Armbruster, Maetz und Jacobi an einem Ort versammelt

Neugestaltung der größten Kirche Hermannstadts holt mehr Licht in den Raum

Sieht neu aus, klingt anders, fühlt sich heller an und kann nicht ausschließlich gefallen. Muss aber auch nicht. Ein Tagebuch der Renovierung seit März 2018 lädt auf hermannstadt.evang.ro zum Blättern ein – mit Fotos von Kilian Dörr. Fotos: der Verfasser

Nicht mehr lange, und bald wird die Stunde des vorerst letzten Gerüsts an der evangelischen Stadtpfarrkirche von Hermannstadt geschlagen haben.

Links alte Leuchtkränze aus Eisen, rechts der letzte Schrei in Sachen Elektrotechnik.

Die schwersten, größten und zahlreichsten Haufen Baumaterial unter dem Dach der evangelischen Stadtpfarrkirche am Huetplatz/Piaţa Huet in Hermannstadt/Sibiu liegen aktuell in dem L-förmigen und als „Ferula“ bekannten Teilraum am Westende der Kultstätte ausgebreitet. Aurelia Brecht, Kulturmanagerin der Lokalfiliale des bundesdeutschen Instituts für Auslandsbeziehungen, und Kilian Dörr, seit 1999 Stadtpfarrer der evangelischen Kirchengemeinde A.B. Hermannstadt, bestanden am Nachmittag und Abend des 2. März darauf, die 30 Personen starke Besuchergruppe einer freien Clubbegegnung auf Einladung des Demokratischen Forums der Deutschen in Hermannstadt (DFDH) auch durch diese „Ferula“ zu führen. Tatsächlich erfordert es einige Aufmerksamkeit, nicht über die wirr am Boden liegenden Kabel und Bretter zu stolpern. Noch ist es nicht möglich, den Blick hinauf zur Empore und Rosette der Ferula im langsamen Schreiten mit am Rücken verschränkten Armen zu genießen.

Auch vor dem klobigen Metallgerüst, das hier am Sockel des Turms gebaut wurde, um der auf Zeit nach Hermannstadt ausgeliehenen Samuel-Maetz-Orgel von Martinsberg/[omartin eine Stützfläche zu bieten, die zusätzlich auch den vorreformatorischen Altar derselben Stadtpfarrkirche tragen können soll, bleibt man beim Besuch der Baustelle vorsichtshalber besser stehen. Kilian Dörr hatte sich für die ein bis zwei Tonnen schwere Orgel aus Martinsberg und den mehrere hundert Kilo wiegenden vorreformatorischen Altar ein schlankeres Gerüst gewünscht, hörte aber letztlich auf den Rat der an der Planung beteiligten Statiker zu höchster Sicherheit auf Kosten der Ästhetik.

Das 210 Jahre alte Instrument von edler Tonqualität wartet derzeit in der Orgelbauwerkstatt und Schreinerei „Construcţii Orgi şi Tâmplărie“ im burzenländischen Honigberg/H²rman (COT, siehe pipe-organs.com) auf seine Einweihung am neuen Standort in Hermannstadts historischem Kern. Die etwa 900 Mitglieder zählende Kirchengemeinde hofft, um Pfingsten 2021 aus der kleinen Johanniskirche am Ende der Fleischergasse/Mitropoliei wieder dauerhaft in ihre Stadtpfarrkirche am Huetplatz einziehen zu können.

Genau drei Jahre zurück liegt der erste Hammerschlag auf der Großbaustelle zwischen Bruken-thalgymnasium und evangelischem Stadtpfarrhaus. Dass die gestaffelte Ausgabe der Gesamtkosten in Höhe von knapp fünf Millionen Euro aus nicht rückzahlbaren EU-Fördermitteln binnen so kurzer Zeit zu einem Ergebnis geführt hat, das sich sehen, hören und bald wieder frei besuchen lassen kann, spricht für die technischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts. Sie haben auch am größten Kirchenbau Hermannstadts Anwendung gefunden und sein Aussehen folgerichtig rasch verändert. Weil der Tapetenwechsel alles andere als bedächtig vorgenommen wurde, hat sich die Baustelle auch manchen Unmut aus protestantischer Feder oder gar siebenbürgisch-sächsisch nörgelndem Mund gefallen lassen müssen.

Doch ähnlich wie die 2015 abgeschlossene und drei Millionen Euro teure Generalüberholung des Dachstuhles und der Ziegeldecke hat auch das in greifbare Nähe gerückte Finale der Restaurierung und farblichen Neugestaltung von Fassade, Turm und Innenraum der evangelischen Stadtpfarrkirche Hermannstadts beste Aussichten, allen bislang kritischen Gegenstimmen zumindest ein wenig Lob abzuringen. Die Stadtpfarrkirche ihrerseits wird nicht gleich vom allerersten Wiederöffnungstag an in alter Größe zu erleben sein. Schon jetzt steht fest, dass die im Frühjahr 2018 zum Schutz der Sauer-Orgel verbaute provisorische Holzwand das Saubermachen nach der Baustelle um mindestens ein halbes Jahr überdauern wird. Erst wenn im Kirchenschiff kein weiterer Staub mehr entstehen kann, wird die Sauer-Orgel in all ihre Einzelteile zerlegt und gründlich gereinigt werden. Ein Grund mehr zur Vorfreude auf die Klänge der Orgel von Martinsberg in der Ferula.

Mit der Farbwahl für den Innenraum ist Stadtpfarrer Kilian Dörr zurecht zufrieden. Wegen des neuen Anstrichs in Weiß behält die Kirche am Huetplatz selbst bei nicht eingeschalteter Beleuchtung eine wohltuende Portion natürlichen Lichts bei, was sich vor allem zu früher Abendstunde bezahlt macht. Das Konzept der in fünf Stufen dimmbaren Beleuchtung durch hochmoderne LED-Scheinwerfer trägt die Handschrift des Unternehmers Peter Billes in Ottobrunn südöstlich von München. Um den feinen Unterschied zwischen dem natürlichen Licht und der leisesten LED-Lichtstufe fühlbar werden zu lassen, ging Kirchenführer Linus M²rginean Dienstagnachmittag am 2. März kurz in die Bischofsloge, wo bereits die zwei einsatzbereiten Schaltschränke für Beleuchtung und Fußbodenheizung stehen. Ingenieur Dr. Carl Wolff, der 1907 am selben Ort Schalthebel für die elektrisch betriebene Vorgänger-Fußheizung hatte einbauen lassen, wäre stolz auf den Anblick, der sich nunmehr in derselben Bischofsloge bietet. Außerdem darf sich die evangelische Kirchengemeinde A.B. Hermannstadt glückliche Wiederentdeckerin eines in Stein gefassten Eingangs aus dem Querschiff zur vorher nur von außen zugänglichen Bischofsloge schätzen.

In drei Jahren Großbaustelle hat sich Hermannstadts evangelische Stadtpfarrkirche als eine archäologische Fundstätte offenbart, deren Geheimnisse auch die landesweit erfahrene Expertin Dr. Daniela Marcu Istrate überrascht haben. Im späten Frühjahr 2018 bestätigte sich deutlich die Vermutung, dass zweifelsohne von einer im 13. und 14. Jahrhundert erbauten Vorgängerkirche auszugehen ist. Hierauf hat Mihai Ţucă, Geschäftsführer der GmbH SC ARHIMUS SRL und für die Neugestaltung verantwortlicher Architekt, die Kirchengemeinde überzeugt, das hoch an der Grenze von der Ober- zur Unterstadt aufragende Gotteshaus mit Bodenplatten in zwei Farben auslegen zu lassen, was einen spannenden Rückschluss auf das Fundament des Vorgängerbaus ermöglicht.

Wie aus dem Nichts tauchte auch die steinerne und als verschollen gegoltene Grabplatte von Ex-Bürgermeister Michael Armbruster aus der Reformationszeit auf. Sie kann zukünftig zusammen mit anderen Grabplatten ebenso gefühlt uralter Zeiten im nördlichen Seitenschiff besichtigt werden. Die Kirchengemeinde des Hauses hatte bis dahin nur vom Grab Samuel von Brukenthals am vorderen linken Ende des Hauptschiffes Bescheid gewusst. Es ist ebenfalls durch andersfarbige Bodenplatten gekennzeichnet und bleibt so belassen. Das Presbyterium der Kirchengemeinde hat entschieden, keine Untersuchungen vornehmen zu lassen, die eine physische Öffnung der gemauerten Ruhestätte Brukenthals im Fundament bedeuten würden.

Unter dem hohen Buntglasfenster des nördlichen Querschiffs hängt die 1973/1974 aus Carrara-Marmor geschlagene Skulptur von Peter Jacobi an der Wand. Die vertikalen Streifen ihres Profils sollen an die wattierten russischen Arbeitsjacken erinnern, die Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben während der harten Zeit der Deportation von 1945 bis 1950 in der Sowjetunion trugen. Peter Jacobi, seit 1970 in der Bundesrepublik Deutschland lebend, hat sie der evangelischen Kirchengemeinde zum Geschenk gemacht und auch als Foto im epochalen Buch „Siebenbürgen. Bilder einer Reise II. Wehr- und Kirchenburgen. Stillleben nach dem Exodus“ (Schiller-Verlag Hermannstadt/Bonn, 2017) festgehalten. Weil Gegenstand freier Kunst, erzählt sie von Zwangsarbeit und Wiedergutmachung zugleich.
Leider sind noch nicht alle Buntglasfenster restauriert an die steinernen Fensterstöcke zurückgekehrt, aber Amalia Verzea kann sich in ihrer Werkstatt im 5. Bezirk Bukarests vor Aufträgen kaum retten. Die 30 Jahre lang im mehrheitlich katholischen Italien, seit 2018 im mehrheitlich orthodoxen Rumänien tätige Glas-Restauratorin wird sicher auch die Rosette in der Ferula der evangelischen Stadtpfarrkirche Hermannstadts farblich aufgefrischt haben.

Ifa-Kulturmanagerin Aurelia Brecht und Stadtpfarrer Kilian Dörr luden auch am 3. März kurzerhand zu einem Besuch der Baustelle ein, da trotz Corona erstaunlich viele Erwachsene aller Altersstufen an der Clubbegegnung des DFDH auf dem Huetplatz Interesse zeigten. Unter die Menschen aus Stadt und Region, denen so das Privileg zuteil wurde, eine Baustelle zu besuchen, wie sie nur etwa alle 50 Jahre ansteht, mischten sich bekannte Einheimische wie Stadträtin Diana Mureşan, Reiseführer Cătălin Mureşan, Sprachforscherin Sigrid Haldenwang, Reiseführer Mihai Haţegan, Architekt Hermann Fabini, Referentin Ruth István von der Stiftung Kirchenburgen der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR), Autor Carol Neustädter, dessen Essays beim Techno Media Verlag und Armanis Verlag aufliegen, Pfarrer Uwe Seidner aus Wolkendorf, Religionspädagogin Dorothea Binder, Orgelbauer Hermann Binder und die überzeugte Rückkehrerin Brunhilde Böhls (siehe Deutsches Jahrbuch für Rumänien der ADZ für 2021).

Ein paar sportlich ausdauernde Neugierige ließen sich gerne von Kilian Dörr auf die Orgelempore und zwei Orte des Dachstuhles führen. Die strukturellen Nachbesserungen, die rings um den Turm dringend nötig geworden waren, zählen mit zu den aufwendigsten Arbeitsetappen der aktuellen Renovierung der Stadtpfarrkirche. Mehrere Jahrhunderte altes Holzmaterial, das weder von Nässe noch sonstigem Schaden befallen ist, wurde und wird hier nicht ausgesondert.
Kritikern mit und ohne Fachwissen, denen die neue Gestaltung der evangelischen Stadtpfarrkirche Hermannstadts nur begrenzt oder überhaupt nicht gefallen möchte, darf abschließend gesagt sein, dass der geschäftsführende Stadtpfarrer der Kirchengemeinde ein technisches Sachverständnis mitbringt, das nicht erst seinem Theologiestudium während der Zeit um 1990 zu verdanken, für den Bauplatz am Huetplatz aber von enorm hoher Bedeutung ist. Das handwerklich hart erarbeitete Resultat der Renovierung des Dachstuhles, der Dachhaut und bald auch des übrigen Innen- und Außenraumes der evangelischen Stadtpfarrkirche ist wahrlich kein Ergebnis von Misswirtschaft.

Auch einzelne protestantische Stimmen, die sich im Sommer 2020 in der heißen Debatte um die Farbwahl auf keinen Kompromiss einlassen wollten, konnten ihren Geschmack nicht durchsetzen. Denn über Geschmack streitet man bekanntlich gar nicht. Stattdessen räumt selbst das Presbyterium der evangelischen Kirchengemeinde A.B. Hermannstadt geduldig ein, dass auch schwer zufriedenstellende Einheimische und Gäste sich bald an das neue Aussehen der Stadtpfarrkirche gewöhnt haben werden.