„Wie rechtfertige ich meine Tätigkeit und Existenz?“

Maia Morgenstern über das Jüdische Theater in Bukarest

„Theater spielen, Proben machen, das Publikum heranziehen – das sind die Gründe, weshalb ein Theater existiert“, erklärt Maia Morgenstern, Direktorin des Jüdischen Staatstheaters.

Das TES soll bald saniert werden. Wann genau, weiß keiner.
Fotos: Aida Ivan

25. Januar 2014: Zwei Tage vor dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, der in der Bukarester Iuliu-Barasch-Straße 15 mit der Aufführung „Janka“ begangen werden sollte, wird die Aktivität des Jüdischen Staatstheaters (TES) jäh unterbrochen. Vertreter der Einrichtung bedanken sich bei dem Publikum für seine bisherige Unterstützung und erklären, dass niemand weiß, wie lange diese Situation dauern wird. Auf der Internetseite des Theaters wird darauf aufmerksam gemacht, dass alle Vorführungen verschoben werden. Das Dach des Gebäudes, in dem sich das Theater befindet, hat das Unwetter zerstört. Das Theatergebäude im alten jüdischen Stadtviertel, ein historisches Denkmal, dürfen nicht mal die Angestellten betreten: Es regnet und schneit hinein, das elektrische Leitungsnetz ist kaputt.

2. Februar: Laut den Berichten der Feuerwehr wurden 80 Quadratmeter der Dachhaut aufgerissen. „Wir konnten unsere Tätigkeit nicht mehr ausüben: Unsere Hauptaktivität – die Aufführungen vorbereiten und spielen, der Sinn und das Ziel eines Theaters – alles war weg“, erinnert sich TES-Direktorin Maia Morgenstern an die Tage nach dem Sturm.

„Der Frühling war regnerisch. Es gab genauso viel Wasser drinnen, wie draußen“, setzt sie fort. Damit das Jüdische Staatstheater seine Tätigkeit aufnimmt, wurde schnell ein Ausweg gefunden: Die Inszenierungen wurden dem Publikum in anderen Theatern gezeigt. Maia Morgensterns Aufführung „Janka“ findet demnächst im Komödientheater statt.

Der Wille weiterzumachen

„Wir waren gezwungen, unsere Aktivität an vielen, vielen Orten auszuführen. Wir haben Lösungen gefunden, damit wir unsere eigenen Produktionen spielen können, da wo uns ein Raum bereitgestellt wurde. Ich bin allen Theaterdirektoren dankbar, die damit einverstanden waren und uns Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt haben“. Damit meint Morgenstern das Komödientheater und das Nationaltheater, wo das Ensemble des Jüdischen Theaters ein paar Monate lang immer mittwochs gespielt hat.

Am Theater arbeiten nicht nur Schauspieler. Ein Technikerteam soll vor der Aufführung den Saal vorbereiten, damit Bühnenbild und Licht stimmen. „Unsere Bemühungen hatten das Ziel, keine unerwünschten Kompromisse zu machen, was die Qualität des künstlerischen Aktes anbelangt. Wir haben unsere Verpflichtung mit Würde erfüllt. Wir haben das Publikum zu unseren Darbietungen eingeladen, auch wenn die Bedingungen widrig waren. Es gab Ehrgeiz, den Willen weiterzumachen“, erzählt Direktorin Morgenstern.

Auch wenn die Schauspieler ständig unterwegs waren, ist es ihnen gelungen, zwei Premieren vorzubereiten. Die Proben haben auf dem Flur, unter schrecklichen Bedingungen stattgefunden. „Die Anstrengungen kann ich nicht beschreiben“. Maia Morgenstern macht eine kurze Pause. Darauf hebt sie den Versuch hervor, diese schwierigen Verhältnisse in Chancen umzuwandeln, damit das Theater weitermachen kann. Dass das TES-Ensemble in anderen Theatern gespielt hat, betrachtet sie als positiv, denn man hat auf diese Weise die Chance, ein neues Publikum kennenzulernen. Im Sommer wurde viel auf der Straße gespielt. Mitgemacht hat das TES auch beim Festival „Bucureştii lui Caragiale“. Dabei wurden traditionelle jiddische Lieder und Witze präsentiert.

Es wurde Herbst. Was nun?

Das Bürgermeisteramt unterstützt das TES, das Sanierungsprojekt ist aber langwierig und besteht aus mehreren Etappen. Ein Entwurf ist schon entstanden, der gebilligt wurde. Die Behörden werden dem TES während der Sanierung einen Raum zur Verfügung stellen. Man weiß nicht, wann die Arbeiten beginnen sollen. Klar war, dass nach der Sommersaison sich alle Theaterensembles für die neue Spielzeit vorbereiten müssen. Im Gebäude des Jüdischen Theaters konnten weiterhin keine Darbietungen stattfinden. Das Gebäude soll in Kürze saniert werden und es wurde gesagt, es hätte also keinen Sinn, das Dach zu reparieren. „Bald kommt der Winter. Was sollte ich dann machen? Wie bereite ich die Aufführungen vor? Wie rechtfertige ich meine Existenz, meine Tätigkeit? Theater spielen, Proben machen, das Publikum heranziehen – das sind die Gründe, weshalb ein Theater existiert“, verteidigt Morgenstern ihre Einstellung. „Ich habe die Entscheidung getroffen, das Dach aus persönlichen Geldern zu reparieren. Jetzt weiß ich nur eines: Es regnet nicht mehr herein. Wir können jetzt unseren Beruf im TES-Gebäude weiter ausüben“, erklärt die Direktorin.

Das Programm nach der Pause wiederaufnehmen

Das Jüdische Theater ist weiterhin aktiv, anwesend bei in- und ausländischen Festivals wie in Karlsburg/Alba Iulia, Miercurea Ciuc, Bukarest, München oder Rom. „Das Theater erregt Aufmerksamkeit, es ist beliebt und hat vielfältige Produktionen“, meint Morgenstern. Es hat die Aufgabe, die Tradition der jiddischen Kultur aufrechtzuerhalten. Alinta Ciucă, Assistentin beim TES, zählt gerne die Nebenaktivitäten des Jüdischen Theaters auf, denn jede von diesen zielt auf dasselbe ab – ein möglichst vielfältiges Publikum heranzuziehen. Da das Theatergebäude nicht genutzt werden konnte, wurden all diese Tätigkeiten mehrere Monate lang unterbrochen. Jetzt stehen wieder interaktive Veranstaltungen über die jüdische Kultur, Lesungen und Darbietungen für gefährdete Gruppen, wie ältere, bedürftige oder behinderte Leute, auf dem Programm.

Dabei kann man die Interaktion mit dem Publikum nicht außer Acht lassen: Das TES arbeitet mit der Föderation der jüdischen Gemeinschaften und mit dem Sozialamt zusammen. Für Senioren hat das Theater ein besonderes Programm: „Wir gingen einmal im Monat in die Altersheime, morgens oder am Wochenende. Da gab es etwas Spezielles auf dem Programm“, erzählt Alinta Ciucă über die Zeiten vor der Vernichtung des Daches beim TES. Bei der ersten Aufführung „Mic şi-al dracu’“ war der Saal nicht groß genug. Zu Ostern gab es ein spezielles Programm für Kinder: Voriges Jahr wurden Kinder aus Kinderheimen eingeladen, dieses Jahr Kinder mit verschiedenen Behinderungen.

Maia Morgenstern arbeitet hingegen ununterbrochen

An einem Film, dessen Titel sie noch nicht verraten will. An einem Projekt, bei dem sie mit Radu Beligan zusammenarbeitet. An einem Theaterstück am Nottara-Theater. Gleichzeitig leitet sie eine traditionsreiche Kulturinstitution in der Hauptstadt. Wie sie das alles schafft? „Ich weiß nicht. Oft bin ich angespannt, ich habe auch Momente, in denen ich verzweifelt bin, aber ich rechne mit einem Team von kompetenten und begabten Menschen, die bereit sind, alles zu überwinden, damit wir unsere Arbeit durchführen.“


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Das Jüdische Staatstheater Bukarest

Es ist eine angesehene Institution in der Hauptstadt, die das kulturelle Angebot in Bukarest bereichert. Durch die Einrichtung wird das wertvolle Kulturerbe der jüdischen Minderheit bewahrt: Die Darbietungen finden vorwiegend auf Jiddisch statt, auch wenn das jiddischsprachige Publikum im Laufe der letzten Jahrzehnte immer kleiner wurde. In den 70er Jahren wurden Kopfhörer für Simultanübersetzung beim TES eingeführt. Im Unterschied zum Anfang des 20. Jahrhunderts, als es in Rumänien mehrere Hunderttausende Juden gab, zeigt eine  Volkszählung aus dem Jahre 2002, dass hierzulande nur noch 6000 Angehörige der jüdischen Minderheit leben. Die zahlreichste jüdische Gemeinschaft befindet sich in der Hauptstadt, 3500 Leute. Nur noch 900 davon sprechen Jiddisch.

Das Jüdische Staatstheater ist das einzige Theater einer Minderheit, das in der Hauptstadt funktioniert. Das Gebäude wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts inmitten eines jüdischen Stadtviertels erbaut. 1948 wurde das Jüdische Staatstheater gegründet, seitdem wurden dem Publikum hier mehr als 200 Premieren vorgestellt. 1956 wurde das Gebäude zum letzten Mal saniert, heute ist die Renovierung unerlässlich. Die Direktorin des Theaters, Maia Morgenstern (52), die Grande Dame des rumänischen Theaters, die auf internationaler Ebene bekannt ist, will die Sanierungsarbeiten vorantreiben.

Erhalten hat sie im Laufe ihrer Karriere verschiedene internationale Preise, darunter einen silbernen Bär bei den Festspielen in Berlin und einen EMMA in Großbritannien. Die realen Probleme des TES, mit denen sie konfrontiert wird, sind aber wahrlich kein Spiel.