Musik und Welt geschichtlich untrennbar miteinander verbunden

Die Siebenbürgen-Tournee des Neuen Zürcher Kammerchores hat es bestätigt

Den Text für sein Stück „Wie liegt die Stadt so wüst“ hat Rudolf Mauersberger in den Klageliedern Jeremias entdeckt und vertont. Obwohl er eigentlich Jerusalems Zerstörung in vorchristlicher Zeit gilt, fand Mauersberger ihn 1945 nach dem Feuersturm auf Dresden ganz besonders treffend. Die hölzerne Liedertafel ohne Ziffern und die im Prospekt der Stolzenburger Orgel wegen Diebstahl vor drei Jahren fehlenden Pfeifen mussten für die Aufführung des Klagens von Rudolf Mauersberger durch den Neuen Zürcher Kammerchor und Beat Schäfer in Hermannstadt nicht erst noch ergänzt werden. Im Gegenteil, sie passten genau richtig dazu. Foto: Klaus Philippi

Hermannstadt – Nicht alle Tage fällt die Dichte von Mitgliedern des Hermannstädter Bachchores im Publikum eines Konzerts in der evangelischen Stadtpfarrkirche am Huetplatz/Piața Huet in Hermannstadt/Sibiu so merklich hoch wie Dienstagabend, am 19. Juli, zum Auftritt des Neuen Zürcher Kammerchores unter Leitung von Beat Schäfer aus. Das beruhigend schwebende und 2011 von Norweger Kim André Arnesen komponierte Stück „Even when He is silent“, zwei Tage zuvor von den Gästen aus der Schweiz im Gottesdienst aufgeführt, machte neugierig oder gar süchtig, ihrem beispielhaft homogenen Mischklang eine ganze Stunde lang zu lauschen. „Exil und Heimat“ lautete die Programm-Überschrift des Abends, die den politischen Widrigkeiten der Welt des 20. und 21. Jahrhunderts ästhetisch auf den Grund ging. Hymnen, seien sie vor langer Zeit aus nationaler oder kultureller Überzeugung gesetzt worden, sind eben nichts als Texte und Noten idealer Weltbilder, die es oft mit Wort und Tat zu ehren, pflegen, kritisieren sowie manchmal auch zu verteidigen galt und noch immer gilt. Das As-Dur der „Finlandia“ von Jean Sibelius in der Originalsprache nutzte der Neue Zürcher Kammerchor auch für das Siebenbürgen-Lied von Dichter Maximilian Leopold Moltke und Komponist Johann Lukas Hedwig. Zum ersten Bruch mit dem Idyll, doch ohne jeden Verlust musikalischer Aussagekraft, kam es beim Singen und Hören der zwölf Minuten dauernden „Suite de Lorca“ von Einojuhani Rautavaara, dem gemeinhin berühmtesten Nachfolger von Jean Sibelius. Bereits 1973, also zwei Jahre vor dem Tod von General und Diktator Franciso Franco, hatte er drei Stücke auf Spanisch komponiert und so einer mehr als 30 Jahre langen Zeit von Unfreiheit musikalisch nachempfunden. Die Nachwelt – auch das Publikum des Neuen Zürcher Kammerchores in Hermannstadt, Michelsberg/Cisnădioara, Mediasch, und Kronstadt/Brașov – kann es Rautavaara nur danken.

Dass Beat Schäfer und die mehrheitlich als Laien dazugehörenden Chormitglieder in ihrer schweizerischen Heimat zusätzlich zu der Einstudierung des Notenmaterials auch authentische Beratungen für die Aussprache der im Programm vertretenen fremden Idiome genutzt haben, machte sich selbst im „Székely keserves“ von Zoltán Kodály bestens bezahlt. Und das Englische nutzten sie zum Einen, um mithilfe des Stückes „To the Hands“ von Caroline Shaw (*1980) die harte Abschottungs-Politik des Ex-Präsidenten der USA Donald Trump in die Kritik zu nehmen, und andererseits für den Satz „My soul, there is a country“ von Brite Charles H. H. Parry, der wenige Wochen vor Ende des 1. Weltkrieges verstarb und der göttlichen Behütung im Schützengraben ein chorisches Denkmal auf Papier gewidmet hatte.

Von Siebenbürgen nahmen der Neue Zürcher Kammerchor und Beat Schäfer mit schweizerischen und rumänischen Volksliedern Abschied. Nach einer Stunde Chormusik vom Feinsten hatte sie sich wirklich erübrigt, die Trennlinie zwischen Exil und Heimat. Das Leben verdient es, künstlerisch gesucht, gefunden, besungen, gehört und geteilt zu werden. In ungewissen Zeiten sowieso mehr denn je.