Ein Köder für die Dokumentation des Imaginären

Deutsches Kulturzentrum fördert Künstlerin Adina Mocanu

Ruhige Zeit für ein gutes Gespräch auf einer Parkbank am Seeufer in Hermannstadts Astra-Freilichtmuseum: links zeichnend Adina Mocanu und rechts eine ihrer wachen Interview-Partnerinne. Foto: Klaus Philippi

Hermannstadt – „Tihnă“ – das rumänische Wort für ´Muße´, für ´Wohlbehagen´ – steht einladend auf einem Schild am Balken rechts des Eingangs in den überdachten Rastplatz gleich nach dem Eintritt in das Astra-Freilichtmuseum im Jungen Wald/P²durea Dumbrava von Hermannstadt/Sibiu. Einen verlockenden Blickfänger der ganz klar etwas anderen Art jedoch hat es nicht alle Tage anzubieten, das Ambiente des von Windmühlen und einer Bühne für Film, Konzert und Theater flankierten Sees im Nachbarpark des Hermannstädter Zoos. Das aus drei Metern Höhe von einem schlanken Stahlkranz des Durchmessers von 230 Zentimetern herabhängende Stück Tuch zwischen Laubbäumen gegenüber der mit dem Schlagwort „tihn²“ gekennzeichneten Auszeit-Adresse trägt die Handschrift von Adina Mocanu. Hellblau ist es, total transparent und ein auf jeden noch so kleinen Windhauch reagierender Zylinder aus Polyester, der Raum für zwei oder drei gleichzeitig aufrecht stehende Menschen bietet – rein imaginär, wie es sich mit ein wenig modernem Kunstverstand von selbst erklärt. „Lure“ heißt diese optische Installation, die frei nach ihrem englischen Namen das „Ködern“ von Erinnerung und Lebensvorstellung an der Grenze von Realität und Traum stützen soll. Freitag, am 11. November, hat Wahlberlinerin Adina Mocanu hier mit Förderung des Deutschen Kulturzentrums Hermannstadt und des bundesdeutschen Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) ihre performative Ausstellung „Collective Landscapes in Berlin & Sibiu“ eröffnet.

Auch für die Polyester-Konstruktion „Lure“ gilt Mittwoch, der 11. Januar 2023, als Frist der Expo. Das eigentlich Ansprechende der Ideenwelt von Adina Mocanu (Jahrgang 1990) schließlich, einer zweifach diplomierten Alumna der Nationalen Kunstuniversität Bukarest und Ex-Stipendiatin der Französischen Akademie in der Römischen Villa Medici, sind ihre Interviews mit Hermannstädter und Berliner Gesprächspartnern, die sie Anfang November 2022 aufgenommen und landschaftlich zeichnend auf Papierstreifen in Postkartengröße festgehalten hat. Jede Person, die ihr von einem besonders prägenden Bild erzählte – „es muss nicht real sein, es kann auch einen Traum wiedergeben“ –, spricht anonym aus den Interviews ohne jede Hetze, die bis Ausstellungsende in Schleife aus einer Ecke im Pausenhäuschen des Astra-Freilichtmuseums zu hören sind. All die im übertragenen Sinn tiefenscharfen Bilder, die Adina Mocanu dabei entworfen hat, versprechen Kuratorin Iris Ordean und das Deutsche Kulturzentrum Hermannstadt zeitnah um die Jahreswende in einem Album limitierter Auflage publik zu machen. Die Freude daran bleibt bis auf Weiteres ein Privileg der Interviewten, denen Adina Mocanu jeweils zu Gesprächsende die ihnen zustehenden Originale geschenkt hat. Aus dem Lautsprecher der Ausstellung im Freilichtmuseum übrigens klingt es wechselnd Englisch und Rumänisch.

Die Fragen von Adina Mocanu nach gewissen Landschaftszügen und die Antworten, die sie in Berlin wie Hermannstadt erhalten hat, sind zwar zutiefst individuell, aber dennoch im allgemeinen Erinnern zuhause. Die Idee zu „Collective Landscapes“, mit der Adina Mocanu zum ersten Mal 2014 in der Bukarester „Galeria Posibilă“ auf Tuchfühlung gegangen war, bedeutet aktuell vor Jahresende 2022 einen von zwei Teilen des Projekts „Treffpunkt“ am Deutschen Kulturzentrum Hermannstadt, unter dessen Motto auch ein Schneiderei-Workshop für Schülerinnen und Schüler des städtischen Kunstgymnasiums unter Leitung von Mode-Designerin und Ausnahmekönnerin Anamaria [u] stattfindet. Das, was eine Frauenstimme in einem Interview von Adina Mocanu sagt – dass nämlich „dein Atelier dir nichts nützt, wenn Du nicht die gewisse Ruhe hast“ –, gilt bestimmt auch im Metier von Anamaria [u] und ihren Workshop-Teilnehmern. Stoffe, seien sie für Nadel, Schere, Erinnern oder eben Zeichnen geeignet, sind taktil und haben ihren stets eigenen Geruch. Auch die von der Druckerei Print ATU auf Bestellung für die Expo „Collective Landscapes in Berlin & Sibiu“ produzierten Werbe-Postkarten sind alles andere als langweilige Alltagsware. Hinschauen, Hinhören und Hinlangen ist sicher eine gute Wahl.