Ein künstlerisches Hoch auf das Träumen

Deutsch-koreanische Zeitlupe im Kunsthaus 7B endet am 12. Juni

Kurator Thomas Emmerling (r.) zeigte Michelsberger Liviu Ovidiu Hurja (l.) anhand des Porträts „Hwarang“, warum er Tatjana Lee in das Kunsthaus 7B eingeladen hat.

Das vielleicht spannendste Exponat der Ausstellung „Traumweber“ von Tatjana Lee (r.) ist eine transparente Käseglocke aus Glas mit dem Titel „Transzendenz“. Fotos: Klaus Philippi

Michelsberg – „Die Kinder haben dieses Phantasievolle noch“, sagt Medizinerin und Künstlerin Tatjana Lee (Jahrgang 1972) aus der oberbayrischen Kreisstadt Pfaffenhofen. Weil sie Mutter dreier um die 20 Jahre alter Töchter ist, liegen im kleinen Vorzimmer des Kunsthauses 7B in Michelsberg/Cisnădioara zwei Exemplare von Heft Nr. 143 des Mannheimer Kunstmagazins „ARTPROFIL“ zum Schmökern auf, das im Juni 2021 veröffentlicht wurde und auf dem Cover eine Zeichnung von Tigerenten-Schöpfer Janosch präsentiert. Der oberschlesische Schöpfer der deutschen Kinderbuch-Kultfigur hat letztes Jahr schließlich seinen neunzigsten Geburtstag gefeiert. Ohne ihn und seine über 150 Bücher wäre die Welt merklich ärmer. Tatjana Lee, in München als Kind einer koreanischen Mutter und eines deutschen Vaters geboren und sechs Jahre älter als die gelb-schwarze Tigerente, kommt wie selbstverständlich auch im Heft Nr. 143 von „ARTPROFIL“ vor. Redaktionsmitglied und Kritiker Elmar Zorn hat darin einen Artikel über sie und ihr künstlerisches Ich geschrieben: „Identitätssuche, Magie und Mysterium während Pandemiezeiten.“

Im Kunsthaus 7B laufen die Fäden nicht zufällig in Spitzenqualität zusammen. Kurator Elmar Zorn musste zwar auf die Anreise nach Michelsberg zur Vernissage der Expo „Traumweber“ von Tatjana Lee verzichten, war aber noch im Sommer 2021 als genau Bescheid wissender Gast am Tag der Eröffnung von Gabriela von Habsburgs Ausstellung im illustren Dorf bei Hermannstadt/Sibiu zu erleben gewesen. Tatjana Lee selbst genießt ihre Einzelausstellung schlicht wie ein Heimspiel. Es gewinnt junge und alte Besucheraugen leicht für sich. In den „relativ abstrakt gehaltenen Bildern“, denen sie eine gewisse surrealistische Note einräumt, sind „kleine Anhaltspunkte und Szenen enthalten, die ich nicht intentional gezeichnet habe. Die Imagination fängt an, einem eigene Bilder zu zeigen“, erklärte die deutsch-koreanische Künstlerin aus Bayern Sonntag, am 1. Mai, im Kunsthaus 7B.

Tatjana Lee war 2021 der Einladung zum Gartenfest mit Gabriela von Habsburg in Michelsberg gefolgt und auf der Stelle von Land und Leuten begeistert. Ihrer Vernissage jüngst am Maifeiertag ging seither beinahe ein gesamtes Jahr Vorarbeit voraus. Im Kontakt mit Kunsthaus-Kurator und Nürnberger Thomas Emmerling, der dazu einlädt, „in eine andere Realität hineinzuspringen!“, ging der Plan gemäß Wunsch in Erfüllung. Fotograf Daniel Munteanu, Aquarell-Zeichner Liviu Ovidiu Hurja und Malerin Claudia Weindorf, deren Exponate eben noch Wochen zuvor den allerersten Frühlings-Salon Michelsberger Künstler eröffnet hatten, zeigten durch ihre Präsenz und Neugierde an, dass der Nachbarort von Heltau/Cisnădie nicht nur anzieht, sondern auch ausstrahlt. Es habe sie „total überrascht, dieses eigene Klischee von Transsylvanien und Rumänien anders erfahrbar zu erleben“, bemerkte Tatjana Lee. Auch in Michelsberg verweist sie gerne auf ihren Stil, „möglichst viel dem Betrachter zu überlassen“.

Mit dem Pinsel in der Hand spekuliert die diplomierte Ärztin ganz besonders auf die Elektroenzephalogramm-Wellen (EEG), die sich bei Erwachsenen nur im Träumen, bei Kindern dagegen auch und vor allem im Wachzustand nachweisen lassen – der Trick, der ihre tatsächlich traumhaft schönen Bilder in der Tiefe verstehbar macht. Dass immer eine kleine und eine große Figur der jeweils selben Art dicht an dicht stehen, bedeutet bei Tatjana Lee „die Sehnsucht nach der Kindheit“. Ihr Spiel mit dem „Zustand zwischen Träumen und Wach-Sein“ möchte Betrachter „an das Selbstbewusstsein und das entspannte Gefühl naiver Unschuld“ längst vergangener Tage des eigenen Lebens erinnern. „Fähigkeiten, die wir mit zunehmendem Alter einbüßen.“

Kunsthausgästen, die Lust auf viel mehr verspüren oder denen das Hinschauen mit viel Zeit und nach alter Schule nicht reicht, können die QR-Codes der Ausstellung scannen und mit einem Instagram-Account in die unvermuteten Kulissen der Bilder schauen. Tatjana Lee macht sich den technischen Fortschritt des 21. Jahrhunderts künstlerisch zunutze.