Adam Michnik über den Nachwendepräsidenten Ion Iliescu

Temeswar (ADZ) – Im Rahmen eines dieser Tage stattfindenden Literaturfestes in Temeswar hat der bekannte polnische Dissident von vor 1989, Essayist und heutige Chefredakteur der liberalen „Gazeta Wyborcza“, Adam Michnik, über den Werdegang Rumäniens und Polens nach 1989 gesprochen und im rumänischen Fall die positive Rolle des ehemaligen Staatspräsidenten Ion Iliescu unterstrichen. Bei einer Debatte mit dem Bukarester Historiker und Ex-Außenminister Adrian Cioroianu sagte Michnik, der dem Temeswarer Intellektuellenkreis „A Treia Europă“ nahesteht, dass Ion Iliescu Rumänien vor einem Jugoslawien-Szenario bewahrt hätte. Er hätte auch den Weg des serbischen Führers Slobodan Milosevic gehen, eine Allianz mit der Großrumänien-Partei gründen und das Land wegen der magyarischen Minderheit in Siebenbürgen in einen eingefrorenen Konflikt mit Ungarn führen können. Trotz seiner Fehler habe Iliescu letztendlich einen anderen Weg gewählt, den die Historiker entsprechend würdigen werden, so Michnik, der sich vor allem auf die Auseinandersetzungen zwischen Rumänen und Ungarn in Neumarkt/Târgu Mureș im März 1990 sowie auf die Reaktion der frischen Staatsführung unter Iliescu bezog. Er wisse zwar, dass für alle Antikommunisten nur ein toter Kommunist ein guter Kommunist sei, in seinem Alter erkenne er aber, dass die Dinge nicht auf diese vereinfachende Art dargestellt werden können, setzte Michnik fort. 

Zur politischen und gesellschaftlichen Lage in seinem Heimatland äußerte sich Michnik äußerst kritisch. Nicht nur, dass ein Intellektueller grundsätzlich in der Opposition sein müsse und die Regierung zu kritisieren habe, die Lage in Polen gebiete es einfach, Stellung zu beziehen. Unter der PiS-Regierung pflege man einen Antihumanismus, man sei zwar antibolschewistisch eingestellt, doch der Antibolschewismus habe ein bolschewistisches Gesicht, da die regierende Partei und ihre Unterstützer dieselbe Rhetorik wie die Kommunisten von früher benutzen würden. Osteuropäische Völker seien der Ansicht, dass sie nie etwas Schlimmes gemacht hätten und unschuldig seien, und nach diesem Maßstab würde man alle anderen Völker beurteilen. Wer darauf hinweist, dass die Realität eine andere sei, werde als Nestbeschmutzer und Verräter bezeichnet, ihm sei es bereits so ergangen, sagte Michnik. Man müsse deshalb mit größter Vorsicht in die Akten der ehemaligen Geheimdienste schauen, denn diesen könnten auch gegenwärtig viel Unheil anrichten. So sei es zum Beispiel dem ersten polnischen Präsidenten der Nachwendezeit, Lech Walesa, ergangen, den der polnische Geheimdienst erpresst hatte. Damit er freigelassen und zu seiner zu dem Zeitpunkt schwangeren Frau nach Hause konnte, soll Walesa ein Papier unterschrieben haben, aber das soll dann auch seine ganze Zusammenarbeit mit dem kommunistischen Geheimdienst gewesen sein. Man müsse also genau wissen, unter welchen Bedingungen eine sogenannte Mitarbeit mit den Geheimdiensten zustande gekommen sei und die Dinge klar auseinanderhalten, setzte Michnik fort.

Der polnische Dissident, der vor 1989 mehrmals verhaftet wurde und Präsident Walesa beraten hatte, setzt sich für eine Versöhnung mit den ehemaligen Kommunisten Polens ein, wofür er in seinem Heimatland stark kritisiert wird, ehemalige Weggefährten aus der Solidarnosc-Zeit haben sich von ihm abgewendet. Seine Zeitung „Gazeta Wyborcza“ gehört jedoch weiterhin zu den auflagenstärksten in Polen.