Das Fahrrad – städtisches Verkehrsmittel der Zukunft?

Debatte im Rahmen der Diskussionsreihe „Fokus-Talk“ im Goethe-Institut

Auf einer Spazierfahrt entlang der Bukarester Calea Victoriei

Die meisten Menschen erlernen das Fahrradfahren schon als kleine Kinder. Laut Sprichwort gilt dies neben dem Schwimmen als ein Bewegungsablauf, der kaum verlernt werden kann. Abgesehen davon, dass Radfahren Spaß macht, stellt es eine schnelle, günstige und vor allem umweltfreundliche Alternative zu urbanen Transportmitteln dar. Allerdings geben weiterhin viele Leute das Fahrradfahren auf, wenn sie erwachsen werden. Die Vorteile des Radfahrens und wie es dem Staat und den Bürger Milliarden Euro ersparen kann, wurde letzte Woche im Goethe-Institut im Rahmen der Diskussionsreihe „Fokus-Talk“ für Jugendliche debattiert.

Am 22. Mai setzte das Goethe-Institut seine Diskussionsreihe zu bisherigen Schirmthemen wie Identität, Bildungssystem, Karriere und Gender, Intimität, Spielen und Politik, Millennials & Social Media u.s.w., mit einer aktuellen Debatte über das Fahrrad als städtisches Verkehrsmittel der Zukunft fort. Paradoxerweise wurde die Veranstaltung ähnlich der 2016 von Donald Trump beanspruchten Wahlkampflosung „Macht zwei Räder wieder großartig“ überschrieben. Da jedoch eine umweltfreundliche Lebensweise als Nebenthema erwähnt wurde, erlauben wir den Organisatoren diese kleine „wiederverwertete“ poetische Freiheit.

Wie üblich gab es eine Gastsprecherin, diesmal Raluca Fişer, Vorsitzende der NGO für urbane Ökologie „Green Revolution“, des Weltverbandes für Radfahren und Vizepräsidentin der Europäischen Fahrradföderation. Andrei Co{uleanu, Präsident der NGO für Umweltschutz „Act for Tomorrow“, der schon über eine zehnjährige Erfahrung im Bereich Umweltschutz verfügt, leistete die Moderation.

Er vermied pauschale Gesprächsfloskeln und eröffnete den Dialog flugs mit der Frage nach dem Fahrzeug, das Raluca Fi{er auf dem Weg zum Event im Goethe-Institut verwendet habe. Die Antwort war selbstverständlich: „Mit dem draußen geparkten roten Fahrrad“. Von da an stellte die Gastsprecherin Vorteile des Radfahrens sowie Tätigkeit und Hauptziele ihrer NGO vor.

„Green Revolution“ Ergebnis einer Wette?

„Green Revolution“ feiert dieses Jahr sein zehnjähriges Gründungsjubiläum. Als Wettergebnis zwischen Raluca Fişer und dem ehemaligen Bürgermeister der Hauptstadt, Sorin Oprescu, war es 2009 ins Leben gerufen worden. In einer Audienz beim Bürgermeister bezüglich damals fehlender Radwege erfuhr die Aktivistin mit Erstaunen, dass die Fahrradfahrergemeinschaft Bukarests inexistent war, wurde sie doch in keiner einzigen Statistik geführt. Daher hielt der Stadtrat die Markierung einer Extra-Fahrspur für unnötig. Raluca Fi{er schloss sofort eine Wette mit dem Stadtoberhaupt ab, über eine Million Radfahrer zum Protest vereinen und ihm dadurch beweisen zu können, dass Radwege in Großstädten doch notwendig sind, wofür auch zahlreiche Autounfälle sprächen. So setzte man zunächst Bordsteine auf der Bukarester Calea Victoriei, wonach eigene Fahrspuren auf den Gehsteigen wichtiger städtischer Boulevards farblich markiert wurden.

Um den Radfahrern landesweit eine Stimme zu geben und sie vor den Behörden zu vertreten, wurde die NGO „Green Revolution“ gegründet. Zu den Errungenschaften der Organisation zählen nebst Radwegen die Billigung eines Gesetzes, das Staatsinstitutionen zur Mülltrennung verpflichtet, eine Kampagne für die nachhaltige Entwicklung Bukarests mit dem Titel „Die Hauptstadt wächst grün“ und vor allem das Bike-Sharing-Projekt I`Velo. Letzteres genießt auch heute noch viel Erfolg, da es den Bukarestern ein schnelles, umweltfreundliches Verkehrsmittel zu günstigen Abonnementkosten anbietet und ihnen den Weg zur Uni oder Arbeit erleichtert. Das Netz 15 moderner I`Velo-Stationen verbindet die wichtigsten Wirtschafts-, Bildungs- und Kulturzentren miteinander, kommt einem interessanten Alternativangebot gleich und erhöht zudem die Sicherheit auf städtischen Radrouten. Auch sind Verkehrsmittelkombinationen möglich, da zahlreiche Fahrradleihpunkte sich in unmittelbarer Nähe öffentlicher Verkehrsstationen befinden. Man kann also ruhig bis zu einem Punkt mit der Straßenbahn, der U-Bahn oder dem Bus fahren, dann ein I`Velo-Rad mieten, bis zur gewünschten Station weiterfahren und gegebenenfalls noch ein Stück Weg zu Fuß zurücklegen.

Raluca Fişer zufolge begann das Bike-Sharing-Projekt I‘Velo 2009 mit 100 Fahrrädern und ein Jahr später wurden schon 1000 Räder zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus weitete sich das Mietprogramm auf weitere fünf Städte aus. Nun gibt es 1,7 Millionen I‘Velo-Fahrer in Constanza, Karlsburg/Alba Iulia, Kronstadt/Braşov, Hermannstadt/Sibiu, Großwardein/Oradea und Bukarest, außerdem wird heuer in Rumänien die weltweit erste hybride Bike- und E-Roller-Mietstation eröffnet. Somit passt sich das I‘Velo-Projekt mit seinen Radtypen, wie Urban, Relax, StudentObike, Corporate und Bike2Work, nicht nur verschiedenen Kundenkategorien an, sondern bietet ihnen neuerdings auch freie Wahl zwischen Fahrrad und Elektroroller.

Überdies organisiert „Green Revolution“ immer wieder Informationskampagnen zu den Vorteilen des Radfahrens, Konferenzen zu Transport- und Verkehrsnachhaltigkeit und setzt sich im Verein mit Großunternehmen, Bankinstituten, Lebensmittel-Einzelhandelsketten und Telekommunikationsunternehmen für die arbeitnehmerorientierte Bereitstellung umweltfreundlicherer Verkehrsmittel und die Durchführung sozialverantwortlicher Aktivitäten ein.

Vorteile des Radfahrens

Radfahren macht zweifelsohne Spaß und trägt als sportliche Tätigkeit zu guter Gesundheit bei. Laut einer europäischen Statistik beantragen Angestellte multinationaler Unternehmen, die morgens auf dem Weg zur Arbeit in die Pedale treten, eindeutig seltener Krankenurlaub. Sie treffen schnellere Entscheidungen als autofahrende Büronachbarn und legen höhere Motivation an den Tag.

Weil wir uns alle Sorgen um die Zukunft unseres Planeten machen, hat die Organisation der Vereinten Nationen eine Strategie mit dem Titel „Weltziele zur nachhaltigen Entwicklung“ ausarbeitet, die siebzehn bis 2030 zu erreichende Ziele zur Besserung der Lage der Menschheit und der Umwelt artikuliert. Elf von siebzehn Zielsetzungen werben für die Nutzung des Fahrrads. Beispielsweise ermöglicht es als einfaches, zuverlässiges und günstiges Transportmittel benachteiligten Gemeinschaften Zugang zu Bildung und Arbeit und erleichtert ihnen die Lebensmittelversorgung. Daneben ist es kommunikationsfördernd, erleichtert die Aufnahme und Pflege zahlreicher Kontakte und verbindet schwer erreichbare menschliche Gemeinschaften untereinander. Radfahren entlastet den Verkehr, verringert Umweltverschmutzung, bessert die Luftqualität und sichert als sportliche Aktivität auch unser gesamtes Wohlbefinden. Außerdem verbraucht das umweltschonende Fahrrad menschlich erneuerbare Energien.

Auch deshalb verwaltet die Europäische Radföderation zukünftig 10 Prozent aus dem Verkehrsfonds des EU-Haushalts: Sechs Milliarden Euro sollen die Förderung alternativer Transportmittel und passender Infrastruktur gewährleisten, zumal das Fahrradfahren europaweit insgesamt 513 Milliarden Euro jährlich, also 1000 Euro Profit pro Person auf allen Ebenen erwirtschaftet.
In diesem Sinne versucht auch die rumänische NGO „Green Revolution“ Bürger aufzuklären und wieder mit dem Radfahren vertraut zu machen, die Luftverpestung und vor allem die Anzahl der Todesunfälle in den Großstädten zu senken und dem Fahrrad den gleichen Status wie anderer Verkehrsteilnehmerfahrzeuge zu sichern.

Sicherheitstipps

Für eine sichere Fahrt auf zwei Rädern muss man über die Verkehrsregeln aufgeklärt sein und sie auch rechtmäßig anwenden.
Bei einer Fahrradreise durch die Stadt ist die Schutzausrüstung unentbehrlich. Helm, Knie- und Ellbogenschützer können das Leben eines Fahrradfahrers bei einem schweren Unfall retten.
Bei fehlenden Radwegen ist es sicherheitshalber empfehlenswert, die Mitte der Fahrbahn zu nutzen, ist doch der Drahtesel gleichberechtigter Verkehrsteilnehmer.

Schlussfolgernd gehört das Fahrrad nicht nur in die Kindheit, sondern zum Alltagsleben, und Radfahrer haben als Verkehrsbeteiligte das Recht auf Gleichberechtigung. Eine Frage zum Nachdenken, nach so vielen Angaben in puncto Fahrradfahren: neugierig geworden, wie es sich anfühlt, auf zwei Rädern in der Stadt unterwegs zu sein?