Bukarester stehen jährlich 115 Stunden im Stau

Nur in drei Städten weltweit stockt der Verkehr mehr als in unserer Hauptstadt

Typisch Bukarest: zugeparkte Gehsteige, verlassene Wracks

Mehr Radwege gegen den Autostau in der Innenstadt

Bukarester Autofahrer kennen das zur Genüge: Stau, nervöses Hupen, Überholen auf den Straßenbahngleisen, Parken auf der Fahrbahn und, und, und... Es passiert insbesondere in der Früh, etwa ab sieben Uhr, wenn die ersten Eltern ihre Kinder zur Schule bringen und geht weiter bis nach 9 Uhr, wenn die letzten verspäteten Angestellten zur Arbeit kommen – dasselbe dann am Abend zwischen rund 17 Uhr und 19 Uhr, wenn jeder nach Hause oder zum Einkaufen fährt. Aber Nicht-Bukarester finden sich auch tagsüber eher schwer im stockenden Verkehr der Hauptstadt zurecht. Kann etwas gegen den Dauerstau unternommen werden? Oberbürgermeisterin Gabriela Firea versprach bereits 2016 eine „Revolution im Bukarester Verkehr“, der Plan für städtische Mobilität wurde 2017 genehmigt. Nachfolger Nicușor Dan stellte vier weitläufige Lösungen für den Verkehr vor und versprach im Februar 2022, dass man in Bukarest bald leichter fahren werde... Und was ist seither geschehen?

Statistische Daten zeigen, dass Bukarest auf Platz vier weltweit liegt, was den stockenden Verkehr angeht. Überholt wird die rumänische Hauptstadt nur von Istanbul in der Türkei, Bogota in Kolumbien und Mumbai in Indien, wobei jedoch die Bevölkerung dieser Städte bei rund 15,5 Millionen, 7,8 Millionen und bzw. 20 Millionen liegt, nicht bei nur 1,83 Millionen wie Bukarest. Laut einer neuerlich veröffentlichten Studie der britischen KFZ-Versicherungsgesellschaft Go-Shorty auf Basis von TomTom-Verkehrsdaten sollen Türken jährlich 142 Stunden im Verkehr verbringen – Bukarester hingegen 115 Stunden, also fast fünf ganze Tage! Und bei Stoßzeiten soll die Dauer sich sogar verdoppeln. Im Vergleich dazu würden die Bulgaren aus Sofia nur 69 Stunden jährlich im Verkehr verbringen. Auch in Paris, Rom oder Hamburg sowie in Kairo oder Bangkok würde man nur rund 70 bis 80 Stunden pro Jahr im Auto sitzen. 

Anzahl der Pkws

Der wahrscheinlich wichtigste Grund für den stockenden Verkehr ist die immer höhere Anzahl an Personenkraftfahrzeugen. Wenn es im Jahr 2017 bereits rund 1,5 Millionen Autos in Bukarest gab, waren es zwei Jahre später bereits 1,7 Millionen, laut einer von libertatea.ro zitierten Studie. Und oftmals werden die Pkws nur von einer Person besetzt. Die Bürgerstiftung „Fundația Comunitară București“ sprach im April 2022 von insgesamt 1,84 Millionen Fahrzeugen, die täglich in Bukarest verkehren. Weniger als ein Viertel davon sind unter vier Jahre alt und 43 Prozent würden umweltschädliche Dieselmotoren haben.

Fehlende Parkplätze

Natürlich gibt es in Bukarest unzureichend Parkplätze. Deswegen sieht man geparkte Autos auf Gehsteigen, auf Grünflächen und insbesondere auf der ersten Spur der größeren Boulevards, mit oder ohne Warnblinkanlage  – was ebenfalls zur Behinderung des Verkehrsflusses führt. Im August hat die Stadt zwar neue und teilweise absurd höhere Parkgebühren eingeführt (mit Abos bis zu 9450 Lei pro Jahr), was jedoch die Anzahl der Parkplätze nicht erhöht, sondern allenfalls vielleicht vor dem Kauf eines Autos abschreckt. Der Bau zusätzlicher Parkplätze (ober- oder unterirdisch) könnte dazu beitragen, dass eine Fahrspur auf den Boulevards frei wird. 

Pendler

Im Juli 2022 veröffentlichte „Ziarul Financiar“ eine Studie, derzufolge über 700.000 Pendler in einem Radius von bis zu 1,5 Fahrstunden täglich nach Bukarest zur Arbeit fahren. Zahlreiche Pendler kommen mit Kleinbussen oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln, viele aber auch mit dem Privatwagen – den sie natürlich auch irgendwo parken müssen. Parkanlagen fehlen insbesondere am Stadtrand, wo eine Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr oder Fahrradwege möglich wäre. Derzeit gibt es in Bukarest nur zwei Park & Ride- Standorte in Străulești und Pantelimon, die auch immer öfter genutzt werden. Derartige Standorte würden an jeder Einfahrt in die Hauptstadt hilfreich sein, um einen Großteil der Pendlerfahrzeuge aufzunehmen.

Umweltverschmutzung und Gesundheit

Die hohe Anzahl an Fahrzeugen zieht entsprechende Umweltschäden nach sich. Die Bürgerstiftung „Fundația Comunitară București“ hat im April die auf den Verkehr zurückzuführende Luftverschmutzung auf durchschnittlich 80 Prozent geschätzt. Der Verkehr sei für 90 Prozent der Stickstoffdioxide, 59 Prozent der Stickoxide, 45 Prozent der flüchtigen organischen Verbindungen und 95 Prozent des Bleiausstoßes zuständig. Eine Minderung des Verkehrsaufkommens würde die Umweltbelastung senken und dementsprechend auch die gesundheitlichen Schäden. Bukarest liegt mit über 3000 Euro pro Person pro Jahr an der Spitze der Gesundheitskosten unter den europäischen Hauptstädten, laut einer Analyse der Europäischen Allianz für öffentliche Gesundheit aus dem Jahr 2020.

Sauerstoff-Steuer

Als Oberbürgermeisterin hat Gabriela Firea im Jahr 2016 eine sogenannte Sauerstoff-Steuer eingeführt. Dabei sollten alle Fahrzeuge, die älter als 20 Jahre waren, bzw. nicht wenigstens der Norm Euro 3 entsprachen, eine gesonderte Steuer für die Einfahrt nach Bukarest bezahlen, die am Auto durch das sogenannte „Sauerstoff-Pickerl“ ersichtlich war. Ein scheuer Versuch voller Kontroversen, der auch bald von der Oberbürgermeisterin vergessen wurde (wahrscheinlich auch wegen den damals bevorstehenden Wahlen). Eine erhöhte Besteuerung der Bukarester Fahrzeuge wäre aber nicht unbedingt eine schlechte Idee, um die Anzahl Fahrzeuge auf den Bukarester Straßen zu reduzieren.

Der Plan für nachhaltige städtische Mobilität (PMUD)... 

welcher 15 Ziele zur Verbesserung des Verkehrs festlegt, wurde bereits im Jahr 2017 vom Generalrat der Stadt Bukarest genehmigt, jedoch zwei Jahre später waren 14 dieser Zielsetzungen nicht einmal angesprochen worden, laut einer Analyse von ActiveWatch. Die im PMUD angeführten Maßnahmen würden tatsächlich zu einer Verflüssigung des Verkehrs führen. Mittlerweile wurden einige dieser Maßnahmen schrittweise, aber etwas zaghaft eingeleitet, etwa die Eröffnung von speziellen Fahrspuren für den öffentlichen Verkehr auf insgesamt 25 Kilometern oder der Ankauf neuer Trolleybusse, Straßenbahnen und Autobusse. Erst diesen Sommer wurden die Arbeiten an der Verbesserung der Schieneninfrastruktur der Straßenbahnen begonnen (jedoch nur bei der Straßenbahnlinie Nr. 41), allerdings wurde nur ein überaus kleiner Teil der insgesamt 1800 geplanten Straßenbahnhaltestellen erneuert – und das nur, weil die neuen Straßenbahnen länger sind als die Haltestellen. Ebenfalls wurden keine der geplanten Park & Ride- Parkplätze bei den Stadteinfahrten eröffnet und auch keine unterirdischen Parkanlagen in Betrieb genommen. Die Erweiterung der Straßen im Bereich Pipera, Prelungirea Ghencea oder Jandarmeriei usw. gibt es ebenfalls nur auf Papier. 

Fahrradwege

Von den geplanten Fahrradwegen und der Erweiterung der Leihfahrradinfrastruktur wurde erst im Juni ein neuer Fahrradweg eröffnet – jedoch nicht zur Verbesserung des Verkehrs, sondern zur Entspannung, denn der Fahrradweg führt vom Ciurel-Damm über 2,3 Kilometer bis zur Insel auf dem Morii-See. Oberbürgermeister Nicușor Dan kündigte Anfang September die Ausarbeitung der Machbarkeitsstudie für fünf neue Fahrradwege an, welche den Verkehr tatsächlich entspannen sollen, zwischen dem Boulevardul Aerogării und Băneasa Shopping City (als Teil der „Shopping-Strecke“ zwischen Victoriei und Băneasa), Piața Unirii und Mihai Bravu (als Teil der „Entspannungsstrecke“), Doamna Ghica und Mihai Bravu (als Teil der „Schulstrecke“ zwischen Universitätsplatz und Doamna Ghica), Doamna Ghica und D. Pompeiu (als Teil der „Strecke zum Büro“ zwischen Doamna Ghica und Pipera), bzw. Alba Iulia Platz und 1. Dezember Platz (als Teil der „Oststrecke“). Weiterhin verbleiben den Fahrradfahrern nur die bereits bekannten 32 Radwegkilometer sowie mehrere markierte Stellen auf den Gehsteigen, die jedoch des öfteren voller Hindernisse sind und von Fußgängern, bzw. teilweise von Fahrzeugen überquert werden, was ein hohes Risiko für alle Verkehrsteilnehmer darstellt. Ebenfalls angekündigt wurden knapp 34 Kilometer Fahrradwege im Zweiten Bezirk – wieder einmal nur im Projektstadium.

Vizeoberbürgermeister Stelian Bujduveanu kündigte im April die Verbesserung des Verkehrs an sieben Knotenpunkten der Hauptstadt an, und zwar durch die Ergänzung der Fahrbahnen einiger Boulevards, durch den Bau von Kreisverkehrsinseln sowie durch die Einführung spezieller Fahrspuren für den öffentlichen Verkehr – jedoch scheinen diese den Verkehr nicht wesentlich zu beeinflussen. 

Im Vergleich zu Bukarest bietet Wien über 1200 Kilometer Fahrradwege und in Amsterdam gibt es sowieso mehr Fahrräder als Kraftfahrzeuge.

Fazit 

„In Bukarest benötigen wir eine eine Politik, welche die Nutzung des Privatwagens entmutigt und den öffentlichen Verkehr ermutigt“, erklärte Radu Mihaiu, Bürgermeister des Zweiten Bezirks für wall-street.ro.

Davon ausgehend sollten tatsächlich die Maßnahmen des PMUD eingeführt werden, denn ein verbesserter, flüssiger und pünktlicher öffentlicher Verkehr mit fahrtüchtigen und modernen Fahrzeugen sowie zahlreiche und günstige Alternativen zum Privatwagen werden sicherlich die Anzahl der Fahrzeuge mindern und dementsprechend auch den Verkehr entspannen.

Gleichzeitig sollten die Bukarester auch hinsichtlich der Umwelt- und Gesundheitsrisiken sensibilisiert werden, die aufgrund des erhöhten Fahrzeugaufkommens entstehen.

Nicht zuletzt sollten die Bürger erkennen, dass man auch mit einem einzigen Auto pro Familie auskommen kann und dass die Nutzung des öffentlichen Verkehrs keine Schande ist.