„Das Banat, das ist die Sehnsucht“

Heimattag der Banater Schwaben in Ulm stärkt Gemeinschaftsgefühl

Alle zwei Jahre verwandelt sich die Ulmer Fußgängerzone in eine Tanzfläche, auf der die banatschwäbischen Trachtenpaare ihre traditionellen Tänze vorführen.

Vor 20 Jahren haben die Stadt Ulm und das Land Baden-Württemberg die Patenschaft der Banater Schwaben übernommen. Oberbürgermeister Gunter Czisch: „Wer um seine eigene Geschichte weiß, kann auch die der anderen besser verstehen und sie achten“.
Fotos: Raluca Nelepcu

Kranzniederlegung am Ahnen-Auswandererdenkmal am Donauufer in Ulm

Gute Unterhaltung in der Donauhalle: Banater Schwaben aus der ganzen Welt kamen zum Heimattag zusammen.

Die Sonne strahlt wie die Gesichter der vielen Kinder und Erwachsenen, die sich am heutigen Samstag in der Ulmer Fußgängerzone eingefunden haben. Das Blasorchester spielt auf, und schon fliegen die Trachtenröcke, während die Banater Schwäbinnen das Tanzbein schwingen. Die Männer haben ihre schmucken Anzüge mit runden Silberknöpfen angezogen und tragen mit Blumen geschmückte Hüte, die Frauen präsentieren sich in den für ihre Herkunftsorte spezifischen Volkstrachten. Egal ob sie aus Deutschland oder aus dem Banat kommen: Heute gestalten sie zusammen den traditionellen Heimattag der Banater Schwaben in Ulm an der Donau.

„Die meisten von uns sind hier, in Deutschland, geboren. Wir haben das Brauchtum von unseren Eltern und Großeltern mitbekommen. Damit sind wir groß geworden und das zeigen wir jetzt schon seit Jahren in der Ulmer Fußgängerzone“, sagt Patrick Polling, der seit Februar vergangenen Jahres Vorsitzender der Deutschen Banater Jugend und Trachtengruppen ist. Sowohl er, als auch seine Tanzpartnerin Elisa Schöffler sind in der „neuen Heimat“ geboren, doch ihre Herkunft und die alten Sitten und Bräuche sind wichtige Bestandteile ihres Lebens. „Wir sind natürlich sehr stolz darauf. Es ist ein einmaliges Gefühl, mit dem großen Zug durch die Straßen zu laufen und von den Menschen angesprochen zu werden“, sagt Elisa Schöffler. Die Jugendorganisation der Banater Schwaben aus Deutschland arbeitet mit den banatschwäbischen Tanzgruppen aus Rumänien eng zusammen. Dass sie vor dem Heimattag gemeinsam geprobt haben, ist offensichtlich: Nachdem sie den Platz am Neuen Brunnen in der Ulmer Fußgängerzone in eine große Tanzfläche umgewandelt haben, kann keiner mehr so genau unterscheiden, wer nun aus Deutschland und wer aus Rumänien kommt. Die Passanten bleiben stehen, schießen Fotos, schauen den Tanzenden mit Bewunderung zu. Die Patenkinder der Stadt Ulm stehen heute im Mittelpunkt aller Geschehnisse.

„Als Banater Schwaben wirken. Begegnung – Geschichte – Kultur“: Das diesjährige Motto der Großveranstaltung, die abwechselnd im Banat und in Ulm stattfindet, deuten die Teilnehmer unterschiedlich. „Heute ist ein besonderer Tag für mich, da ich früher viele Jahre hier gelebt habe. Es bedeutet sehr viel, dass rumänische Kinder und Jugendliche unsere banatschwäbischen Trachten mit Stolz präsentieren. Es wollen immer mehr die Banater deutsche Kultur in die Welt hinaustragen“, sagt Tanzlehrer Hansi Müller, der seit vier Jahren mehrere Tanzgruppen aus dem Banat leitet. „Man muss sich nicht für seine Wurzeln schämen, ganz im Gegenteil. Unsere Vorfahren sind wegen der Armut aus Deutschland ausgezogen und jetzt sind wir wieder zurückgekehrt, aber trotzdem Banater Schwaben geblieben“, sagt der aus Sanktanna/Sântana im Kreis Arad stammende Robert Raab, der in mehreren Blaskapellen in Deutschland mitspielt. Die aus Ghilad im Verwaltungskreis Temesch gebürtige Ingeborg Block-Orso schaut den Tanzenden zu. Die 81-Jährige trägt mit Stolz eine schwarz-weiße schwäbische Tracht. Sie hat den wohl weitesten Weg hinter sich: Angereist ist sie aus Argentinien, um wiedermal beim Heimattag der Banater Schwaben in Ulm dabei zu sein. 1944 hat ihre Familie das Banat verlassen, ist zunächst nach Österreich und vier Jahre später nach Argentinien ausgewandert. „Ich bin nun schon fast 70 Jahre dort, aber ich fliege jedes Jahr hierher, um meine Landsleute zu treffen. Ich bin eine Schwowin“, betont sie. Ihre Kinder und Enkelkinder, die in Südamerika auf die Welt gekommen sind, haben deutsche Schulen besucht und pflegen Sprache und Kultur für die Zukunft weiter. Ingeborg Block-Orso hat plötzlich Tränen in den Augen, als sie an die Veranstaltung vom vergangenen Jahr in Temeswar zurückdenkt. „Das Banat, das ist die Sehnsucht“, sagt sie mit zittriger Stimme.

„Es ist gar nicht so anders, als würde ich bei einem Schwabenfest in meinem Amtsbezirk sein. Es zeigt mir, dass der Zusammenhalt und die Verbindung mit der Heimatkultur auch hier wunderbar funktionieren“: Der deutsche Konsul in Temeswar, Ralf Krautkrämer, ist erstmals beim Heimattag der Banater Schwaben in Ulm dabei. Genau wie bei den Kirchweihfesten im Banat gibt es auch bei der Veranstaltung in Ulm einen Umzug der Trachtenpaare durch die Innenstadt. Den Musikanten folgen die zahlreichen Paare und Schaulustigen, die den Zug durch das Fischerviertel bis zum Rathaus begleiten. Die bunte Seccomalerei am Ulmer Rathaus erinnert an die Geschichte der Auswanderung der Siedler aus den deutschen Gebieten nach Südosteuropa. Die Ulmer Schachtel – das Symbol der Auswanderung der Do-nauschwaben – ist auf dem Rathaus in Ulm abgebildet. Im Rathaus wartet bereits Oberbürgermeister Gunter Czisch auf die Gäste, die traditionell mit Butterbrezeln empfangen werden. „Die Banater Schwaben sind ein Teil unserer Geschichte. Vor über 300 Jahren sind, von Ulm aus, Menschen in Länder an der Donau gezogen, um neue Perspektiven zu suchen. Es war zunächst Not, dann Aufbau und Wohlstand, dann kamen wieder Flucht und Vertreibung. Wir sind gern Patenonkel für die Banater Schwaben, um diese gemeinsamen Wurzeln zu pflegen, denn sie sind Voraussetzung für eine gute Zukunft“, sagt Gunter Czisch. „Die Geschichte der Banater Schwaben ist ein wichtiger Teil unserer europäischen Identität. Die Banater Schwaben, wie viele andere Volksgruppen, sind für uns das Gesicht von Friede und Freiheit“, fügt der Oberbürgermeister hinzu.

Vom Rathaus aus ziehen die Trachtenpaare und Gäste ans Ahnen-Auswanderer-Denkmal an der Donau, am 9. August 1958 eingeweiht, wo der Ehrenvorsitzende der Landsmannschaft der Banater Schwaben, Bernhard Krastl, eine ergreifende Rede hält. „Vor 18 Jahren durfte ich schon einmal hier stehen, unmittelbar nach dem Fall der Mauer und dem sogenannten revolutionären Umsturz in Rumänien. Einer Zeit, in der sich jeder fragte, wie geht es weiter und was kommt nun. Viele Hoffnungen haben sich erfüllt, aber noch mehr Ungewissheiten baute die Zeit auf. Im Banat ist eine neue Generation Menschen aufgewachsen, von denen viele nicht mehr wissen, dass es uns gab. Die Geschichte ist schnelllebig geworden und eine der Aufgaben der Landsmannschaft ist es, angemessen darauf zu reagieren und unsere Anwesenheit im Banat zu dokumentieren“, sagt Bernhard Krastl am zentralen Ort des Gedenkens der Banater Schwaben in Ulm. Seit 1962 heißt das Ufer vor dem Denkmal „Donauschwabenufer“. „Das kollektive Erinnern an dieser für die Deutschen aus dem Südosten Europas schicksalshaften Stelle ist zu einer der wertvollsten Traditionen unserer Gemeinschaft in Deutschland geworden und im historischen Rückblick sehen viele Landsleute diesen Platz als den Sammelpunkt unserer Vorfahren für ihre große, schwere aber auch hoffnungsvolle Fahrt ins Ungewisse“, sagt der Ehrenbundesvorsitzende.

Nachmittags im Kultur- und Dokumentationszentrum des Donauschwäbischen Zentralmuseums. Dr. Bernd Fabritius, Bundesbeauftragter für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, ist aus Dinkelsbühl angereist, wo das alljährliche Sachsentreffen stattfindet. Ein Treffen mit den Vertretern der Banater Schwaben und den Journalisten steht auf dem Programm. „Es gibt zwar das Gerücht, dass sich die Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben ähnlich lieben wie die Bayern und Österreicher, aber es ist entweder ein Gerücht, oder man weiß, dass hinter der Neckerei sehr viel Liebenswürdigkeit steckt“, sagt Bernd Fabritius. „Ich sehe diese Treffen als Treffen zur Selbstvergewisserung – man erlebt die eigene Gemeinschaft“, so Fabritius weiter.

Nur wenige Stunden später warten die Gäste gespannt auf den Auftritt der Donauschwäbischen Singgruppe Landshut unter der Leitung von Reinhard Scherer. Doch davor gilt es, drei Ehrungen vorzunehmen. Die drei Ausgezeichneten sitzen nichtsahnend in der ersten Reihe und staunen nicht schlecht, als sie auf die Bühne gebeten werden. Die Forumsvorsitzende aus Großsanktnikolaus/Sânnicolau Mare, Dietlinde Huhn, der langjährige HOG-Vorsitzende aus Hatzfeld/Jimbolia, Josef Koch, und Edith Singer, die Vorsitzende des Temeswarer Deutschen Forums, erhalten die Adam-Müller-Guttenbrunn-Medaille der Landsmannschaft der Banater Schwaben. Ihr Engagement im Dienste der deutschen Gemeinschaft wird heute Abend belohnt. Das Konzert der Singgruppe Landshut, das deutlich länger als geplant ausfällt, wird mit schallendem Applaus belohnt. Die Jugend unterhält sich unterdessen im naheliegenden Roxy-Club.

Die Begegnungen unter den Landsleuten sind für den Pfingstsonntag geplant. Kurz vor 10 Uhr treffen schon die ersten Gäste in der Donauhalle ein. Eröffnet wird das Treffen durch zwei Kultur-events: Die Ausstellungen „Temeswar 1716 – Die Anfänge einer europäischen Stadt“ und „Die Bilderwelt des Banater Malers Franz Ferch“ werden im Foyer der Donauhalle vorgestellt. Festredner des Heimattags ist Guido Wolf, Minister der Justiz und für Europa des Landes Baden-Württemberg. „Ihr Schicksal von Vertreibung, Flucht und Entrechtung darf sich in Europa niemals wiederholen. Das muss eine Botschaft solcher Tage sein“, sagt der Minister in seiner Festrede. Grußworte übermitteln der rumänische Präsidialberater Dr. Sergiu Nistor, der Europa-Abgeordnete Siegfried Mureșan, Konsul Ralf Krautkrämer und der Vorsitzende des Banater Forums, Dr. Johann Fernbach. Dr. Paul-Jürgen Porr, der Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, hat ebenfalls den 100-Kilometer-Katzensprung von Dinkelsbühl nach Ulm gewagt, um dem Heimattag der Banater Schwaben beizuwohnen. „Das Gemeinschaftsgefühl wird durch diese Heimattage gestärkt“, sagt er. In den letzten Jahren ist Paul-Jürgen Porr stets bei dem Heimattag der Banater Schwaben dabeigewesen.

Mit der Prinz-Eugen-Nadel werden Bernhard Krastl und der in Ruhestand tretende Ministerialdirigent Herbert Hellstern geehrt. Den Nationalen Orden „Treue Dienste“ im Rang eines Kommandeurs nimmt Peter-Dietmar Leber, Vorsitzender der Landsmannschaft der Banater Schwaben, vom rumänischen Präsidialberater entgegen. „Es ist mit Sicherheit eine Anerkennung des Wirkens des gesamten Verbandes. Es ist aber auch Verpflichtung, auf diesem Wege weiterzumachen“, sagt Peter-Dietmar Leber. Der Siedlerchor aus Entre Rios in Brasilien tritt nach der Kundgebung auf – anschließend feiert Erzbischof Dr. Robert Zollitsch gemeinsam mit dem Generalvikar der Diözese Temeswar, Johann Dirschl, mit Monsignore Andreas Straub und den Pfarrern Peter Zillich und Markus Krastl das Pontifikalamt in der Donauhalle. Hier geht es weiter mit dem Kulturprogramm der Banater Jugend- und Trachtengruppen, wobei im Konferenzraum Vorträge und Lesungen anberaumt sind. Über 5000 Gäste machen in diesem Jahr beim Heimattag der Banater Schwaben in Ulm mit.

„Als Banater Schwabe wirken heißt, die Begegnung zu suchen, aber nicht nur in der Vergangenheit zu schwelgen, sondern gemeinsam mit all den vielen jungen Leuten und Leuten mittleren Alters, die sich für unsere Gemeinschaft interessieren, diese Geschichte fortzuschreiben“, sagt Peter-Dietmar Leber. Besonders viele junge Trachtenträger, darunter auch solche, die keine deutschen Wurzeln mehr haben, sind in diesem Jahr dabei. Zusammen mit den Banater Schwaben schreiben auch sie diese Geschichte weiter. Der nächste Heimattag findet im kommenden Jahr in Temeswar statt.