„Heiterster aller Philosophen“ ist erster Gast der Europäischen Kulturhauptstadt

Sloterdijk spricht über Europa, debattiert über Fotografie und Film und bekommt Ehrendoktorwürde

Temeswar – „Ideen, die die Welt verändern“ betitelt der angesehene Philosoph, Kulturwissenschaftler und Publizist Peter Sloterdijk den Vortrag, den er am Samstag, den 18. Februar, ab 16 Uhr, in der Aula Magna der Temeswarer West-Universität halten wird. Am Sonntag, den 19. Februar, führt der deutsche Gast ab 18 Uhr einen offenen Dialog mit dem aus Temeswar stammenden Regisseur und Drehbuchautor Andrei Ujică. Veranstaltungsort ist dieselbe Aula Magna der West-Universität. Sloterdijk, der zwischen 1992 und 2017 an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe gelehrt hat und zwischen 2001 und 2015 auch Rektor dieser Einrichtung gewesen ist, wird gleichzeitig die Ehrendoktorwürde der Temeswarer West-Universität verliehen.

Peter Sloterdijk ist der erste ausländische Gast von internationalem Standing, der die Europäische Kulturhauptstadt Temeswar besucht. Am selben Wochenende finden die Eröffnungsfeierlichkeiten des Kulturhauptstadt-Jahres statt; der Besuch Sloterdijks ist für die

Temeswarer Kulturszene und das akademische Milieu von großer Bedeutung. In seinem Vortrag wird Sloterdijk auf die Stellung Europas in der Welt im Kontext des Ukraine-Kriegs und der zahlreichen anderen Krisen eingehen, die im vergangenen Jahrzehnt den Kontinent heimgesucht haben, und sich dabei auf seinen 2002 veröffentlichten Essay „Falls Europa erwacht. Gedanken zum Programm einer Weltmacht am Ende des Zeitalters ihrer politischen Absence“ beziehen. Es gäbe laut den Veranstaltern, dem Projekte-Zentrum der Stadt Temeswar und der West-Universität, keinen besseren Anlass und keinen besseren Ort, über dieses Thema öffentlich nachzudenken, als die Kulturhauptstadt Temeswar und die Eröffnungsveranstaltungen des Kulturhauptstadt-Jahres.  

Der Dialog mit Andrei Ujică soll unter dem Titel des dritten Kapitels aus Sloterdijks jüngster Veröffentlichung, „Wer noch kein Grau gedacht hat. Eine Farbenlehre“ (Suhrkamp, 2022), stattfinden: „Vom alten Leiden des Lichts beim Abstieg ins Dunkel und seinen neueren Großtaten auf Salz und Silber“. Dabei wird es um die Erfindung von Fotografie und Film im 19. Jahrhundert und ihre symbolische Bedeutung gehen. Sloterdijk und Ujică führen in Temeswar ihre 2001 in Karlsruhe begonnene Dialog-Reihe fort, die die beiden in den vergangenen zwei Jahrzehnten nach New York, Berlin, Straßburg, Rotterdam, Locarno und Mailand geführt hat.

Der 1947 in Karlsruhe geborene Sloterdijk, der gegenwärtig in Berlin und in Südfrankreich lebt, hat mit seinen Beiträgen und Büchern in Deutschland zahlreiche Debatten ausgelöst. Nach dem Studium der Philosophie, Geschichte und Germanistik in München und Hamburg war Sloterdijk von 1980 bis 1991 freier Schriftsteller. Wie bereits erwähnt, hatte er von 1992 bis 2017 den Lehrstuhl für Philosophie und Ästhetik an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe inne. Zudem wurde Sloterdijk 1993 Leiter des Instituts für Kulturphilosophie an der Wiener Akademie der bildenden Künste, bis er 2001 eine Vertragsprofessur am Ordinariat für Kulturphilosophie und Medientheorie in Wien übernahm. Daneben war er Gastdozent am Bard College in New York, am „Collčge International de Philosophie“ in Paris, am Kolleg Friedrich Nietzsche der Klassik Stiftung Weimar und an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Von 2002 bis 2012 moderierte er zusammen mit Rüdiger Safranski die Gesprächsrunde „Das Philosophische Quartett“ im ZDF. Der Romanist Hans Ulrich Gumbrecht nannte Sloterdijk in einer kritischen Würdigung von dessen Denken und Leben den „heitersten aller Philosophen“, für den Schriftsteller Daniel Kehlmann ist er „einer der wichtigsten Denker unserer Zeit“. 

In seinen Schriften hat Sloterdijk eine „populärphilosophische Anthropologie“ vorgelegt. Sein erster großer Erfolg gelang ihm 1983 mit der „Kritik der zynischen Vernunft“, ein Werk,  das zu den meistverkauften philosophischen Büchern des 20. Jahrhunderts zählt. 1999 erregten „Die Regeln für den Menschenpark“ eine heftige öffentliche Debatte. In den Jahren vor der Jahrtausendwende entstand Sloterdijks „Opus magnum“, die Sphären-Trilogie (1998/1999). Sein kulturkritisch-essayistisches Denken hat seinen Ursprung in der Frankfurter Schule, von der er sich später jedoch abgrenzte. Als öffentlichter Intelektueller trug er zu wichtigen gesellschaftlichen Debatten in Deutschland und Europa bei, so zum Beispiel äußerte er sich wiederholt zu Fragen der Religion, der Wirtschafts- und Steuerpolitik, der Staatsschuldenkrise, der Gegenwart und Zukunft Europas, der Flüchtlingskrise von 2015, des Feminismus und der Fragen der Identität. Peter Sloterdijk wurde in Deutschland und im Ausland mit zahlreichen Preisen geehrt, zuletzt mit dem Europapreis für politische Kultur der Schweizer Ringier-Stiftung (2021). Seine Bücher veröffentlichte der Suhrkamp-Verlag; Mitte März soll ebenfalls dort Sloterdijks Essay „Die Reue des Prometheus. Von der Gabe des Feuers zur globalen Brandstiftung“ erscheinen, ein Plädoyer für einen „neuen, energetischen Pazifismus“.