„Bei uns geschieht Wiedergeburt von Buchstaben!“

Delia und Tudor Petrescu tüfteln in Hermannstadt nicht nur für ihr Museum

Eine von 415 „kolumbianischen“ Druckerpressen, aus Gusseisen und eineinhalb Tonnen schwer

In die Zeit der Erfindung des Buchdrucks fällt auch die Erfindung des Spiegels. | Fotos: Klaus Philippi

Nichts weiter als eine Filiale der Kaufland-Supermarkt-Kette steht heute dort, wo früher einmal die größte Buchhandlung Rumäniens ihre Kundschaft empfing und bediente. Na ja, vielfältiger bestückt als ein ganz gewöhnlicher Laden für Drucksachen war sie nicht, die legendäre „Polsib“ mit eigener Typografie am Flussufer des Zibin in Hermannstadt/Sibiu. Erstaunlich weiträumig aber war sie in der Tat, sobald man durch ihre Eingangstüre schritt und entlang all der Regale Ausschau etwa nach gewünschten Schulbüchern des Teora-Verlags hielt.

Der nämlich führte 79 Prozent der Aktien von „Polsib“, ehe er sie im Herbst 2014 einer Arader Firma verkaufte, und bald beides, die Buchhandlung mit der Riesenauswahl an Schulbuchausgaben und die Druckerei, abgerissen wurde. Das Einzige, was dem vierspurig laut befahrenen Mühlberg/Șoseaua Alba Iulia ein hörbares Raunen unter Hermannstadts Einwohnern einbrachte, existierte mit einem Schlag nicht mehr. Und schickte die 30 Angestellten der Druckerei in die Arbeitslosigkeit. Dabei war das Schriftbild der Schulbücher, die nebenan zum freien Verkauf auslagen, technisch stets makellos gewesen.

Ein 70 Jahre alter Ruheständler aus Hermannstadt, der vor Jahren täglich gerne Dienst als Drucksetzer getan hatte, nahm September 2022 seinen Enkel zur Einweihung des Typografischen Museums und Ateliers vom Ehepaar Delia und Tudor Petrescu mit. Es lockt auf der Burgergasse/Ocnei und entführt in die Welt eines Berufs, der im dritten Jahrtausend nur noch – oder vielleicht genau deswegen – als Kunsthandwerk gefragt ist. Über drei Tonnen Gewicht bringen die Pressen und Setzkästen im zweiten und größeren Teilraum des „Muzeul Atelier Tipografie Sibiu“ (MATS) auf die Waage. Alles ist historischen Baudatums, aber nichts von den altgedient bewährten Produktionsanlagen der „Polsib“ übernommen. Schade, wie Delia Petrescu findet.

Nur zu gerne hätte sie Zugang zu den unauffindbaren Schrift- und Zeichensätzen der letzten Druckerei der Stadt, wo noch von Hand Buchstabe für Buchstabe und Seite um Seite gesetzt wurden. Dass die für das vorindustrielle Buchdrucken spezifisch langen Tische mit perfekt waagerechter Arbeitsfläche aus Metall und überhaupt sämtliche Apparate des MATS am ausländischen Gebrauchtmarkt eingekauft wurden, erzählt sie nicht nur voller Stolz. „Drucksetzer kann man in Rumänien nicht lernen“, bemängelt Delia. Allenfalls Bukarest wäre seit zwei oder drei Jahren ein Standort, wo man sich dual dafür ausbilden lassen könne. Jedoch „nur digital“, was dem Credo der studierten Architektin und Expertin für Restauration – ihren Partner Tudor Petrescu zeichnen dieselben Qualifikationen aus – , auch und vor allem die Typografie wäre zuvorderst Kunst, widerspricht.

Vom Juwelier zum Mann des Jahrtausends

„Typografie und Massenmedien sind gleichbedeutend“, pointiert Tudor, dabei auch auf die Bibel zu sprechen kommend. Obwohl er und besonders Delia betonen, „keiner Religion“ anzugehören. Die Bibel aber war und ist das erste in Massen hergestellte Produkt der okzidentalen Weltgeschichte. Die Haut von sage und schreibe 170 ungeborenen Kälbern erforderte ihr Kopieren vor Erfindung von Buchdruck und Papier. Nicht nur manche Szene des Alten und Neuen Testaments, sondern auch die Pergament-Gewinnung für die Heilige Schrift war überaus makaber. Sündhaft teures Vellum bedeutete leider eine tierisch große Verletzung. 170 an trächtigen Kühen verübte Schwangerschafts-Unterbrechungen für nur eine Bibel!

Mit Johannes Gutenberg endlich setzte die Trendwende ein. „Wo in Europa binnen 20 Jahren von Hand 50.000 Bücher geschrieben und gebunden wurden, brachten es Druckereien im selben Zeitraum ab sofort auf 12 Millionen Bücher“, weiß Tudor Petrescu im MATS zu erklären. Der Erfinder der Typografie jedoch lebte in einer Epoche, die kein Marketing kannte. Gutenbergs Selbstmanagement war bei Weitem nicht so fortschrittlich wie sein Patent und vermochte ihm keinen Schutz vor dem Lebensabend und Tod eines armen Mannes zu bieten, klären die Autodidakten Tudor und Delia auf. Außerdem gingen auf sein Konto nicht nur die progressiven Bewegungen wie Reformation und Aufklärung, sondern auch der Dreißigjährige Krieg. Und das nicht eben unproblematische Geschäft mit dem Ablass.

„Die ‚Indulgenzien‘ hat Gutenberg gepresst, um die Priester vom Nutzen des Buchdrucks zu überzeugen. Als sie merkten, wie recht er damit hatte, und dass die Ablass-Urkunden nicht mehr mühsam von Hand geschrieben werden mussten, gaben sie ihm grünes Licht für das Drucken der Bibel.“ Der Juwelier aus Mainz, für die Arbeit mit Blei und allerhand Legierungen ausgebildet, trat, so will Tudor Petrescu es gewusst haben, eine Revolution los. Völlig richtig, denn auf einmal dauerte das Anfertigen einer Bibel nur noch ein bis zwei Monate statt Jahre. Den Stückpreis von 30 Gulden, dem Gegenwert ebenso vieler Ochsen, dürfte Gutenbergs Neuerung zumindest ein wenig nach unten gedrückt haben. 2005 dagegen wurde eine seiner unvollständig erhaltenen Bibeln für sage und schreibe 16 Millionen US-Dollar in Tokio versteigert. Nur noch vier lückenlose Originale gibt es weltweit.

1997 kürte das US-Magazin „Time Life“ Gutenbergs Druckerpresse zur wichtigsten Erfindung des zweiten Jahrtausends nach Christus, und ein Jahr später wählten US-amerikanische Journalisten gar ihn selbst zum „Man of the Millennium“. Aus gutem Grund, bekräftigt Tudor während der Führung durch das MATS, weil es „keine zwei identischen Gutenberg-Bibeln gibt.“ Auf das Drucken in der Presse folgte schließlich immer noch das Verzieren von Hand. Rein durch Maschinenkraft erzeugte Meterware sollte erst geraume Zeit später Hochkonjunktur erlangen. Delia Petrescu unterscheidet denn auch strikt zwischen Gewerbe (meșteșug) und Handwerk (meserie), und will die Typografie auf keinen Fall mit Ersterem verwechselt haben.

Kultur für alle? Ja und Nein

Im Eingangsraum des MATS, wo auf Bestellung alles Einfache von der Visitenkarte bis zum A3-Plakat ganz wie in vorindustrieller Zeit gedruckt werden kann, hängt in Kopfhöhe und großen Lettern auf weißem Karton der Merksatz „Culture is always a good business“. Die Kultur, das immer gute Geschäft. Vorausgesetzt, man meidet, schonungslos salopp gesagt und gedruckt – verba volant, scripta manent – das Arbeiten für und die Kooperation mit Arschlöchern. „Don´t work for assholes. Don´t work with assholes.“, so der hinter Glas gerahmte Vierzeiler mit Biss, der in einer Ausfertigung vom Berliner Typografen Erik Spiekermann das „immer gute Geschäft mit der Kultur“ bei Delia und Tudor Petrescu ergänzt. Damit auch ja keine Missverständnisse aufkommen können. Die Alleininhaber des MATS leben seit zehn Jahren von ihrer freischaffenden Arbeit als Herstellende hölzerner Druckstempel für Kunden aller Herren Länder.

Ihre auf Bestellung durch handgesteuertes Fräsen in das natürlich modellierbare Material geschnittenen Negative finden weltweit in Dänemark, Großbritannien, Costa Rica, Singapur, Japan und noch viel mehr Staaten Absatz. Rumäniens Markt hat ihr Angebot noch nicht wirklich entdeckt. Unter gotischer Raumdecke eines kleinen Parterres am unscheinbaren Übergang zwischen Hermannstadts Ober- und Unterstadt regionales und nationales Publikum für das MATS zu gewinnen, ist in der Tat auch gar nicht einfach. Dass ein kleiner Junge aus Rumänien die hölzernen Druckstempel glatt mit Bausteinen für das Spiel „Jenga“ verwechselte, können Delia und Tudor noch einigermaßen gut wegstecken. Für Hermannstädter und inländische Touristen jedoch, denen der Tarif von 10 Lei pro Person für eine Museumsführung zu teuer ist, haben sie nichts als Unverständnis übrig.

Dem Geiz der kulturverwöhnten Hermannstädter rechnet Delia das zu. Weil oben auf dem Großen und Kleinen Ring so dermaßen viele Konzerte, Festivals und Massenveranstaltungen gratis stattfinden, nähmen die Leute das einfach für gegeben, ohne sich auch nur ein wenig in der Unterstadt umzuschauen. Wenn es Gäste gibt, die sie aus dem Schatten befreien, dann vor allem die ausländischen. „Nu prea ne viziteaz˛ Sibiul“, lästert Delia, Hermannstadt schaue kaum bei ihnen vorbei. Und für Kultur zu bezahlen bereit wären auch nur wenige, womit sie ohne Wenn und Aber die Oberflächlichkeit ihrer Stadt durchschaut, denn Delia ist Hermannstädterin. Wahrscheinlich wissen nur Freischaffende, die sich und ihre Geschäfte in der Unterstadt über Wasser zu halten versuchen, wie es um die üblichen Mietsätze in der bis zu fünfmal teureren Oberstadt steht. Was nützen einem ein tadellos gepflegter Raum und ein spannendes Angebot, wenn sich kaum jemand dafür interessiert?

Entscheidend ist die Nachfrage

Wer in einem Stadtviertel wie diesem hier seinen Lebensunterhalt unabhängig bestreitet, kann sich Publikumsflaute nicht leisten. Für ihr MATS haben Delia und Tudor Petrescu monatlich eine Miete zu stemmen, die auf drei Viertel des Lohns für eine Vollzeitnorm bei der ADZ kommt. Sehr erschwerend noch dazu, dass niemand vom Brukenthalmuseum sich zur Einweihung des MATS im September 2022 blicken ließ.

Umso mehr blickt Delia der Auflage 2023 des Jahressymposiums am Haus des großen Nachbarn im Mai mit Spannung entgegen. Sie wurde eingeladen, dort vorzutragen, und nimmt zwecks Recherche für ihren Beitrag auch den Band „Die Gutenberg-Galaxis. Das Ende des Buchzeitalters“ (1962) von Marshall McLuhan zur Hand. Auch sind sie und Tudor dankbar, am Hermannstädter Weihnachtsmarkt 2022 einen Druckstempel-Workshop veranstaltet haben zu können, an dem insgesamt 700 Kinder teilnahmen. Genau das ist es, worauf das Architekten-Paar vom MATS angewiesen ist. 400 Besucher in vier Monaten sind nicht die Welt, nein. Es könnten und müssten viel mehr sein, und dass nur jeder Hundertste entweder aus dem ruralen Raum kommt oder älter als 65 Jahre ist, stimmt auch nicht gerade sorglos. 

Delia interessiert sich für Statistiken und bittet jeden Besucher, sich mit Namen und Beruf in eine Tabelle einzutragen. Dass Rumänien binnen zehn Jahren acht Millionen Auswanderer verloren hat, geht ihr mächtig auf die Nerven. Und weil „uns nur die Intellektuellen besuchen“, weiß sie auch, dass allein 16 Prozent der Bevölkerung Rumäniens Berufsdenker sind. Die Betreiber des MATS dagegen machen das Beste daraus und bieten ein, zwei oder drei Stunden dauernde Kurse für Anfänger bis Fortgeschrittene an, Kinder mit Behinderung sind willkommen.

Sie finanzieren sich zu 100 Prozent selbst und hegen hartnäckige Hoffnung auf bessere Zeiten im bildungspolitisch arg hinkenden Rumänien, in dessen Spiegel zu schauen schmerzt. Vor so einem Kontext ist Beschäftigung mit Buchstaben und Kunst dringender nötig denn je.

„Dem Drucksetzer ist geschehen, was schon dem Schriftgelehrten passiert ist, der sich mit seiner Rolle als Schönschreiber begnügen musste und schließlich Kunsthandwerker wurde. Ihm blieb nichts anderes übrig, als seine Produktion zurückzufahren und seinen Preis anzuheben“, motivieren Delia und Tudor Petrescu. „Es ist eine echte Herausforderung, in Rumänien bleiben und uns durch Kultur finanzieren zu wollen.“