnerung an die Zukunft‘, wie es das englische Wort re-member ausdrückt. Dann ‘er-innern‘, das heißt bewegen wir in unserem Inneren, dass bei einem solchen ‘Gedenken‘ die Glieder einer Gemeinschaft, die members, wieder zusammenkommen und dies somit eine Feier der ‘Wiedereingliederung‘ und Neukonstituierung der Gemeinschaft wäre.“

So haben Menschen aufgrund ihrer Begabung, ihres Einsatzes oder ihrer Fähigkeit des Mitreißens das Leben von Christoph Klein geprägt. Und so werden aus „Bildern“ – „Leit-“ oder „Lebensbilder“, aus „Orten“ – „Erinnerungsorte“ oder „Orte zum Nachdenken“ und aus „Wegen“ – „Lebenswege“ oder „Weggefährten“. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille, und dies wird nun aus dem letzten Band „Lebenswege in Siebenbürgen“ ersichtlich. Wichtig und wesentlich ist, dass die Persönlichkeiten, die gewürdigt werden, nicht nur mit dem Autor freundschaftlich verbunden sind bzw. waren, sondern auch für die Gemeinschaft Bleibendes geleistet haben und deren Lebensweg vielen andern Menschen als Beispiel diente oder zur Inspirationsquelle wurde. Und so werden runde Geburtstage (insgesamt sind 10 Festreden abgedruckt), aber auch Nachrufe oder runde Gedenktage (ebenfalls 10 an der Zahl) zum Anlass genommen, der Jubilare oder der Verstorbenen dergestalt zu „erinnern“, dass aus solchem „‘Gedenken‘ die Glieder einer Gemeinschaft, die members, wieder zusammen kommen“.

Die politische Wende des Jahres 1989 ist in diesen Würdigungen nicht nur als historisches Datum wichtig, sondern auch für den Autor persönlich, da er kurz danach in das Amt des Bischofs gewählt wurde. Es gibt zwei Dinge, welchen den entscheidenden Unterschied zwischen Menschen ausmachen: wenn man unten ist, seine Würde zu bewahren, und wenn man oben ist, Mensch zu bleiben.

Der Begriff „Gemeinschaft“ ist ein teures Wort und ein hoher Wert für die Siebenbürger Sachsen im Laufe der Geschichte gewesen, und das weiß niemand besser als jemand, der dieser Gemeinschaft 20 Jahre lang als Bischof vorstand. Der Begriff „Gemeinschaft“ wurde in den letzten 30 Jahren jedoch arg strapaziert und teilweise auch seines Sinnes entleert (wahrscheinlich geschah es bereits viel früher, aber das müsste soziologisch untersucht werden). Doch gerade durch die Ausdünnung unserer Gemeinschaft nach 1989 rückten Persönlichkeiten bzw. Einzelgestalten in den Vordergrund, die in die Bresche sprangen, die ein Amt annahmen und ausfüllten, oder die sich auf ihrem Betätigungsfeld einfach in die Arbeit hineinknieten. Die letzten 30 Jahre waren sehr stark eine Periode der Einzelkämpfer; das ist zwar keine Sondersituation der Siebenbürger Sachsen und liegt nicht an der Auswanderung, sondern eher am allgemeinen Individualismus und Egoismus dieser Zeit (welche die Auswanderung mitbedingten).

Der Autor, selber Jahrgang 1937, hat in seinen Würdigungen aber natürlich auch die Zeit vor 1989 im Blick (die älteste geht auf das Jahr 1974 zurück). Die Entbehrungen nach dem Krieg, die Einschränkungen des kommunistischen Regimes, die politisch motivierten Verfolgungen und unrechtmäßigen Einkerkerungen ziehen sich wie ein roter Faden nicht nur durch sein Leben und jenes seiner Familie, sondern sind auch in den meisten anderen Lebenswegen Siebenbürgens präsent.

So wird ein buntes Mosaik von Persönlichkeiten präsentiert, die auf theologischem oder diakonischem, auf literarischem oder musikalischem, auf pädagogischem oder ökumenischem, auf gesellschaftlichem oder politischem Gebiet Wichtiges und Entscheidendes geleistet haben. Es sind zugleich aber auch Menschen, die in Zeiten von Entbehrung oder Verfolgung ihr menschliches Angesicht bewahrt haben und – sofern dies möglich war – andern unter die Arme gegriffen haben. Trotzdem geht es dem Autor nicht um Verherrlichung von Lebensläufen, auch nicht posthum. Als einer, der seinerzeit über die Beichte seine Promotionsarbeit schrieb und immer wieder das Thema „Versöhnung“ vor Augen hat, weiß er nur zu gut auch um menschliche Schuldverfallenheit.

Der Band „Lebenswege in Siebenbürgen. Festreden und Nachrufe“ ist – so glaube ich – in der Matrix des von Martin Buber herausgearbeiteten „dialogischen Prinzips“ zu lesen, demgemäß der Mensch sich selbst in der Beziehung zum Du definiert. Die Erinnerung an die oder die Beschäftigung mit den gewürdigten Persönlichkeiten, ist dazu angetan, „unsere Gegenwart zu erhellen“, zugleich aber „unsere eigenen Probleme, Träume und Wünsche zu nähren“. So wünsche ich dem Buch ein geneigtes Leserpublikum.