1938: Der Terrornovember der Legionäre (Nachtrag)

1938 gab es in ganz Rumänien eine Häufung von ideologisch motivierten Hassanschlägen, die vor allem Juden im Visier hatten

Berichterstattung des „Salzburger Volksblatts“ zum Anschlag

„Höllenmaschine gegen ein jüdisches Theater“ heißt auch es in diesem Zeitungsbericht unter einer Fotografie von Sidy Thal.

In Bukarest gab es eine Denkmal-Stele für den von einem Legionärskommando unter Miti Dumitrescu auf Befehl von Horia Sima ermordeten Ministerpräsidenten Armand Călinescu (4. Juni 1893 – 2. September 1939), an der Stelle der Mordtat. So sah sie aus, als William Totok sie vor einigen Jahren fotografierte. Das Zitat vom ebenfalls von Legionären ermordeten Nicolae Iorga (17. Januar 1871 – 27. November 1940) ist von Neolegionären mit „Miti“ beschmiert, der Erinnerungstext an Armand Călinescu war bereits zerstört. Heute gibt es die kleine Gedenkstele überhaupt nicht mehr… .

1988 veröffentlichte im spanischen Madrid ein gewisser Marin Bărbulescu eine Broschüre, betitelt „Centrul Studențesc Legionar Timișoara. Mărturii pentru istorie“/„Das studentische Legionärszentrum Temeswar. Historische Zeugenaussagen“. Der frühere Legionärsführer und Führer der exilierten Legionäre, Horia Sima, schreib dazu ein Vorwort („Ein Überlebender der Verfolgungen“), in dem er eine vor Ehrerbietung und Komplimenten strotzende Lobrede über den Beitrag der Studenten des Temeswarer Polytechnikums zur Verbreitung des Legionarismus im Banat veröffentlichte, „das zu einer der mächtigsten Regionen der Legionärsbewegung Rumäniens wurde“.
Sowohl Horia Sima als auch der Autor „vergessen“, irgendeinen Bezug zu den Attentaten, den Gewalttätigkeiten und Brandstiftungen zu machen, die geplant und/oder koordiniert von den Banater Mitgliedern der Eisernen Garde, dem „Cuib“ (Horst) im Temeswarer Polytechnikum, im Herbst des Jahres 1938 ausgeführt wurden. Mehr noch: Die Broschüre erschien zum 50. Jahrestag des blutigen Attentats vom 26. November 1938 im Aufführungssaal des heutigen Deutschen und Ungarischen Staatstheaters. Und um noch eines draufzusetzen: Die Namen einiger der Rädelsführer des tödlichen Anschlags auf die einer Aufführung in jiddischer Sprache beiwohnenden Juden von Temeswar erscheinen in dieser von Horia Sima abgesegneten Broschüre des Marin Bărbulescu auf einer Ehrenliste.


Wie bereits erwähnt, hat die damalige Presse kaum über diesen Mordanschlag berichtet. Die Zensur hatte strikte Vertuschungsanweisungen, und sie hat ihre Schuldigkeit gründlich getan. In den von uns ausgewählten Ausschnitten aus der Auslandspresse jener Zeit ist ein Querschnitt der Nachrichten über den Mordanschlag von Temeswar zusammengefasst. Der faschistische „Völkische Beobachter“ und einige Publikationen des annektierten Österreich (hier „Salzburger Volksblatt“) berichteten, was sie trotz faktischer Nachrichten- und Kommunikationssperre erfahren konnten. Grundsätzlich wird gemeldet, dass in der Folge des Handgranatenanschlags zu Beginn der Aufführung der Sängerin und Entertainerin Sidy/Sidi Thal/Tal (alle Schreibweise sind gebräuchlich) drei Menschen starben (heute wissen wir: vier), und dass zahlreiche Zuschauer (heute wissen wir: mehr als 70) verletzt wurden. Sidy Thal unterbrach daraufhin – unverletzt – ihre Aufführung und die Tournee und fuhr mit ihrer Truppe nach Bukarest.

Das Leben der Sidy Thal

Sidy Thal – eigentlich Sorel Birkenthal – war die Tochter des Bäckermeisters Leo Birkenthal und wurde 1912 in Czernowitz/Cernăuți/Tscherniwzi (heute um die 260.000 Einwohner) geboren. Sie debütierte 14-jährig in einer Varietévorstellung in einem der Theater ihrer Geburtsstadt. Als Sängerin und Schauspielerin war sie an zahllosen Aufführungen beteiligt. In den 1930er Jahren war sie, 18-jährig, bereits eine populäre Schauspielerin und Sängerin und in ganz Großrumänien bekannt. Sie trat in diversen Rollen auf, vor allem in Bukarest und in Jassy/Iași. 1940 zog sie nach Kischinau/Chișinău und arbeitete am dortigen jüdischen Theater. Während des zweiten Weltkriegs flüchtete sie nach Usbekistan und lebte in Taschkent, um nach Kriegsende zurückzukehren in ihre Geburtsstadt, wo sie fortan lebte und wirkte. Sie wurde Mitglied des Philharmonischen Ensembles von Czernowitz und mit ihm in den darauffolgenden Jahren in der gesamten Sowjetunion bekannt. Als Schauspielerin wirkte sie in Theaterstücken mit, die in jiddischer Sprache aufgeführt wurden. Sie war mit Pinkus Falik (1909-1985) verheiratet, der auch ihr Impressario wurde und für sie Tourneen organisierte. Sidy Thal und Pinkus Falik entdeckten und förderten viele junge Talente, die mit ihrer Unterstützung Karrieren im schauspielerischen und künstlerischen Bereich hinlegten. Die bekannteste dürfte Sofia Rotaru (geb. 1947) sein, die sowohl in Moldawien und Rumänien als auch in Deutschland populär war. Sidy Thal starb 1983 in Czernowitz, wo ihr zu Ehren auf dem Vorplatz des Theaters ein Stern ins Pflaster eingelassen wurde. Auf dem Gebäude des Philharmonischen Ensembles wird an sie mittels einer Ehrenplakette erinnert. All das ist nachzulesen in der Digitalen Topografie der multikulturellen Bukowina.

Wenig bekannt über Ferdinand Ghedeon

Der blutige Terroranschlag vom 26. November 1938 in Temeswar hat vier Tote und mehr als 70 Verletzte gefordert. Die Attentäter sind identifiziert worden. Ferdinand Ghedeon, der Werfer der beiden defensiven Handgranaten polnischer Produktion, ein Deutscher aus Ferdinandsberg, der zur Orthodoxie übergetreten war, um der Legion des Erzengels Michael beizutreten – also der Eisernen Garde – war 32 Jahre alt, verheiratet, hatte ein Kind. Gearbeitet hat er in den Eisenbahnwerkstätten der Temeswarer Josephstadt. Er gehört zu denjenigen, die in der obenerwähnten Broschüre gewürdigt werden.

Wir konnten bei unseren jüngsten Recherchen unter den Dokumenten, die im Bukarester CNSAS-Archiv aufbewahrt werden, bisher keines ausfindig machen, das Auskunft gibt zum Schicksal der Temeswarer Attentäter. Aus einigen Quellen ist bekannt, dass ein Teil der Organisatoren des Theateranschlags von Temeswar in der Nacht von 13. zum 14. Februar 1939 in Huedin unter dem Vorwand des Fluchtversuchs hingerichtet wurden. Das Schicksal des Handgranatenwerfers bleibt uns aber bis heute ein Geheimnis.

Rekonstruktion des Attentats

Hingegen kann der Hergang des Terroranschlags von Temeswar aufgrund eines jüngst von uns entdeckten maschinengeschriebenen Untersuchungsberichts der Gendarmerie vom 14. Januar 1939 ziemlich genau rekonstruiert werden. Wir bringen im Weiteren Fragmente daraus:
„(…) aufgrund der kontinuierlichen und ununterbrochenen Untersuchungen des Attentats vom Gemeindetheater, die seit dem 26. November andauern und die wir zusammen mit der Militär- und Bürgerlichen Staatsanwaltschaft durchführen, ist es uns gelungen (…), die Urheber der Tat zu identifizieren: Der faktische Täter, der die beiden Handgranaten im Theater geworfen hat, ist Ghedeon Ferdinand, Schlosser im CFR-Depot Temeswar (…). Komplizen und moralische Täter sind der Student des dritten Jahrgangs Mechanik, Fleschin Petru, Stănescu Petru, Student im Jg. III Bergbau, beide vom Polytechnikum Temeswar, und Popa Ion, ehemals Schlosser in den CFR-Werkstätten, von wo er wegen einer sechsmonatigen Haftstrafe entlassen wurde (…). Von uns verhaftet wurden Ghedeon Ferdinand und Stănescu Petru, Fleschin Petru befindet sich in Haft bei der Generaldirektion der Polizei, wo wir intervenierten, ihn uns auszuliefern. (…) Popa Ioan war an der bekannten Adresse in Julița/Arad nicht auffindbar und ist zur Verfolgung ausgeschrieben.(…) 

Eine Woche vor dem Attentat teilte der Chef der Legionäre unter den Temeswarer Studenten, Fleschin Petru, einem Mitglied seines Horstes, Stănescu Petru, mit, dass es nötig wäre, gegen Juden ein Attentat durchzuführen, um sie abzuschrecken und die Migration jüdischer Flüchtlinge ins Land zu stoppen. (…) Alles, was sie in diesem Sinn tun werden, gelte als Eigeninitiative, was auch zu deklarieren wäre, wenn ein Attentäter geschnappt wird. (…) Der geeignetste Augenblick für ein solches Attentat wäre das Gastspiel der jüdischen Theatergruppe ‚Sidy Thal‘ in Temeswar. (…) geeignet für die Durchführung wäre Popa Ioan, den man auch dazu für fähig halte und der auch noch arbeitslos sei. (…) Am Abend des 22. November traf Stănescu Popa und vermittelte eine Begegnung mit Fleschin für den nächsten Tag 18 Uhr im Dózsa-Park (…) Popa wurde beauftragt, sich einen Mittäter zu suchen. (…) Fleschin besorgte die Handgranaten und die Theaterkarten, Balkonplätze, die von Stănescu weitergegeben wurden. (…) Am 25. 11. meldet Popa den Studenten, dass der Mitattentäter Ghedeon Ferdinand sei. (…) Fleschin stattete beide Attentäter am 26. November in seiner Wohnung in der Remus-Straße Nr.3 mit je zwei polnischen Defensivhandgranaten aus, die die Größe von Gänseeiern haben und in Hosentaschen passen. (…) Popa teilte mit, dass er nicht ins Theater gehen werde, weil er Angst habe, erkannt zu werden. (…) Ghedeon entschied, das Attentat allein auszuführen. (…) Er wolle die Legionskameraden Moța und Marin rächen, die, die in Gefängnissen darben, und auch die Juden gründlich erschrecken. (…) Sein Vorbild sei das Attentat des Juden Grünspan gegen Rath in Paris, und auch das wolle er rächen. (Im Folgenden wird im Sekundentakt beschrieben, was Ghedeon im Theater alles machte, einschließlich ein Gang aufs Klosett, dann:) Nachdem er die Sicherungsnägel aus den Handgranaten gezogen hatte, nahm er je eine in die Hand und warf sie sitzend ins Parterre. (…) Als alle nach der Explosion den Saal verließen, stieg auch er die Haupttreppe (…) hinab und ging auf die Straße. (…) (Dann) ging er nochmal ins Theater und holte seinen Mantel von der Garderobe ab. (…) Dann ging er noch zu einem Boxmatch im Saal des Forum-Kinos, danach nach Hause. (…) Am nächsten Tag erzählte er Popa den Hergang seines Attentats, was Popa dann Stănescu und dieser weiter an Fleschin Petru berichtete. (…) Aus unseren Untersuchungen geht weiter hervor, dass das Attentat auf die Synagoge von Reschitza ebenfalls vom Studenten Fleschin Petru vorbereitet worden war.“

Auch dieser Bericht erschien zuerst auf Radio France International (RFI). Bearbeitung und Übersetzung: Werner Kremm

Zusammenhängende Berichte:
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