Werke von Odăgescu-Ţuţuianu, Beethoven und Dvorák

Saisonabschlusskonzert der Philharmonie „George Enescu“ im Bukarester Athenäum

An den letzten beiden Junitagen wurde den Zuhörern im Bukarester Athenäum ein Konzertprogramm dargeboten, mit dem sich die Philharmonie „George Enescu“ in die Ferien verabschiedete. Das Saisonabschlusskonzert, bei dem die Herren Instrumentalisten hitzebedingt ohne Jackett mit weißem Oberhemd, die Damen und der Dirigent Horia Andreescu ganz in schwarz auftraten, brachte ein sinfonisches Programm mit Werken aus drei Jahrhunderten zu Gehör. Eröffnet wurde der Konzertabend mit einem von der rumänischen Komponistin Irina Odăgescu-Ţuţuianu selbst so bezeichneten „choreografischen Poem“, einer von einem Gemälde Theodor Amans inspirierten sinfonischen Tondichtung mit dem gleichnamigen Titel „Bătălia cu facle“ (Die Schlacht mit Fackeln).

Darauf folgte Ludwig van Beethovens erstes Klavierkonzert mit dem britischen Pianisten Michael Roll als Solisten. Den Abschluss des Konzertabends und zugleich der laufenden Konzertsaison bildete die siebte Sinfonie von Antonín Dvorák. Irina Odăgescu-Ţuţuianu, die dem Donnerstagskonzert der Philharmonie „George Enescu“ persönlich beiwohnte und an diesem Abend mit ebensoviel Applaus bedacht wurde, wie sie selbst spendete, ist Professorin der Nationalen Musikuniversität Bukarest und eine Komponistin, deren Werke weltweit zu Gehör gebracht wurden und werden. Die heute Achtzigjährige hat über achtzig Werke in den Bereichen der sinfonischen Musik, der Vokal- und Instrumentalmusik, der Ballett-, Kammer- und Chormusik geschaffen und zahlreiche nationale und internationale Preise für ihre kompositorischen Leistungen erhalten.

Das nach dem gleichnamigen Schlachtengemälde von Theodor Aman aus den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts benannte sinfonische Opus 31 aus dem Jahre 1977 von Irina Odăgescu-Ţuţuianu mit dem Titel „Bătălia cu facle“ (Die Schlacht mit Fackeln) steht in der Tradition der musikalischen Schlachtengemälde, die von Clément Janequin im 15. Jahrhundert über William Byrd im 16., Claudio Monteverdi im 17., Wolfgang Amadeus Mozart im 18. bis hin zu Ludwig van Beethovens „Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria“ oder Franz Liszts „Hunnenschlacht“ aus dem 19. Jahrhundert reicht. Die Komponistin gibt sich in dieser kurzen einsätzigen Tondichtung aber nicht vordergründigen Instrumentaleffekten der Programmmusik hin, sondern entwickelt das musikalische Geschehen dieses Poems aus zwei Prinzipien: einem lyrischen Prinzip, das von der Flöte verkörpert wird – das einleitende Solo (Ion Bogdan Ştefănescu) erinnert im Duktus an Claude Debussys „Syrinx“ –, und einem dramatisch-heroischen Prinzip, das vom Tutti des Orchesters, insbesondere vom Schlagwerk und von den Blechbläsern, repräsentiert wird. Der Kontrast der meditativ-melismatischen und der eruptiv-explosiven Passagen prägt das an subtilen Klangerlebnissen reiche Werk, das von den Philharmonikern unter Horia Andreescu mit großer Hingabe dargeboten wurde.

Nach einer längeren Umbaupause betrat der 1946 in Großbritannien geborene Michael Roll, Sohn jüdischer Eltern aus Wien, die Bühne des Bukarester Athenäums, um Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr. 1 in C-Dur (op. 15), das zu den Frühwerken des Komponisten zählt, zu interpretieren. Auch in diesem Werk spielt der Kontrast von feinen und filigranen, von lyrischen und weihevollen Passagen einerseits und plötzlich eintretenden eruptiven, wilden, unbändigen und höchst ausdrucksstarken Passagen andererseits eine große und gleichsam werkkonstituierende Rolle. Schon an diesem frühen Beethovenschen Opus lässt sich Emil M. Ciorans provozierende These exemplifizieren, die der rumänische Philosoph und französische Stilist in die Form des folgenden Aphorismus goss: „Beethoven a vicié la musique: il y a introduit les sautes d’humeur, il y a laissé entrer la colère“ (Beethoven hat die Musik verdorben: er hat den jähen Stimmungswechsel in sie eingeführt, er hat den Zorn hineingelassen).

Es war ein Genuss, Michael Rolls wuchtiger Interpretation des Beethovenschen Klavierkonzertes beizuwohnen, seinem Wechsel der musikalischen Stimmungen zu lauschen und seinem Wandel der musikalischen Charaktere zu folgen, insbesondere im Schluss-Rondo Allegro scherzando, in dem Beethoven den Zuhörer mit immer wieder neuen Wendungen, Kontrasten, Überlagerungen und Kombinationen der musikalischen Themen und Motive überrascht. Der Dirigent belohnte diese meisterhafte solistische Darbietung damit, dass er beim Applaus im Tutti blieb und den Solisten weder beim Abgang von der Bühne noch beim mehrmaligen Wiederauftritt an die Rampe begleitete. Michael Roll bedankte sich beim Publikum des Donnerstagskonzertes dann noch mit einer Bagatelle des gemeinsam mit ihm gefeierten Komponisten.

Den zweiten Teil des Saisonabschlusskonzertes bildete die Aufführung der Sinfonie Nr. 7 in d-Moll (op. 70) von Antonín Dvorák. Das monumentale viersätzige Werk, das wie auch viele andere Werke des tschechischen Komponisten aus dem reichen Quell der böhmischen Volksmusik schöpft, ließ die Zuhörer in einen permanenten Wandel der Stimmungen einschwingen, die vom düsteren Ende des Kopfsatzes Allegro maestoso über weihevolle und tänzerische Passagen in den beiden Mittelsätzen Poco adagio und Scherzo vivace, welche aber immer wieder von intensiven Kraftausbrüchen unterbrochen wurden, bis zum Allegro-Finalsatz reichten, in dem Düsternis und Triumph bis in die dramatische Coda hinein miteinander rangen. Die Instrumentalisten der Philharmonie „George Enescu“ verwöhnten die Zuhörer auch im letzten Konzert dieser Saison mit ihrer musikalischen Könnerschaft, wobei der lang anhaltende Applaus ebenso dem Dirigenten Horia Andreescu galt, der unablässig für Aufmerksamkeit und Spannung sorgte, so etwa beim Beginn der einzelnen Sätze, zu denen er im Athenäum nie den Einsatz gab, bevor unter der Kuppel des Rundtempels nicht absolute Ruhe eingekehrt war.

Die kommende Saison der Philharmonie „George Enescu“ wird am 5. Oktober mit einem Konzert eröffnet werden, bei dem unter der Leitung des in Singapur geborenen Dirigenten Kah Chun Wong Werke von Tiberiu Olah, Franz Liszt und Antonín Dvorák – diesmal dessen neunte Sinfonie – zur Aufführung gebracht werden. Wer das rumänische Spitzenorchester zwischen-durch vermisst, kann es im Rahmen des Internationalen Musikfestivals „George Enescu“ auch im September dieses Jahres in Bukarest genießen: am 9. September im Großen Saal des Rumänischen Rundfunks mit Werken zeitgenössischer europäischer Musik und am 20. September, zusammen mit dem Chor der Philharmonie „George Enescu“, im Großen Palastsaal mit der dramatischen Legende „La damnation de Faust“ (Fausts Verdammnis) von Hector Berlioz.