Gedenken an Colectiv

Warum Menschen gerade jetzt ein Zeichen für die Verstorbenen setzen

6. Jahrestag der Brandkatastrophe im Club „Colectiv“: Vor dem Bukarester Justizpalast haben am Samstag 65 mit Leintüchern abgedeckt liegende Demonstranten mit den Porträts der 65 Opfer stumm beklagt, dass die Schuldigen bis heute nicht verurteilt sind. Am Freitag davor versammelten sich die Mitglieder der Zivilgemeinschaft „Declic“ auf der Piața Victoriei (oben), um in einer Petition die Meldepflicht für nosokomiale Infektionen zu fordern. Foto: Lisbeth Schröder

Bukarest - Während ein paar ältere Leute in den Supermarkt stapfen und zahlreiche Autos um den Platz fahren, wird es plötzlich hektisch: Etwa 20 Menschen rennen in der Mitte der Piața Victoriei umher, stellen Grabkerzen auf, zwei Frauen breiten ein „O“ aus gelber Folie aus. Ein Mann malt eine Markierung auf den Boden, ein anderer fährt ihm fast mit dem Rollstuhl über die Hände, Kerzen fallen herunter. Doch etwa 20 Minuten später ist die Botschaft erkennbar - durch 500 Kerzen und Buchstaben aus gelber Folie ist sie nur von oben sichtbar: „Wir gedenken den Menschen, die an nosokomialen Infektionen gestorben sind.“ Infektionen also, die man erst durch einen Aufenthalt im Krankhaus bekommt. 

Die Krankenhäuser, so scheint es, sind nur gerade durch ein anderes Problem komplett überlastet. Über 400 Menschen sterben täglich offiziell an Covid-19. Warum war es den Leuten auf der Piața Victoriei so wichtig, ausgerechnet am vergangenen Freitag ein Zeichen für die Verstorbenen der nosokomialen Infektionen zu setzen? 

Zunächst soll es eine Botschaft an die Politiker sein, erklärt Andu]a Karetsou, Leiterin der Aktion und Mitglied der Organisation Declic: „Vor allem an jene, die vergessen haben, was sechs Jahre zuvor geschah.“ Am Samstag jährte sich die Brandkatastrophe von Colectiv: Hunderte Menschen versuchten aus dem Nachtclub zu flüchten, 65 kamen ums Leben. Die medizinischen Ursachen: Brandwunden, aber auch verdünnte Desinfektionsmittel und somit nosokomiale Infektionen führten zu dem Tod der überwiegend jungen Menschen.
Als es langsam dunkel wird, kommt die Gruppe auf der Pia]a Victoriei zur Ruhe. Sie stellen sich in eine Reihe auf, fast jeder von ihnen hält eine Kerze in der Hand, viele schweigen. In der Mitte tragen ein paar von ihnen ein Banner: „Wir sterben jeden Tag an Krankenhausinfektionen. Hört auf, sie zu verstecken.”

Kaum eine Person vor Ort kennt jemanden persönlich, der bei dem Brand von Colectiv ums Leben kam. Vielmehr erzählen sie von Angehörigen, die an nosokomialen Infektionen litten. 
„Es kann nicht sein, dass man mit einer Krankheit ins Krankenhaus rein, und mit einer anderen wieder he-rauskommt“, sagt eine ältere Frau in der Reihe. Ihre Mutter hätte eine Infektion erlitten, als sie im Krankenhaus gegen Krebs behandelt wurde. So hätte sie starke Schmerzen beim Wasserlassen gehabt. Eine etwa 30-jährige Frau am anderen Ende der Reihe erklärt, dass sie mittlerweile Angst hätte, ins Krankenhaus zu gehen. 

Um das Problem anzugehen, fordert die Organisation Declic, die die Aktion veranstaltete, deswegen zu-nächst eines: Dass die Regierung ein „transparentes System“ schafft, um solche Infektionen zu melden. Auch in einem Bericht des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten von 2018 heißt es, dass valide Daten zu solchen Infektionen in Rumänien fehlen. Noch im selben Jahr beschloss die damalige Gesundheitsministerin zwar, durch ein interministerielles Komitee Lösungen zu finden, seitdem könnte sich das Problem durch die Corona-Pandemie jedoch verschlimmert haben. Andere Länder wie Deutschland verzeichnen einen Anstieg von nosokomialen Infektionen. Die Überlastung von Krankenhäusern begünstigt, dass das Personal weniger auf hygienische Richtlinien achten kann. 

Die Leiterin der Aktion Karetsou sieht deswegen in dem Gedenken an Colectiv ein Warnzeichen für die derzeitige Situation: „Heute erleben wir eine neue Tragödie“, erzählt sie: „Jeden Tag sterben durch Covid so viele Menschen wie durch zwei Flugzeugabstürze.“ Manche davon vermutlich auch durch Keime, die sie sich im Krankenhaus eingefangen haben.