1938: Der Terrornovember der Legionäre (2)

1938 gab es in ganz Rumänien eine Häufung von ideologisch motivierten Hassanschlägen, die vor allem Juden im Visier hatten

Handgranaten und Waffen, wie sie von den Teilnehmern am Anschlag von Temeswar beschlagnahmt wurden | Repro: W. Totok

Sidy Thal auf einem Autogrammfoto

Fortsetzung von ADZ, 26. November 2021

Am 26. November 1938 haben die Terroristen der „Legion des Erzengels Michael”, die Legionäre, auf die Zuschauer einer Aufführung im Saal des „Gemeindetheaters” von Temeswar einen Handgranatenanschlag verübt. An den Folgen des Anschlags verstarben vier Menschen, rund 70 wurden verletzt.

Nicht nur in der Memorialistik der nationalistisch-rechtsextremen rumänischen Legionärsbewegung, sondern auch in jener von Sympathisanten, die unter unterschiedlichsten Umständen zur Doktrin der Eisernen Garde konvertiert wurden – auch während Gefängnisaufenthalten – wird behauptet, dass die Gewalttätigkeiten nicht den Anhängern des Ideologen der Legionärsbewegung, Corneliu Zelea-Codreanu, zugeschrieben werden können, der zu Beginn des Jahres 1938 verhaftet worden war. Manche der Memoirenschreiber versuchen, die Idee durchzusetzen, dass die Verantwortung ausschließlich Horia Sima zufalle, dem Nachfolger Zelea-Codreanus an der Führung der Eisernen Garde. In Wirklichkeit war der Geist der Gewalt und die Lust an der Rache, die Politik der Drohungen und der physischen Ausschaltung derjenigen, die man für seine Feinde hielt, für Gegner oder Verräter, von aller Anfang an die Dominante, welche die der Legionärsbewegung Beigetretenen und ihre Sympathisanten zu Taten animierte, bei denen brutale Gewalt, rohe Methoden aggressiven Drucks und der physischen und geistigen Vergewaltigung zum Einsatz kamen – also Methoden, die auch keinesfalls Mord, hinterhältigen und vorsätzlichen Totschlag ausschlossen.

Viele der Legionäre sind auch während ihrer Gefängnisaufenthalte keinen Deut von ihren tief verinnerlichten Reflexen abgerückt und haben unaufhörlich versucht, ihre von Toleranzlosigkeit geprägten Meinungen gewaltsam durchzusetzen und anderen aufzuzwingen, indem sie zur Einschüchterung schritten und zur Aggression gegenüber ihren Gegnern oder gegenüber denjenigen aus den eigenen Reihen, von denen man meinte, dass sie abgerückt waren von den doktrinären und politischen Vorgaben der Eisernen Garde. Nichifor Crainic beispielsweise war Zeuge und Opfer solcher „Bestrafungsaktionen” während Gefängnisaufenthalten. Er selber wurde zum Opfer solcher Aggressionen, nachdem er es gewagt hatte, den ehemaligen Präfekten der Hauptstadt, einen Legionär, einen „Gauner”/„un escroc” zu nennen, nachdem bekannt wurde, dass der Präfekt persönlich verwickelt war in den Mord an 60 Gefängnisinsassen im November 1940, den ein Kommando der Eisernen Garde verübt hatte. Ein „wütender und zornentbrannter Legionär stürzte sich auf mich, grobe Flüche austoßend, indem er schrie,  dass er mir nicht erlaube, solcherweise von einem Spitzenvertreter der Legionärsbewegung zu reden, der für seinen politischen Glauben mit dem Leben bezahlt habe. `Und selbst wenn er ein Gauner gewesen sein sollte`,unterstrich der Legionär Gheorghe Dima, `so wurde er durch sein Opfer für die Bewegung reingewaschen`”. Im Weiteren schreibt Crainic, dass er der Wut des Legionärs entgangen sei, „der im Stande gewesen wäre, mich zu zerfetzen”, weil ein anderer Zelleninsasse dazwischengetreten sei. Binnen der drei Monate, die Nichifor Crainic mit demselben Legionär die Gefängniszelle teilte, gesteht er, „den gemeinsten Erniedrigungen ausgesetzt” gewesen zu sein (nachzulesen in der „Erklärung im Bezug auf die Gewalttätigkeiten unter Legionären”, redigiert von Nichifor Crainic am 15. August 1961 im Gefängnis von Aiud, ACNSAS, D 013484, Bd, 9, Blätter 163-166, hier Blatt 163).

Die Legionäre und der Anschlag von Temeswar

Das Attentat von Temeswar ist ein eindeutiger Beweis dafür, dass dieser keine Angelegenheit von Einzeltätern war, die als „hirnlos” dargestellt wurden. Der kriminelle vorsätzliche Mord passt in die Logik des doktinären Aktionismus der Legionärsbewegung, er war geplant und von Personen durchgeführt worden, welche die Ideen und theoretischen Konzepte eines Zelea-Codreanu, Ion Moța, Vasile Marin und Horia Sima umsetzten.

Im Saal, den sich heute das Temeswarer Ungarische und das Deutsche Staatstheater teilen – damals der „Saal des Gemeindethaters”/„Sala Teatrului Comunal” – sollte am Abend des 26. November 1938 eine Aufführung der damals berühmten bukowinischen Sängerin und Schauspielerin Sidy Thal (manchmal auch „Sidi Tal” geschrieben) steigen. Die zeitgenössischen Medien haben voller Hochpreisungen die Aufführung angekündigt. Sidy Thal, geboren 1912 in Czernowitz/Cernăuți, der Hauptstadt der Bukowina (mit einem starken Anteil jüdischer Bevölkerung), verstarb 1983 in ihrer Geburtsstadt.

Die Temeswarer Vorstellung war ausverkauft. Einige Minuten nach dem Hochziehen des Vorhangs explodierten im Saal zwei Handgranaten. Das Publikum versuchte voller Panik, den Saal zu verlassen.

Ein erstes Radiogramm nach Bukarest, abgeschickt vom Polizeiinspektor Cornel Sava (bereits um 22.25 Uhr), spricht von „einer Bombe”, die „von der Empore ins Parterre geworfen” worden sei und die „20 Personen verletzt” habe. Der Bericht des Gendarmerieinspektorats, der in etwa zur gleichen Zeit nach Bukarest abgeht, enthält bereits mehr Einzelheiten. Geschrieben wird darin von „zwei Bomben”, die „von der Galerie heruntergeworfen” worden seien und die „viele Opfer” gefordert hätten. „Bis im Augenblick sind drei Tote und etwa 30 Verletzte zu beklagen”. Auch wird berichtet, dass „die Autoren noch nicht entdeckt wurden”, aber auch, dass „in der Stadt Ruhe herrscht”. Und: die Untersuchungen seien „im Gange”. Ein anderer Bericht, der im Lauf der folgenden Nacht verfasst wurde, beinhaltet eine erste Namensliste derer, die „in Krankenhäusern und Sanatorien” in Behandlung seien, aber auch den Namen eines der Getöteten. Ebendort steht, dass „30 Personen leichte Verletzungen” davongetragen und dass diese „keine ärztliche Pflege” benötigt hätten. 

Anderntags konnten die Behörden bereits mehr Informationen liefern. Es wird nach Bukarest berichtet, dass das Attentat von einer Person ausgeführt wurde, „die zwei Handgranaten” in den Saal geworfen habe. Das Dokument enthält eine erste vollständigere Bilanz: drei Personen starben, 30 Personen seien schwer, 42 Menschen nur leicht verletzt worden. 

Sofort nach dem Attentat hatten Polizei und der Geheimdienst Siguranța „sämtliche Telefonverbindungen ins In- und Ausland unterbrochen”, alle Zugänge zur Stadt gesperrt, Razzien veranstaltet und Lokale gefilzt. Es wurden mehrere Zeugen des Anschlags identifiziert, der Anschlagsort fotografiert, vor Ort Proben eingesammelt. Die Zensur war angewiesen worden, keinen Artikel über den Anschlag durchgehen zu lassen.

All das erklärt, weshalb man auch heute über den blutigen Terroranschlag von Temeswar vom November 1938 fast nichts weiß. Außer: er hat stattgefunden. Aufgrund der Gerüchte, die in Temeswar im Umlauf waren, gelangte die Auslandspresse in den Besitz einiger Informationen. So konnten „Le temps”, „Völkischer Beobachter”, „Neues Wiener Tagblatt”, „Salzburger Volksblatt” etwas über den Anschlag von Temeswar berichten. Im „Völkischen Beobachter” steht, dass die Zuschauer der Sidy Thal Aufführung aus Juden bestanden, von denen drei starben. „Neues Wiener Tagblatt” berichtet etwa gleichlautend, bringt aber auch weitere Informationen über Attentate mit jüdischen Opfern in anderen Ländern. 

Details über das Temeswarer Attentat, so wie es aus den Archivdokumenten der Polizei und Gendarmerie rekonstruierbar ist, gibt es in unserer nächsten Folge am 3. Dezember.

(Übersetzung und Bearbeitung: Werner Kremm)