2017: wirtschaftlicher Höhenflug, doch politischer und gesellschaftlicher Wirrwarr

Rumäniens Langzeitstrategie des Durchwurstelns hat sich auch in diesem Jahr bewährt

Hunderttausende Bürger gingen Anfang des Jahres auf die Straße und konnten somit die fragwürdige Dringlichkeitsverordnung Nr. 13 stoppen. Nach mehreren Tagen landesweiter Proteste nahm die Regierung das Gesetz zurück.
Archivfoto: Agerpres

Hunderttausende Bürger gingen Anfang des Jahres auf die Straße und konnten somit die fragwürdige Dringlichkeitsverordnung Nr. 13 stoppen. Nach mehreren Tagen landesweiter Proteste nahm die Regierung das Gesetz zurück.
Archivfoto: Agerpres

Sie werden, wie schon immer, das neue Jahr ausgelassen feiern, ob in Restaurants, in Clubs, zu Hause oder bei Freunden, die Silvesternacht bietet den Rumänen, genauso wie den benachbarten Völkern Südosteuropas, Anlass zum ausgiebigen Feiern. Bereits zu Weihnachten drohten die Esstische in Rumäniens Wohnzimmern unter der Last der vielen Speisen zu brechen, nun sind die Vorbereitungen für die Silvesterparty im vollen Gange. Die Korken werden selbstverständlich knallen und manch einer wird sich zu Mitternacht bestimmt denken, dass seine Familie, er selbst, die Freunde und Bekannten, vielleicht sogar das ganze Land, es noch nie so gut hatten wie jetzt. Ein Tropfen Ehrlichkeit vorausgesetzt.

Denn zieht man die Bilanz des sich bald zu Ende neigenden Jahres, müsste man feststellen: Obwohl echte politische, gesellschaftliche und ökonomische Probleme an der Tagesordnung geblieben sind, obzwar an jeder Ecke gejammert wird und die Rumänen schon längst den Meistertitel im Selbstmitleid für sich beanspruchen – einer für hiesige Verhältnisse breiten Schicht geht es unterm Strich gut. Im Augenblick zumin-dest. Wer allein den Augenblick betrachtet, wer sich nur auf die kurze Frist konzentriert, wie die Rumänen es eben auch gewöhnt sind, der wird denken, Rumänien ist ein dynamisches, wachstumsstarkes Land.
Das Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre, größtenteils die Folge einer vorteilhaften internationalen Entwicklung, trägt eindeutig Früchte und das Volk kann das tun, was es am liebsten tut: Es konsumiert. Auf gut Glück. Jetzt, sofort, ohne Rücksicht auf die Zukunft. Vor 28 Jahren waren die Speisekammern leer und über dieses Trauma scheint der Durchschnittsbürger nicht mehr hinwegzukommen.

Doch zurück zum Politischen: Es gehört wohl zum selbst verschuldeten historischen Unglück der Rumänen, dass sie gerade dann, wenn es ihnen am besten geht oder gehen kann, von Unfähigen, von abenteuerlichen Gestalten, von Hochstaplern regiert werden, die im Nu alles aufs Spiel setzen, von heute auf morgen die qualvoll erreichte politische und wirtschaftliche Stabilität verspielen, um sich sofort aus dem Staub zu machen. Am Ende tragen andere die Schuld, die Nachbarn, die Europäische Union, die Russen, die Amerikaner, die Geschichte selbst. Hauptsache, keiner der unsrigen muss die Verantwortung übernehmen, hierzulande wird man schon wissen, sich fleißig weiter durchzuwursteln.

Und weil das fast schon immer so war, muss es jetzt genauso sein. Seit einem Jahr wird Rumänien von einer Koalition regiert, die Fehler an Fehler anhäuft und den Eindruck erweckt, an nichts anderem interessiert zu sein als an der Reform des Justizwesens. Eine Reform, die der Wähler kaum versteht, eine Reform, die in endlosen Debatten in Parlamentsausschüssen zerredet wird, die sich auf den Fluren der Regierung, des Justizministeriums und der Zentrale der Sozialdemokratischen Partei längst verloren hat und die, wenn sie doch noch umgesetzt wird, Rumänien zweifelsohne auf dieselbe Stufe mit Ländern wie Polen und Ungarn herabsetzt. Eine im wahren Sinne des Wortes funktionierende Demokratie, mit einer echten Gewaltenteilung und einem Rechtsstaat nach westeuropäischem Muster wird es dann definitiv in Rumänien nicht mehr geben. Man wird erwidern können, dass es das alles sowieso nie gegeben hat. Natürlich nicht, aber vor zehn Jahren zum Beispiel war Rumänien, genau-so wie die illiberalen Demokratien Polen oder Ungarn, näher an EU-Standards als es heute ist.

Dass die PSD unter Liviu Dragnea das Ziel einer illiberalen Demokratie nach dem Rezept Viktor Orbáns insgeheim verfolgt, beweist das ganze Jahr 2017. Angefangen mit der Dringlichkeitsverordnung Nr. 13 des glücklosen Premiers Sorin Grindeanu bis hin zu dem im Sommer präsentierten Reformprojekt des Justizministers, das in den letzten Monaten die Öffentlichkeit beschäftigte. Erfreulich bleibt in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die bürgerliche Gesellschaft gegen die fragwürdigen Änderungsvorschläge aufbegehrt und diese nicht mehr einfach hinnimmt. Hunderttausende von Rumänen (wie am Anfang des Jahres) sind auf die Straße gegangen und haben die PSD-ALDE-Koalition unter Druck gesetzt, doch aus der Lektion von Februar hat die Regierungsmehrheit nichts gelernt. Sie betreibt bloß taktische Spielchen: Hat es damals nicht geklappt, könnte es diesmal klappen, schließlich ist Justizminister Toader etwas cleverer als sein grotesker Vorgänger Iordache.

Schade nur, dass man von der rumänischen Zivilgesellschaft zwar vieles verlangen kann, aber sicherlich nicht, dass sie vereint agiert. Man hat es am besten gesehen, als die jetzige Parlamentspartei USR, ein Konstrukt des bürgerlichen Lagers, an ihren inneren Gegensätzen fast unterzugehen schien. Den Parteigründer Nicu{or Dan hat die USR jetzt los, aber dass sie sich auch 2020 und danach behaupten kann, ist äußerst fraglich. Die Chancen auf eine echte Opposition stehen also denkbar schlecht.

Das Jahr 2017 hat erneut bewiesen, dass ein Großteil der Bürger in das politische Establishment überhaupt kein Vertrauen mehr hat, dass die Sehnsucht nach etwas Neuem weiterhin besteht. Die USR konnte dieser Sehnsucht nicht gerecht werden, die alten Parteien, ob an der Regierung (PSD) oder in der Opposition (PNL), kommen dafür gar nicht mehr in Frage. Bleibt also nur der Staatspräsident, der 2017 die Koalition in Schach gehalten hat und dies auch 2018 tun muss.
Die vergangenen zwölf Monate waren also eindeutig geprägt von dem Kampf der Regierung gegen die unabhängige Justiz, ein Kampf vorrangig im Eigeninteresse der Parteispitzen Dragnea und Tăriceanu, aber auch vieler ins Visier der DNA geratenen Hinterbänkler aller Parlamentsparteien. Einige Schlachten sind bereits geführt worden, doch der Kampf ist längst nicht zu Ende, er wird auch 2018 fortgesetzt, das Ergebnis ist offen, viel wird auch von Klaus Johannis abhängen.

Und dann ging es 2017 um den Machtkampf innerhalb der regierenden PSD. Nur selten nach 1989 wurde ein Politiker von seinen eigenen Parteikollegen auf so peinliche Art und Weise geopfert wie der Schwächling Sorin Grindeanu und noch nie hat sich eine gesamte Partei selbst der Lächerlichkeit preisgegeben, wie die PSD unter Liviu Dragnea. Der Misstrauensantrag der Regierungsparteien gegen ihr eigenes Kabinett bleibt eine Polit-Groteske sondergleichen. Der neue Premier, Mihai Tudose, scheint aus einem anderen Holz geschnitzt zu sein, er erweckt zumindest den Eindruck, dass Dragnea ihm nicht so leicht auf der Nase tanzen kann. Wer sich aber die PSD-Riege Dragnea, Tudose, Firea genauer anschaut, wer sich denkt, dass diese Leute über das Schicksal des Landes, zumindest bis 2020, entscheiden werden, wer sich dann auch noch den liberalen Kasperl Ludovic Orban und die Grabenkämpfe der USR anschaut, dem wird schon recht bange.

Denn die schweren Fehler in der Wirtschaftspolitik, vor allem das fiskalpolitische Chaos, das das Kabinett in der zweiten Jahreshälfte angerichtet hat, könnten sich im Kontext einer internationalen Krise noch grausam rächen. Man bedenke: 261 Mal hat die Regierung die ökonomisch relevante Gesetzgebung in diesem Jahr geändert, eine Änderung pro Arbeitstag. Kein Kommentar.

Wenn der ökonomische Absturz alsbald drohen sollte, wird wohl ein mit Leuchtgestalten wie Finanzminister Ionuţ Mişa oder Arbeitsministerin Lia Olguţa Vasilescu besetztes Kabinett zur selben Kiste zurückgreifen wie die Boc-Regierung 2010 und 2011. Das ist eben rumänische Wirtschaftspolitik: Wenn die Wirtschaft ohnehin wächst, werden Maßnahmen beschlossen, die das Wachstum noch stärker beschleunigen, wenn die Rezession da ist, gibt es nur Maßnahmen, die die Krise verschärfen. Man soll sich also nicht wundern, wenn der Autobahnbau nur mühselig voranschreitet, wenn der Umbau staatlicher Großbetriebe (TAROM, CFR, Poşta Română) praktisch aufgegeben wurde, wenn von den zur Verfügung stehenden EU-Fonds für die Jahre 2014 bis 2020 gerade mal zwei Prozent abgeschöpft wurden. Das Land ist quasi unregierbar, es geht nur noch um den Parallelstaat, um die Justiz, um den Magistraturrat, um Richter, Staatsanwälte, die Strafprozessordnung und dergleichen. In der Tat, das Justizwesen ist von herausragender Bedeutung, diese kann nicht genug unterstrichen werden. Kurzum: In diesem Jahr hat sich alles nur noch um die Justiz gedreht, während andere Bereiche fragwürdigen Amateuren überlassen wurden. Zum Beispiel die Bildung.

Aber da ist auch noch die Außenpolitik, eine fast aufgegebene Baustelle. Die ins Gespräch gebrachte Annäherung Rumäniens an die Visegrád-Staaten ist nur ein Hirngespinst, ein Wunsch, dem Orbán und Kaczynski eine Absage erteilen könnten, während er in Westeuropa nur weitere Befremdung hervorruft. Andere Ideen scheinen Rumäniens Diplomaten kaum entwickeln zu können, die rumänische Position im Hinblick auf die Reformvorhaben der Europäischen Union kennt so gut wie keiner. Und bald übernimmt Bukarest den EU-Ratsvorsitz. So wie die Vorbereitungen in diesem Jahr gelaufen sind, kann man nur an ein vorprogrammiertes Desaster denken.

Und trotzdem: Vielen Bürgern geht es gut, auch jenen, die nur wenig verdienen, an staatlichen Hilfen hängen und keiner Arbeit nachgehen wollen, trotz aller Bemühungen der Arbeitgeber, sie aus ihren Subsistenzwirtschaften herauszuholen und sie anzustellen. Und dies gilt auch für all jene, die des Jammerns nicht mehr müde werden, für die Meister des Selbstmitleids, für die, die ständig anderen die Schuld für ihr Unglück in die Schuhe schieben. Denn so reich wie 2017 war Rumänien noch nie in seiner Geschichte, auch wenn es weiterhin in der EU nur ein Schlusslicht ist und bleiben wird.

Der Ausblick ist aber im besten Falle vom verhaltenen Optimismus geprägt, Vorsicht ist geboten. Die rumänische Gesellschaft leidet an einem verfassungsmäßigen Fehlkonstrukt, der Staat bedarf eines weitreichenden Umbaus. Die semipräsidentielle Republik hat ausgedient, das wissen wohl alle, doch niemand traut sich, das Ganze anzupacken. Ein vollwertiges Präsidialsystem könnte die Lösung sein, da die gegenwärtige politische Klasse niemanden von den Vorzügen einer parlamentarischen Republik überzeugen kann.

2018 wird nichts in diesem Sinne geschehen, es gibt andere Prioritäten. Kurzfristige, versteht sich, es zählt allein der Augenblick. Und das gilt für die Regierung genauso wie für das Einkaufswagen schiebende Volk. Bei dem für Rumänien typischen Dauergejammer bewährt sich nur eine einzige Strategie, sie wird also weiterhin eingesetzt: Durchwursteln à la longue.