Architektur als Geschichtsschreibung: Das Hotel Roman in Herkulesbad

Über einen sozialistischen Versuch, die nationale Geschichte durch Architektur neu zu erzählen

Herkulesbad in einer Lithographie von Adolpf Kunike aus dem Jahr 1824 Bild: Archiv „Deutschland und die Welt“

Das Hotel Roman in einer Ansicht von 2012 Foto: WikimediaCommons

Schon die Fahrt nach Herkulesbad/Băile Herculane ist abwechslungsreich: Aus dem verwinkelten Semenic-Gebirge kommend öffnet sich die Landschaft in die typischen breiten Landstreifen des Banater Berglandes, umsäumt von schroffen und felsigen Berghängen. Links und rechts der löchrigen Straße tauchen kleine Dörfer auf, deren bunte Dächer sich in die farbenfrohe Szenerie einschmiegen. Am Straßenrand finden sich immer wieder Bäuerinnen und Bauern, die Obst,
Gemüse und bei Nachfrage auch selbstgebrannten Schnaps anbieten. In Herkulesbad angekommen ist zunächst ein Gebäude augenfällig, welches erst durch das umgebende Gleisbett als Bahnhof zu erkennen ist: Zu untypisch wirkt seine aufwendige spätbarocke Architektur – die typische Fassade im Markstein-Baustil, die prunkvolle Kuppel, von der das Gold abblättert, und das abgenutzte Milchglas des Warteraums, welches mit römischen Säulen geschmückt ist.

Der hintere Teil des Warteraums ist versperrt und wie viele andere Räume mit Sperrholz verbarrikadiert. Das Gebäude zeugt von gleich zwei geschichtlichen Dimensionen: einerseits von der langen Geschichte der Gegend als Thermalstätte seit der römischen Besiedelung, andererseits von den finanziellen Entwicklungsschwierigkeiten in jüngerer Zeit.

Nach dem Bahnhof, der außerhalb gelegen ist, führt die Hauptstraße entlang des Flusses Cerna in die inmitten einer Schlucht gelegene Stadt hinein. Trotz seiner Lage im Banat als verhältnismäßig reichem Teil Rumäniens ist Herkulesbad mit seinen ca. 5000 Einwohnern dennoch auf den Tourismus angewiesen, eine befremdliche Mischung aus Einfamilienhäusern, bescheidenen Blechhütten und riesigen Hotel-Thermal-Komplexen prägen das Stadtbild. Tiefer in der Schlucht finden sich erneut barocke Bauten an beiden Seiten des Flusses. Wieder sind die Einflüsse der k. u. k. Monarchie unverkennbar – der Franz-Josefs-Hof, der Theresien-Hof oder das Casino. Und tatsächlich wurde der Ort ab dem 19. Jahrhundert von der österreichischen Führungsriege „wiederentdeckt“, großzügige Investitionen wurden getätigt und die Bäder von Kaiserin Elisabeth selbst regelmäßig frequentiert. Im Zuge der Staatsbildung Rumäniens fiel Herkulesbad 1918 offiziell dem rumänischen Staatsgebiet zu. Unter Diktator Nicolae Ceaușescu erlebte die Stadt einen erneuten Aufschwung und sollte der Bevölkerung als Refugium von den Strapazen des sozialistischen Projekts dienen.

Ein Bauprojekt aus dieser Zeit ist das Hotel Roman. Im hintersten Teil der Schlucht gelegen ragt das Hochhaus in klassischer Sowjet-Architektur hervor und bildet einen starken Kontrast zu dem bewaldeten Tal ringsum. Im Foyer dominieren die Eindrücke der dunkelroten schweren Teppiche und Nachbildungen von römischen Säulen und großflächiger Malerei. Links zweigt ein Gang in den Thermalbereich des Hotels ab, in welchem sich Dampfbäder, Massageräume und Bäder, ebenfalls im römischen Stil, befinden. Im Kontrast zu dem Prunk des Erdgeschosses ist der Großteil der Zimmer in recht bescheidenem Zustand, der Türgriff der Balkontür oder die Schränke funktionieren mehr schlecht als recht. Alles in allem ist das Hotel Roman nicht trotz sondern genau wegen seiner befremdlich anmutenden Mischung aus kitschig-römischen Fantasien und sowjetischer Architektur einen zweiten Blick wert.

Tatsächlich steht der Kontrast des Hotels zu den verfallenen Habsburger-Bauten stellvertretend für die Versuche Ceaușescus, den Einfluss der österreichisch-ungarischen Monarchie auszuklammern und die nationale Geschichte Rumäniens neu zu schreiben. Der Rückgriff auf den römischen Einfluss in Rumänien bot sich hierfür geradezu an, eine nationale Kontinuität über knapp 2000 Jahre herzustellen. Den Ort Herkulesbad als „eigentlich römisch“ zu deklarieren heißt, einen selektiven Griff auf die Vergangenheit zu tätigen und diese von anderen Einflüssen quasi zu bereinigen. So wurden die geschichtlich-bedingten Bande des sozialistischen Rumäniens zum kapitalistischem Westen gekappt.

 Im Bau des Hotel Roman treffen sich die Versuche, ein modernes Rumänien zu präsentieren und darin die römisch-zivilisatorische Vergangenheit zu betonen. Das dahinterliegende ideologische Projekt zur sozialistischen Staatsbildung mündete auf vielen Ebenen in eine einseitige Geschichtsschreibung, deren Kontroversen bis heute geführt werden. Ein Artikel in der „Welt“ von 2007 veranschaulichte dies am Beispiel der Relevanz von Geschichtsschreibung zur nationalen Identitätsbildung im osteuropäischen Raum. Im akademischen Bereich ist die sogenannte „osteuropäische Kontinuitätsdebatte“ zu nennen – die Frage nach den nachweislichen Folgen der nur ca. 160 Jahre dauernden Periode römischer Besiedelungen nördlich der Donau geben in der Sprach- wie Geschichtswissenschaft bis heute Anlass zu Debatten. Unter Ceaușescu war die These der römischen Herkunft unumstritten und diente der Konsolidierung der Vorstellung einer rumänischen Zivilisation. Nach 1990 vermehrt in die Kritik gekommen, sorgt dieser Bezug bis heute im öffentlichen Diskurs für Kontroversen.

In diesem Licht mutet der Bau des Hotel Roman anders an: Die Massen an Schulgruppen, die staatlich subventionierte Klassenausflüge in die Gegend unternahmen, sollten neben der Erholung auch die angeblichen Wurzeln des sozialistischen Rumäniens kennenlernen. Das römische Ambiente des Imperialen fügte sich ohne Weiteres in Ceaușescus Politik des Personenkults ein. Neben dem Titel Conducător (dt. Führer), ließ er sich „Großer Kommandant“, „Titan der Titanen“ oder „Sohn der Sonne“ nennen. Zusammengenommen manifestieren sich diese vielen geschichtlichen und soziopolitischen Dimensionen in der Architektur dieses Gebäudes. Dieser einzigartigen Symbolik sind sich heute die wenigsten Besucherinnen und Besucher bewusst. So bleiben das Hotel Roman, die Stadt Herkulesbad, wie auch die gesamte Region des Banat Orte, an denen sich viel entdecken lässt.